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THEODORE GERICAULT.
noch einmal fah, glaubte er, dafs es zu niedrig hinge. Er liefs eine Remedur
eintreten, in dem Grade aber, als das Bild höher und höher gehoben wurde, be-
merkte er mit Schrecken, dafs die Figuren immer kleiner wurden und fchliefslich
in der Höhe, welche er für die richtige gehalten, die beabfichtigte Wirkung ganz
einbtifsten. Später wurde zwar das Gemälde wieder tiefer gehängt; aber das
Publikum hatte fleh nach dem erlten Eindruck feine Meinung gebildet, die, wie
es heifst, keine Korrektur mehr erfuhr. Solche Dinge laffen lieh nach der lite-
rarifchen Ueberlieferung allein nicht beurtheilen. Indelfen haben jedenfalls noch
andere Gründe als die ungünflige Aufhellung dazu beigetragen, dafs die den
Salon befuchende Menge die Bedeutung des Bildes verkannte. Einmal war die
Erinnerung an das Ereignifs, welches Gericault mit ergreifender Gewalt, mit der
fchneidigen Beredfamkeit eines öffentlichen Anklägers gefchildert hatte, wieder
in den Hintergrund getreten. Dann befand fich um diefe Zeit die öffentliche
Meinung nach den Aufregungen der napoleonifchen Herrfchaft, der Rehauration,
der Rückkehr des Ufurpators und der nochmaligen Wiederherhellung des bour-
bonifchen Königthums in einem Zuhande vöiliger Apathie. Endlich wirkte die
akademifche Flachheit der David'fchen Schule, welche durch Gros und Gerard
wieder ofhciell geworden war, auf das Publikum fo gebieterifch, dafs Gericault's
"geharnifchter Abfagebrief des Naturalismus an das unnatürliche Pathos des
David'fchen Römerthums, der härkhe und wahrhe Ausdruck der Empfindung,
den die franzöfifche Kunft bis dahin erreicht« hatte, von den meiften gar nicht
verbanden und von denjenigen, welche die Abficht des Künftlers und feine ge-
fährlichen Pläne begriffen, mit fchnöder Verachtung behandelt wurde. Die wirk-
liche Bedeutung des Gemäldes, welche Chesneau in die treffenden Worte zu-
fammenfafst: "Der ,Schiffbruch der Medufa' war in der Malerei, was dreifsig
Jahre vorher die Proklamation der allgemeinen Menfchenrechte in der Politik
gewefen war«, wurde erft erkannt, als Delacroix an Gericault anknüpfte und das
vom Staate angekaufte Gemälde durch feine öffentliche Ausheilung zu einem
behändigen Unterrichtsmittel für die hcranwachfende Künhlergeneration wurde.
Man hat nicht das Recht, Gericault ohne Weiteres zu den Romantikern zu
zählen. Als er harb, konnte von einer romantifchen Bewegung nur erh in der
Literatur die Rede fein, und es liegen keine Zeugniffe vor, die uns beweifen, dafs
und in wie weit fleh Gericault an diefer Bewegung betheiligte. Wir wiffen nur,
dafs die Dichtungen Lord Byron's ihn wie alle Zeitgenoffen lebhaft interefflrten.
Er hat Zeichnungen zu ihnen angefertigt und diefelben auch lithographirt. Es
ih fogar anzunehmen, dafs fein Intereffe an Lord Byron noch ein tieferes war,
weil er fich mit dem Poeten des Weltfchmerzes geihig verwandt fühlte. Auch
er litt an innerer Zerriffenhcit, und fein melancholifches Temperament gewann
bisweilen fo fehl* die Herrfchaft über feine Vernunft, dafs er einmal in London
einen Selbhmordverfuch machte, an deffen Ausführung er nur durch die Da-
zwifchenkunft feines Freundes Charlet gehindert wurde. Aber ebenfowenig wie
man Lord Byron bedingungslos zu den Romantikern zählen darf, hat auch Geri-
cault nur wenige Züge mit jenen Künhlern gemein, welche man fpäter unter dem
Namen der Romantiker begriff Seine klaffifche Erziehung wirkte in feinem Geihe
fo mächtig nach, dafs er das Rennen der Campagnapferde zu einem Symbol für
THEODORE GERICAULT.
