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Dreger, Moriz; Kaiserlich-Königliches Österreichisches Museum für Kunst und Industrie [Editor]
Die Wiener Spitzenausstellung 1906: in zwei Teilen (Band 1) — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.43275#0013
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„Merletti di ponto Reticella“,
Reticellazacken, sowie „Lavoro
di ponto reale e reticella“, eine
Verbindung von erhabener Weiß-
stickerei mit Durchbruch, wie
sie auch in der Ausstellung bei
mehreren Stücken vertreten war
und auch in den ersten folgenden
Tafeln sich mehrfach findet.
Da in diesen aus der Lein-
wand geschaffenen Durchbrüchen
hauptsächlich geometrische —
besonders gerne kreisförmige —
Muster gearbeitet wurden, scheint
der Ausdruck ,,Reticella“, der
ursprünglich technischen Sinn
hatte, allmählich für eine be-
stimmte Kunstform, nämlich für
die geometrischen und vor allem
für die kreisförmigen Muster,
üblich geworden zu sein. Es ist
entwicklungsgeschichtlich gewiß
nicht uninteressant, in den weni-
gen Fällen, wo wir den Wechsel
eines Wortsinnes etwas klarer er-
kennen können, uns dessen auch
wirklich bewußt zu werden.

Abb. 12. Die Kinder Karls I. von Anton van Dyck, in der königlichen Gemäldegalerie zu Dresden. (Nach einer
Originalaufnahme von Franz Hanfstaengl in München)


II. DIE RENAISSANCESPITZE.
A. Der orientalische Einfluß.

Durch Ausziehen und Vernähen geschaffene Durchbruchstreifen finden sich schon auf frühen sarazenischen
Arbeiten aus ägyptischen Gräbern.1 Und wenn man die Entstehungszeit dieser Stickereien auch nicht genau
bestimmen kann, so darf man trotzdem wohl annehmen, daß hier Zeugen älterer Überlieferung vorliegen als bei
den italienischen Arbeiten. Ein strenger Beweis mangelt heute allerdings noch, doch könnte ein Blatt in dem
Musterbuche des Giacomo Franco „Nuova Inventione“ (Venedig 1596), das hier (Abbildung 1) wiedergegeben
ist und die Bezeichnung „Mostra Suriana con altre mestrette di redicelli“ (Syrisches Muster und andere kleine
Reticellamuster) trägt, wohl auf orientalische Herkunft der genannten Arbeitsart schließen lassen; es stimmte eine
solche Annahme sehr gut zu dem oben gelegentlich der Macrameearbeit Gesagten, und auch der Ausdruck „grie-
chische Spitze“, der dann nur eine weitere Vermittlungsstufe bezeichnete, ließe sich mit dieser Auffassung sehr
wohl vereinen. Bemerkenswert erscheint mir aber auch, daß offenbar eines der einfachsten, also wohl ursprüng-
lichsten, Muster als syrisch be-
zeichnet ist, während das genann-
te Buch sonst außerordentlich
reiche Formen enthält, die einfach
„merli di redicella“ benannt sind.
Man darf also wohl anneh-
men, daß vom Oriente, der in der
entfernt, so daß nur die gestickten Formen mit
ihren gestickten Verbindungen übrig bleiben.
Wenn die Entfernung des Grundstoffes chemisch
vor sich gehen soll, müssen Grundstoff und
Stickerei natürlich aus verschiedenem Materiale
(zum Beispiele Seide und Baumwolle) bestehen,
damit sie nicht von ein und demselben chemischen
Mittel zerstört werden. — Der Ausdruck „punto
a fogliami“ bezieht sich wohl auf die Blatt- oder
Rankenformen mancher Spitzen, braucht aber
nicht gerade auf gewisse Arbeiten mit plastisch
herausstehenden Blumenblättern (zum Beispiele
Abbildung 6) beschränkt zu werden.
1 „Entwicklungsgeschichte der Spitze“,
Abb. 13. Litzenspitze, 2. Hälfte des XVII. Jahrhundertes. Frau von Gutmann-Wodianer, Wien Abbildung 1.
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