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Dürer, Albrecht [Ill.]
Albrecht Dürers Handzeichnungen in der Königlichen Bibliothek zu Dresden — Nürnberg, [1871]

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https://doi.org/10.11588/diglit.15808#0009
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uf der kgl. Bibliothek zu Dresden befindet sich, aus dein Besitze des bekannten sächsischen Ministers,
,Grafen Brühl, stammend, ein ansehnlicher Foliant mit Handschriften und Zeichnungen Albrecht
'"Diir e r 's, welche, wenn auch bekannt und mehrfach besprochen*), doch bisher kaum ihrem vollen
Werthe nach gewürdiget sind und, was die letzteren betrifft, bis jetzt, wie die meisten anderen Handzeichnun-
gen des grossen Meisters, den Vorzug nicht erlangt hatten, durch photographische Vervielfältigung der Allge-
meinheit zugänglich gemacht zu werden. — Der Band enthält, in zwei Theile zerfallend, im ersten nebst ein
paar Schreiben an Willibald Pirkheimer das Manuscript zum ersten Buche der bekannten Dürer'schen Pro-
portionslehre, wahrscheinlich die Reinschrift, welche der Verfasser seinem Freunde, dem er das Werk widmen
wollte, mit der Bitte übergab, eine Vorrede dazu zu schreiben. Dahin weist, ausser einigen anderen Umstän-
den, der Inhalt der erwähnten kleinen Schriftstücke, der indess hier unser Interesse nicht berührt, Der zweite
Theil, den wir einen Anhang nennen könnten, wenn er nicht stärker wäre als der erste, umfasst eine Samm-
lung zahlreicher Studien und einiger ausgeführten Zeichnungen, welche, wenn auch aus losen Blättern aneinander
gefügt und Mancherlei bietend, der Hauptsache nach wiederum aus Vorarbeiten zu dem genannten Druckwerke
Dürers bestehen.

Die äussere Verfassung und der genaue Inhalt der in Rede stehenden Sammlung ist in den in der An-
merkung aufgeführten Beschreibungen angegeben. Die nachfolgenden vierzig Blätter bringen eine Auswahl der
bildlichen Darstellungen in photographischer Wiedergabe. Ihr schlichter Vortrag, der häutig bei leicht skizzir-
tem Entwürfe stehen bleibt und über den einfachen Ilmriss selten hinausgeht, lässt kaum errathen, dass wir
mit ihnen vor einer der wichtigsten Thatsachen auf dem ganzen Gebiete unserer Kunstgeschichte stehen.
Zu ihrer Würdigung dürften deshalb einige Bemerkungen gerechtfertigt sein, welche sie in die ganze Wirk-
samkeit des Meisters und die Strebungen seiner Zeit einfügen.

In dieser Beziehung haben wir uns zu vergegenwärtigen, wie im Verlaufe des fünfzehnten Jahrhunderts
die asketische Richtung des Mittelalters hei den nordischen Völkern so vollständig zum Durchbruch gelangte,
dass, indem sie im Leben selbst zwar ihren materiellen Rückschlag sogleich mit sich führte, auf dem Gebiete
der Kunst, was sonst zur Vermittelung von deren Gedanken dient, die Körperlichkeit, zum Hemmniss wurde,
das erst zu durchdringen war, bis man zu positivem Inhalt gelangte, dass dieser vielmehr gerade in der Hin-
wegräumung seiner natürlichen Unterlage gesucht ward. Wer je mit unvoreingenommener Empfindung vor
Bildwerken der genannten Zeit stand, in deren Mehrzahl sich gleichwohl auch das unnatürliche Streben selbst
verurtheilt, indem es dahin führt, wohin man am wenigsten zu kommen dachte, zu jenem derben, aller idealen
Richtung baren Realismus, der auf die Dauer der Tod aller wahren Kunst werden musste, wird des näheren
Nachweises für das Gesagte nicht bedürfen. — In Italien, wo der niemals ganz verloren gegangene Zusammen-
hang mit der Kunst des classischen Alterthums und der Anblick seiner Meisterwerke dem Auge des Volkes
stets einen gewissen Höhepunkt gegenwärtig hielt, war die falsche Wendung der bildnerischen Thätigkeit bald
überwunden, wenn dieser Vortheil auch, mehr durch äussere Verhältnisse gegeben, einen Nachtheil mit sich
führte, der nicht minder schwer in's Gewicht fiel, nämlich jenen leeren Formalismus, in welchen die Kunst
jenseits der Alpen endlich ausartete, der mit dem ererbten Verfahren auch den echten Geist, die richtige Wir-
kung überkommen zu haben vermeinte und der trotz der Gehaltlosigkeit, in welcher er bald sich blossstellte,
doch noch die Aufgabe übernahm, die Kunst des übrigen westlichen Europas zu regeneriren. Deutschland war
es vorbehalten, eine Wiedergeburt aus dem Geiste und in der Wahrheit anzubahnen. Zwar kam auch dazu
der nächste Anstoss aus Italien und namentlich Dürer, der zuerst mit dem Berufe betraut ward, scheint dort
die anfänglichen Ideen dazu geschöpft zu haben; denn, wie aus dem Dresdener Sammelbande hervorgeht, treten
bald nach seinem Aufenthalte in Venedig die ersten Spuren seiner wissenschaftlichen Beschäftigung auf, wie
auch andere Umstände dahinweisen, deren Erörterung uns hier zu weit führen würde. Doch ist die Art und
Weise, wie er sich dieser Aufgabe unterzog, so bedingend für ihr ganzes Wesen, so nachhaltig für ihre fernste
Wirkung, dass die Arbeit als eine durchaus eigene und eigenthümliche betrachtet werden kann.

Denn was er auch als fremde Anregung in sich aufgenommen haben mochte — er suchte die Recht-
fertigung dafür so tief in seinem Gemüthe, führte die Entwicklung mit solcher inneren Genugthuimg durch,
dass die Befreiung und Geltendmachung des künstlerischen Gewissens immer das Hauptergebniss seiner Arbeit
blieb. Denn wir müssen uns in Zeit und Lage des Künstlers versetzen, uns erinnern, in welcher Umgebung
er aufwuchs, um vollkommen zu würdigen, wenn er unternahm, vor den Schreckgestalten der böhmischen Schule,
die unzweifelhaft der Nürnberger ihren Ausgang gegeben, nach einem Ideal der menschlichen Bildung zu suchen,
welchen Widerstand er andrerseits in dem phantastischen Elemente zu durchbrechen hatte, das, schon als Erbe
der Vorzeit, die Unterlage seines Talentes bildete, um zu begreifen, was es bedeutete, wenn gerade er die
Regeln der Kunst auf einfache mathematische Grundsätze zu begründen unternahm. — Wovon die gedruckten
Proportionen keine Ahnung mehr geben, zeigt das Dresdener Manuscript, wie er während 20 Jahren seine
Aufgabe mit unermüdlichem Eifer, gewissenhaftestem Ernste und wachsender Klarheit verfolgte, wie er, ganz

*) Vgl. L. Hausmann: Albrecht Dürer's Kupferstiche, Radirungen, Holzschnitte und Zeichnun-
gen; Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 1S71. Nr. IX; Archiv für die zeichnenden Künste, IV. u. A.
 
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