noch einmal fah, glaubte er, dafs es zu niedrig hinge. Er liefs eine Remedur
eintreten, in dem Grade aber, als das Bild höher und höher gehoben wurde, be-
merkte er mit Schrecken, dafs die Figuren immer kleiner wurden und fchliefslich
in der Höhe, welche er für die richtige gehalten, die beabfichtigte Wirkung ganz
einbtifsten. Später wurde zwar das Gemälde wieder tiefer gehängt; aber das
Publikum hatte fleh nach dem erlten Eindruck feine Meinung gebildet, die, wie
es heifst, keine Korrektur mehr erfuhr. Solche Dinge laffen lieh nach der lite-
rarifchen Ueberlieferung allein nicht beurtheilen. Indelfen haben jedenfalls noch
andere Gründe als die ungünflige Aufhellung dazu beigetragen, dafs die den
Salon befuchende Menge die Bedeutung des Bildes verkannte. Einmal war die
Erinnerung an das Ereignifs, welches Gericault mit ergreifender Gewalt, mit der
fchneidigen Beredfamkeit eines öffentlichen Anklägers gefchildert hatte, wieder
in den Hintergrund getreten. Dann befand fich um diefe Zeit die öffentliche
Meinung nach den Aufregungen der napoleonifchen Herrfchaft, der Rehauration,
der Rückkehr des Ufurpators und der nochmaligen Wiederherhellung des bour-
bonifchen Königthums in einem Zuhande vöiliger Apathie. Endlich wirkte die
akademifche Flachheit der David'fchen Schule, welche durch Gros und Gerard
wieder ofhciell geworden war, auf das Publikum fo gebieterifch, dafs Gericault's
"geharnifchter Abfagebrief des Naturalismus an das unnatürliche Pathos des
David'fchen Römerthums, der härkhe und wahrhe Ausdruck der Empfindung,
den die franzöfifche Kunft bis dahin erreicht« hatte, von den meiften gar nicht
verbanden und von denjenigen, welche die Abficht des Künftlers und feine ge-
fährlichen Pläne begriffen, mit fchnöder Verachtung behandelt wurde. Die wirk-
liche Bedeutung des Gemäldes, welche Chesneau in die treffenden Worte zu-
fammenfafst: "Der ,Schiffbruch der Medufa' war in der Malerei, was dreifsig
Jahre vorher die Proklamation der allgemeinen Menfchenrechte in der Politik
gewefen war«, wurde erft erkannt, als Delacroix an Gericault anknüpfte und das
vom Staate angekaufte Gemälde durch feine öffentliche Ausheilung zu einem
behändigen Unterrichtsmittel für die hcranwachfende Künhlergeneration wurde.
Man hat nicht das Recht, Gericault ohne Weiteres zu den Romantikern zu
zählen. Als er harb, konnte von einer romantifchen Bewegung nur erh in der
Literatur die Rede fein, und es liegen keine Zeugniffe vor, die uns beweifen, dafs
und in wie weit fleh Gericault an diefer Bewegung betheiligte. Wir wiffen nur,
dafs die Dichtungen Lord Byron's ihn wie alle Zeitgenoffen lebhaft interefflrten.
Er hat Zeichnungen zu ihnen angefertigt und diefelben auch lithographirt. Es
ih fogar anzunehmen, dafs fein Intereffe an Lord Byron noch ein tieferes war,
weil er fich mit dem Poeten des Weltfchmerzes geihig verwandt fühlte. Auch
er litt an innerer Zerriffenhcit, und fein melancholifches Temperament gewann
bisweilen fo fehl* die Herrfchaft über feine Vernunft, dafs er einmal in London
einen Selbhmordverfuch machte, an deffen Ausführung er nur durch die Da-
zwifchenkunft feines Freundes Charlet gehindert wurde. Aber ebenfowenig wie
man Lord Byron bedingungslos zu den Romantikern zählen darf, hat auch Geri-
cault nur wenige Züge mit jenen Künhlern gemein, welche man fpäter unter dem
Namen der Romantiker begriff Seine klaffifche Erziehung wirkte in feinem Geihe
fo mächtig nach, dafs er das Rennen der Campagnapferde zu einem Symbol für