Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dümichen, Johannes [Editor]
(Band 1): Resultate der auf Befehl Sr. Majestät des Königs Wilhelm I. von Preussen im Sommer 1868 nach Aegypten entsendeten Archäologisch-Photographischen Expedition — Berlin, 1869

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3495#0010
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1



#

die Dimensionen der Schiffe, ganz entschieden aber auf die speciell-
sten technischen Einrichtungen sichere Schlüsse gestatten und eine
ganz vorzügliche Anschauung geben.

Nun ist es eine höchst überraschende Thatsache, dass in den
beiden am besten bekannten Perioden der Entwicklung der antiken
Marine, wir meinen jener altägyptischen und in der Periode der
attischen Seeurkunden, obwohl sie zeitlich weit über ein Jahrtausend
auseinanderliegen, sich dennoch eine merkwürdige Gleichheit der
technischen Einrichtungen herausstellt. Allerdings sind, wie es nur
natürlich ist, in jener frühen ägyptischen Zeit alle Einrichtungen
■viel einfacher als später in der hoch und reich ausgebildeten grie-
chischen Technik mit ihrer stolzen, reich gegliederten Takelage
und ihrem wunderbar kunstvoll und complicirt ausgebildeten Ruder-
system: aber fast alle Elemente der griechischen Construction fin-
den sich, wenn auch in einfacherer Form, schon bei den ägyptischen
Schiffen des 17. Jahrhunderts v. Chr. vor, und wir sind somit, was
an sich sehr auffallend erscheinen könnte, in der Lage, nach den
Seeurkunden für fast alle Details auf den ägyptischen
Schiffen zwar nicht die altägyptischen, wohl aber die griechi-
schen Namen zu kennen, die gewiss auch zu der Zeit, wo Grie-
chenland und Aegypten in engem Seeverkehr standen, in Aegypten
selbst nicht unbekannt gewesen sind.

Sodann bieten die bildlichen Darstellungen der alten Aegypter
noch in einer anderen Beziehung ein besonderes Interesse. Man
hat bisher die Marine des Alterthums immer so behandelt, als ob
das „antike Schiff" in seiner Form ein einziger feststehender be-
stimmter Typus gewesen wäre, ohne daran zu denken, dass in den
verschiedenen, oft um viele Jahrhunderte von einander entfernten
Perioden des Alterthums die Form nothwendig verschieden gewesen
sein muss. Die Perserkriege liegen von der Augusteiseben Zeit
weiter entfernt, als die Zeit des Colunibus von unserer heutigen:
■wer möchte aber die Schiffe des Columbus und die heutigen Segel-
schiffe als einen und denselben „Typus der neueren Zeit" betrach-
ten wollen? Es ist deshalb, nachdem durch die Verwerthung der
Attischen Seeurkunden der Typus der grössten Kriegsschiffsciasse
der Demosthenischen Zeit so festgestellt worden ist, wie er sich im
Berliner Modell einer nevri^jtjg darstellt, von grösster Wichtigkeit,
die Typen sowohl der Kriegsschiffe als der Handelsschiffe auch in
allen anderen Perioden des Alterthums bei den verschiedenen Na-
tionen festzustellen und somit eine Geschichte der Entwicklung der
Schiffsform im Altertimm zu liefern, welche später für die Zeit-
bestimmung von antiken Darstellungen ohne Inschrift oft von ent-
scheidendem Werthe sein wird. Für diese Arbeit, mit welcher der
Unterzeichnete seit einigen Jahren und auch zur Zeit noch beschäf-
tigt ist, sind die wichtigste Grundlage die antiken Münzen, die als
officielle Documente oft eine historische Beglaubigung haben, welche
anderen Monumenten völlig abgeht: und als glücklichste Ergänzung
hierzu bieten sich in der vorgriechischen Zeit Aegyptens, wo in
Aegypten noch keine Münzen existiren, die Darstellungen auf den
altägyptischen Monumenten dar.

Zur Erklärung derjenigen Abbildungen ägyptischer Schiffe,
welche eine Ausbeute der letzten ägyptischen Expedition des Her-
ausgebers dieses Werks bilden, wird es nun nöthig sein, auch die
früher von demselben in dem grossen Werk „Die Flotte einer
ägyptischen Königin"*) publicirten Abbildungen in Betracht zu
ziehen, während wir die in Bockt's Seeurkunden öfter citirten

*) Wir citiren dieses Werk Dümichen's als Dum. Fl. mit lateinischer Nummer
der Tafel und deutscher Ziffer der einzelnen Zeichnung, während dieselbe Bezeich-
nung mit Dum. R. statt Dum. Fl. und a, b, c, d oder e statt der deutschen Ziffern
sich auf gegenwärtige Publication der Resultate der Expedition bezieht.

