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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,2): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Rosenberg, Adolf: Théodore Géricault: geb. am 26. September 1791 in Rouen, gest. am 26. Januar 1824 in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.36324#0318
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DAS »FLOSS DER MEDUSA«.

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Flofs hergerichtet hatte, und von diefem liefs er hch ein genaues Modell des-
felben anfertigen. Nachdem er fo alle erreichbaren Dokumente gefammelt hatte,
machte er lieh an die Ausführung. Er miethete hch zu diefem Zwecke ein
gröfseres Atelier, welches in der Nähe eines Hofpitals lag, und machte in letz-
terem feine Studien an Kranken und Sterbenden. Er liefs hch fogar Leichen
und einzelne abgefchnittene Gliedmafsen ins Atelier bringen, und einmal behielt
er, wie erzählt wird, den abgetrennten Kopf eines im Gefängniffe gehorbenen
Diebes vierzehn Tage bei hch. Diefes Streben nach abfoluter Naturwahrheit
nahm fchliefslich einen krankhaften Charakter an, der übrigens nicht blofs für
Gericault, fondern auch für die ganze in feinen Fufshapfen wandelnde franzöhfche
Schule bezeichnend geworden ift. Es wird berichtet, dafs er Leichen fo lange
bei hch auf bewahrte, bis he in Verwefung übergingen, und einmal rief er fogar, als
er einen hark von der Gelbfucht befallenen Bekannten traf, voll Freude aus:
»Ach, mein Freund, wie fchön hnd Sie!« Er bewog den Gelbhichtigen, ihm
einige Male in feinem Atelier zu htzen, und zog daraus ebenfalls Nutzen für die
Einzelheiten feines grofsen Bildes. Welchen Moment er auf demfelben dar-
hellen wollte, war ihm Anfangs noch unklar. Er dachte zuerh an die Schilderung
des Augenblicks, wo die Matrofen gegen die Offiziere meuterten und das von
den Naturgewalten über die Unglücklichen verhängte Elend noch durch die Ent-
feffelung menfchlicher Leidenfchaften vermehrten. Diefe Skizze verwarf er je-
doch zu Gunhen einer anderen, auf welcher die Rettung bereits in Aushcht
hand, indem man fah, wie die Brigg »Argus« ein Boot ausfetzte. Schliefslich
verfchärfte er aber die Spannung wieder dadurch, dafs er den Moment wählte,
wo die rettende Brigg fern am Horizonte hchtbar wird und die Schiffbrüchigen
ihre letzten Kräfte auf bieten, um die Aufmerkfamkeit der Mannfchaft auf dem
Schiffe zu erregen. Um die endgültige Kompohtion eines Bildes fehzuhellen,
verfuhr Gericault fo, dafs er die Zeichnung zunächh mit allen Figuren füllte, die
ihm intereffant erfchienen. Dann legte er ein Blatt Oelpapier über die Zeich-
nung und pauhe die Umrifslinien der Gruppen durch. Dann erh entfernte er
alles Ueberhüfhge und behimmte die Grundlinien der Kompohtion. Trotz
diefer Vorhcht wurde er nach der Vollendung feines Bildes, als dasfelbe bereits
nach dem Theätre Italien, wo im Jahre 1819 die Kunhaushellung ausnahmsweife
hattfand, gefchafft worden, zu feinem Schrecken gewahr, dafs die untere rechte
Ecke der Kompohtion eine klaffende Lücke aufwies. Flugs machte er hch im
Foyer des Theaters daran, diefe Lücke auszufüllen, und malte in einem Tage
den halb verhüllten Leichnam, deffen obere Hälfte über die Planken des Flohes
hinweg in das Waffer hinabfchleift. So eindringlich waren feine Leichenhudien
gewefen, dafs er diefe meiherhafte Figur nur fo hinfehreiben konnte, ohne hch
eines Modells zu bedienen. Die Kompohtion des Ganzen ih trotzdem fo ge-
fchloffen und fo einheitlich, dafs man jene Mittheilung für eine Anekdote halten
würde, wenn he nicht ausreichend verbürgt wäre.
Wider Erwarten war die Wirkung des Gemäldes eine rein künhlerifche. Der
gehoffte Eindruck auf das Publikum blieb aus verfchiedenen Gründen aus. Man
hat die Schuld daran einem zufälligen, von Gericault felbft veranlafsten Umftande
zugefchrieben. Als er nämlich kurz vor der Eröffnung der Ausheilung das Bild
 
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