ANHANG.
V
I.
SCHREIBEN DES LODOVICO DOLCE AN DEN MESSER
ALESSANDRO C0NTARIN1.
(Bei Bottari pag. 377 aus den Lettere di diversi eccelentissimi Uomini etc. Venezia apresso
Gabriel Giolito. 1559. 8° a carte 472.)
Wenn ich im Stande wäre, Euch den Adonis von Tizian mit meinen
Worten so trefflich zu schildern, wie Ihr vor einigen Tagen mir mit den
Eurigen das Gemälde des Rafael von Urbino beschriebet, so würde ich mich
unzweifelhaft dem Glauben überlassen, dass Ihr behaupten solltet: es sei nie-
mals, weder durch einen antiken noch durch einen modernen Maler, eine
Sache von grösserer Vollkommenheit erfunden worden. Indessen, weil ich
es wohl nicht verstehen werde, davon mit dieser Feder ein Bild zu geben,
so wird es, falls ich mich nicht täusche, genug sein, in Eurem schönen Geiste
ein Wunder von der Art hervorzurufen, wie meine Erzählung es vor einiger
Zeit in dem des grossmächtigen Messer Pietro Gradenigo verursachte, näm-
lich so, dass er die Nacht über im Traume es in unvergleichlicher Herrlich-
keit erblickte, tags darauf dann, um seine Augen zu vergewissern, hinging,
es zu besehen, und die Wirkung bei weitem über seine Vorstellung, wie
über meine flüchtige Schilderung hinausgehend fand.
Es wurde dieser Adonis vor kurzem gefertigt und zwar durch den
trefflichen Tizian im Auftrage des Königs von England. Um mit den Formen
zu beginnen, so hat er den Körperbau in der Weise erfunden, wie er einem
Jüngling von 16 oder 18 Jahren, der wohlgeformt ist, zukommt, lieblich und
in jedem seiner Theile leichtbewejglich, mit so gefälliger Farbe des Fleisches,
dass es überaus zart und wie mir wirklichem Blut angefüllt erscheint. Man
sieht, dass dieser einzige Meister in der Miene des Antlitzes eine gewisse
holdselige Schönheit ausdrücken wollte, welche wohl etwas weibliches an
sich hat, aber vom männlichen sich dennoch nicht entfernt, das will sagen,
dass in seinen Frauen, ich weiss nicht was vom Manne und in den Männern
etwas von einem schönen Weibe ist^eine schwierige, liebenswürdige und
(wenn wir dem Plinius glauben dürfen,) von Apelles überaus geschätzte
Mischung. Was die Stellung anbelangt, so sieht man, dass er sich bewegt
und zwar auf leichte Weise, fröhlich und mit Geschicklichkeit, da es scheint.
V
I.
SCHREIBEN DES LODOVICO DOLCE AN DEN MESSER
ALESSANDRO C0NTARIN1.
(Bei Bottari pag. 377 aus den Lettere di diversi eccelentissimi Uomini etc. Venezia apresso
Gabriel Giolito. 1559. 8° a carte 472.)
Wenn ich im Stande wäre, Euch den Adonis von Tizian mit meinen
Worten so trefflich zu schildern, wie Ihr vor einigen Tagen mir mit den
Eurigen das Gemälde des Rafael von Urbino beschriebet, so würde ich mich
unzweifelhaft dem Glauben überlassen, dass Ihr behaupten solltet: es sei nie-
mals, weder durch einen antiken noch durch einen modernen Maler, eine
Sache von grösserer Vollkommenheit erfunden worden. Indessen, weil ich
es wohl nicht verstehen werde, davon mit dieser Feder ein Bild zu geben,
so wird es, falls ich mich nicht täusche, genug sein, in Eurem schönen Geiste
ein Wunder von der Art hervorzurufen, wie meine Erzählung es vor einiger
Zeit in dem des grossmächtigen Messer Pietro Gradenigo verursachte, näm-
lich so, dass er die Nacht über im Traume es in unvergleichlicher Herrlich-
keit erblickte, tags darauf dann, um seine Augen zu vergewissern, hinging,
es zu besehen, und die Wirkung bei weitem über seine Vorstellung, wie
über meine flüchtige Schilderung hinausgehend fand.
Es wurde dieser Adonis vor kurzem gefertigt und zwar durch den
trefflichen Tizian im Auftrage des Königs von England. Um mit den Formen
zu beginnen, so hat er den Körperbau in der Weise erfunden, wie er einem
Jüngling von 16 oder 18 Jahren, der wohlgeformt ist, zukommt, lieblich und
in jedem seiner Theile leichtbewejglich, mit so gefälliger Farbe des Fleisches,
dass es überaus zart und wie mir wirklichem Blut angefüllt erscheint. Man
sieht, dass dieser einzige Meister in der Miene des Antlitzes eine gewisse
holdselige Schönheit ausdrücken wollte, welche wohl etwas weibliches an
sich hat, aber vom männlichen sich dennoch nicht entfernt, das will sagen,
dass in seinen Frauen, ich weiss nicht was vom Manne und in den Männern
etwas von einem schönen Weibe ist^eine schwierige, liebenswürdige und
(wenn wir dem Plinius glauben dürfen,) von Apelles überaus geschätzte
Mischung. Was die Stellung anbelangt, so sieht man, dass er sich bewegt
und zwar auf leichte Weise, fröhlich und mit Geschicklichkeit, da es scheint.