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Dresdner, Albert; Gaede, Richard
Neues Leben im altsprachlichen Unterricht: 3 Preisarbeiten — Berlin, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.43344#0035
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Der Erlebniswert des Altertums und das Gymnasium. 27
manchen Stellen berührt; jetzt ist die Bahn frei, um das
Zentralproblem zu isolieren, sein Wesen zu erkennen, die
Mittel zu seiner Lösung zu prüfen. Denn erst wenn die
lateinische und griechische Lektüre mannigfaltig und ab-
wechslungsreich gestaltet ist, wenn sie dem Schüler aus
dem weiten Bereiche der Antike einen nicht zu eng be-
grenzten Kreis von Autoren, Persönlichkeiten, Sphären,
Stoffen zugänglich macht, wenn ihr Tempo beschleunigt ist
und das Sprachliche als ihre Hilfe behandelt wird, wenn
endlich die mit der Bewältigung der Texte verknüpften
Schwierigkeiten in jeder erreichbaren Weise billig verringert
sind: erst dann, möchte ich behaupten, hat der Schüler
— der Durchschnittsschüler, mit dem man rechnen muß —
die Möglichkeit und die Kraft, sich des Altertumes als
Erlebnisses zu bemächtigen.
Definitionelle Untersuchungen werden von dieser Dar-
legung nicht erwartet. Allein bei der abgegriffenen Prägung,
an der so viele unserer gangbarsten Begriffe leiden, wird
es sich doch empfehlen, sich in möglichster Kürze darüber
zu verständigen, welchen Sinn wir dem Begriffe „Erlebnis“
unterlegen wollen.
Ich verstehe darunter die Art geistiger Nahrungsauf-
nahme , bei der der Zuwachs, indem er den schon vor-
handenen geistigen Besitz durchdringt und sich mit ihm
organisch zu einem Ganzen verbindet, den Empfangenden
befähigt, bedeutende neue Gedankenassoziationen zu bilden,
weitreichende neue Perspektiven zu erfassen und so durch
Freisetzung bisher untätiger geistiger Energie den Er-
scheinungen des Lebens, im weitesten Sinne dieses Wortes,
neue Seiten des Verständnisses abzugewinnen.
Das Entscheidende bei der Beurteilung des Erlebnisses
bleibt also seine Fruchtbarkeit. Sie äußert sich in jener
erweiterten und vertieften Erkenntnis des Ichs, der Menschen
und ihrer Schöpfungen, des Lebens, der Welt, die in ge-
wissem Sinne eine Beherrschung der Erscheinungen in sich
schließt.
 
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