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Dümichen, Johannes [Hrsg.]
(Band 1): Resultate der auf Befehl Sr. Majestät des Königs Wilhelm I. von Preussen im Sommer 1868 nach Aegypten entsendeten Archäologisch-Photographischen Expedition — Berlin, 1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.3495#0009
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Das Seewesen der alten Aegypter

Bernhard Graser.

R

'ie Cultur der alten Aegypter erscheint uns, je genauer wir
dieselbe im Einzelnen kennen lernen, von immer grösserer Bedeu-
tung, von immer umfassenderem Einnuss auf die anderen Völker
des Altertkums und namentlich auf die Cultur der Griechen. Diese
Ueberzeugung, welche schon im Allgemeinen sich aufdrängt, ge-
winnen wir nun ganz besonders auf einem Gebiete, über welches
uns die jüngsten umfassenden Publikationen Dümichens so über-
raschende Aufschlüsse gewähren, wir meinen das Gebiet des See-
wesens der alten Aegypter. Das Seewesen war für die Völker
des Altertkums ein Gebiet, dessen Wichtigkeit für die Cultur sich
nicht hoch genug schätzen lässt: denn ein Meer, das Mittelmeer,
bildete räumlich wie in übertragenem Sinne den Mittelpunkt der
damaligen civilisirten Welt; die See bildete eine unbeschränkte
Bahn für die verschiedensten und umfassendsten Verbindungen zwi-
schen den Haupt Völkern jeuer Zeiten; die Herrschaft der See musste
jeder Staat erstreben, der eine wirklich doniinirende Stellung ein-
nehmen wollte, und die See wurde demgemäss der hauptsächliche
Schauplatz der wichtigsten Kriege, auf welchem das Schicksal der
Hauptstaaten jener Zeit seine Entscheidung gefunden hat.

Trotzdem war noch vor wenigen Jahrzehnten unsere Kenntniss
vom Seewesen des Alterthums überaus unvollkommen, da Werke
von Fachschriftstellern des Alterthums über das Seewesen nicht vor-
handen sind, die übrigen Schriftsteller aber dieses Gebiet nur ge-
legentlich berühren, und da andererseits die Abbildungen von
Schiffen auf Münzen, Gemmen u. s. w. mit diesen gelegentlichen
Erwähnungen nicht zu stimmen schienen. Den ersten sicheren An-
halt in dieser Beziehung gewann man durch die Auffindung der
„Attischen Seeurkunden," d. h. eines grossen Theils der Inventarien
der athenischen Flottenarsenale, welche auf grossen Marmorplatten
eingemeisselt zur Kenntnissnahme für die Bürgerschaft öffentlich
aufgestellt gewesen waren, und deren uns erhaltener Theil, aus der
Zeit des Demosthenes, glücklicherweise sehr umfänglich ist, so dass
er in der Böckh'schen Ausgabe dieser Seeurkunden über 300 Seiten
fortlaufenden Textes einnimmt. Es war Böckh's grosses Verdienst,
in der 1840 veröffentlichten Ausgabe dieser Seeurkunden die In-
schriften selbst fast in allen Stücken richtig erklärt und ausserdem
auf Grund derselben ein vollständiges Bild von der Verwaltung der
Werften entworfen zu haben.

Was dagegen die technischen Fragen der Schiffsconstruction
anlangt, so hat Böckh hinsichtlich der zahlreichen Stücke der Take-
lage, welche in den Seeurkunden wirklich erwähnt werden, in einer

Anzahl von Punkten nicht das Richtige getroffen, wie er auch später-
hin im mündlichen Verkehr uns selbst seine Beistimmung zu unseren
abweichenden Erklärungen ausgesprochen hat, und andererseits hat
er auf alle weitergehenden Combinationen verziehtet, die auf den
Seeurkunden basirend, gerade über die dort nicht namentlich
erwähnten sehr wichtigen Punkte Aufschluss geben mussten, wir
meinen Länge, Breite, Tiefgang, Tonnengehalt und Form der ver-
schiedenen Classen der athenischen Schiffe, aus denen sich in der
Hauptsache richtige Risse derselben herstellen Hessen, und vor
Allem die schwierige Anordnung ihres Ruderwerks. Es ist die
Aufgabe des Unterzeichneten gewesen, hierüber genügende Auf-
schlüsse zu finden: die Resultate derselben, auf welche zur Erklä-
rung der ägyptischen Schiffe öfter wird verwiesen*) werden müs-
sen (als Gr. §...), findet man an dem grossen Modell eines Füni-
reihenschiffs veranschaulicht, welches das Kgl. Museum zu Berlin
unter Leitung des Unterzeichneten hat erbauen lassen, und dessen
Richtigkeit im Gegensatz zu der vom jetzigen Kaiser der Franzosen
erbauten Trireme nunmehr auch von dem Letzteren uns gegenüber
anerkannt worden ist.

Allerdings beziehen sich die so gewonnenen Resultate zunächst
ausschliesslich auf das Griechisch-Römische Seewesen des 5. — 1.
Jahrhunderts v. Chr., und für diese Zeit haben wir vorzugsweise nur
schriftliche genügende Quellen, da die bildlichen Darstellungen auf
Münzen, Gemmen, den Reliefs und den Fresken, wie der Unter-
zeichnete sie in Rom und Neapel zu prüfen Gelegenheit hatte, den
Bedürfnissen des Raumes angepasst und oft stylistisch oder sonst
ungenau behandelt erscheinen, also nur mit Vorsicht zu gebrauchen
sind und nur schwache Anhaltspunkte bieten. Gerade umgekehrt
verhält es sich mit der anderen Periode der Geschichte des antiken
Seewesens, über welche uns reichere Quellen zu Gebote stehen,
wir meinen das Seewesen der Aegypter aus dem 3 und
2. Jahrtausend vor Chr.: aus dieser Zeit haben wir fast gar keine
schriftlichen Zeugnisse, da in den altägyptischen Inschriften kaum
ein Dutzend technischer Bezeichnungen (wie Capitain, Rojercom-
mandeur, Segel, Mast, Steuerruder, Bergfahrt, Thalfahrt auf dem
Strom) mit Sicherheit zu erklären sind, während andererseits die
bildlichen Darstellungen in einer Reichhaltigkeit und meist in einer
Treue der Ausführung vorliegen, welche vielleicht selbst in Bezug auf

*) Graser, De veterum re navali, Berlin 1864, bei S. Calvary, mit 31
Holzschnitten, fortgesetzt unter fortlautender Paragraphenzählung in Philol.
Suppl. 1865 HI.
 
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