Werke von Jal, von Wilkinson, von Eosellini und das von Lepsius,
soweit nicht der Herausgeber dieselben in seinen Arbeiten heran-
gezogen hat, aus Rücksichten des Raumes ausser Betracht lassen
müssen. Es ist von besonderer Wichtigkeit für die Bearbeitung des
Seewesens der alten Aegypter, dass, wie es hier vom Herausgeber
zum ersten Mal ausgeführt worden ist, wirklich fast alle auf das See-
wesen bezüglichen Darstellungen zusammen und nebeneinander ge-
stellt worden sind, so dass eine bequeme Vergleichung möglich ist.

Es wird sich nun empfehlen, zunächst den Grundtypus des
ägyptischen Schiffs mit .seinen einzelnen Theilen festzustellen, und
dann auf den einzelnen Abbildungen die Veränderungen nachzu-
weisen, welche dieser Typus im Laufe der Zeiten erfahren hat. Da
wir nach dem Obigen von den meisten einzelnen Theilen zur Zeit
die ägyptischen Namen noch nicht kennen, wohl aber die griechi-
schen, welche ohne Zweifel wenigstens später von der in Aegypten
lebenden zahlreichen griechischen Bevölkerung gebraucht wurden,
so werden wir zur Bezeichnung der einzelnen Stücke die griechi-
schen Namen wählen, wo nicht die deutscheu Kunstausdrücke sich
mehr empfehlen. (Böckh folgend, wollen wir, wie die Seeleute,
die einzelnen Ruder Riemen nennen, gegenüber dem Steuerruder,
das auf Seeschiffen bloss das Ructer genannt wird, und die Leute,
welche die Riemen handhaben, Rojer nennen; die xnvini nennen wir
„Bootshaken," wie sie auf See heissen, nicht mit Böckh „Staken,"
wie auf unseren Flüssen). Auf die Begründung der griechischen
Namen verbietet uns der Raum hier genauer einzugehen, und wir
müssen in dieser Beziehung auf unser „De re navali ve/erum"
verweisen, wo Zeichnungen gegeben und auch die einschlagenden Stel-
len der Schriftsteller vollständig angeführt und allseitig erörtert sind.

Diejenigen Theile, welche die Schiffsform am meisten charak-
terisiren, sind die Steven mit ihren oberen Verlängerungen, d. h. es
ist vorn wie hinten derjenige Balken, welcher vom vorderen bez.
vom hinteren Ende des Kiels senkrecht oder aber mehr oder we-
niger schräg nach oben aufsteigt, und so mit dem Kiel (iqi'tciq,
Gr. § 81) zusammen gleichsam einen in dem mittleren Durchschnitt
um das ganze Schiff (ausser dem Deck) laufenden hervorstehenden
Grat bildet; der vordere von diesen beiden Balken, „Vorsteven" ge-
nannt, heisst griechisch oceiQa (Gr. § 81), der hintere, „Achtersteven"
oder „Hintersteven" genannt, heisst griechisch aoaväwv (Gr. §81). Der
Achtersteven zeigt nun bei den griechfschen und römischen Schiffen
gewöhnlich eine leicht nach aussen, d. h. nach hinten gewölbte Curve,
welche einen Knauf, einen Haken oder ein Federornament (arpXuacuv)
trägt: der Vorsteven dagegen ist entweder im. unteren Theil nach
aussen, im oberen nach innen gekrümmt, wie bei den älteren grie-
chischen Schiffen (z. B. Münzen von Sinope) und bei manchen
neueren Panzerschiffen, z. B. der englischen Panzerfregatte „Belle-
rophon", oder aber er ist unten eingezogen und oben nach vorn
ausschiessend wie bei den späteren griechischen und den römischen
Schiffen der Republikmünzen, wobei er am oberen Ende oft einenKnauf
(Berliner Penterenmodell) oder einen Haken trägt — am unteren
Ende ist bei den griechischen und römischen Kriegsschiffen stets
der Schnabel (k'/.ifinlnv, Gr. § 30, 80) angesetzt, zum Zweck des Ein-
rennens feindlicher Fahrzeuge.

Gerade hinsichtlich dieser Stevenformen weichen die ägypti-
schen Schiffe von den griechischen und römischen nicht unerheblich
ab: die Steven steigen bei ihnen regelmässig in einfacher gerader
Linie oder mit ganz leichter Krümmung des äusseren Contours vom
Kielende über Wasser auf, und sind gegen das letztere regelmässig
in überaus spitzem Winkel (viel spitzer als bei den Griechen) ge-
neigt, so dass sich auf dem über Wasser schwebenden Theil stets
Platz für mehrere Leute der Mannschaft zur Bedienung des Vor-

!>

w

¥

't/y, /■§*£<&\x"f?r~&k *&#%:ja~'!!is--:jimsfi8&> %
 
Annotationen