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setzt, auf dessen spitzem Dache sich siegreich übereinander drei
vergoldete Kugeln und der Halbmond erheben, das Zeichen der
Gebetstürme im arabischen Westland, dem Maghreb. Ueber die
Dächer hinaus ragen noch eine Menge Kuppeln, weisse, schiefer-
gedeckte, grüne, die letzteren über den Kubbah der Heiligen er-
richtet; besonders nach dem Hügel, auf dem das Castell Sidi-ben-
Hassan liegt, erblicken wir eine grosse, im Stil der Moscheen von
Konstantinopel erbaute Moschee, wo um eine mächtige Central-
kuppel sich kleinere lagern. Auch die Arkaden, die den Hof einer
Moschee umgeben, können wir sehen; man erzählt uns, class sie
von antiken Säulen getragen sind, einer Beute von den Trümmern
Karthagos, aber wir müssen ja darauf verzichten, sie zu betrachten.
Nur selten, soweit das Auge späht, erfreut der Anblick von grünen
Wipfeln, etwa einer einsamen, hochaufgeschossenen Palme mit ihren
feingefiederten Wedeln, und doch nennt sie der Araber auch »die
Grüne«; so mag ihm wohl die Stadt in ihrer Landschaft erscheinen,
wenn ihm mitten in der Wüste seine Phantasie die volkreiche Stadt
zeigt. In dem europäischen Viertel treffen wir mehr Sorge für schöne
Gartenanlagen, herrliche Platanen, gelbblühende Mimosen, und dort
kann man wohl auch einen Mauren sehen, der unter seinen Orangen
langsam dahingeht. Europäisch gebauten Häusern begegnet man auch
in den Bezirken der alten Stadt, ihre Zahl wächst sehr, seit die Regent-
schaft von Tunis unter französischem Protektorate steht. Die euro-
päische Bauweise scheint uns in dieser Umgebung so fremdartig,
weil hier doch nur die orientalische, die maurische ihre Bildung
von der Natur des heimischen Klimas empfangen hat. Denselben
Eindruck erhält man, wenn man sich durch die Räume des Palastes
selbst führen lässt.

Wenn man, von einem uniformierten Offizier, der beglückt
den Bakschisch empfängt, geleitet, durch die Flucht der Zimmer
geht, die im Schlosse der Besichtigung geöffnet werden, so freut
man sich der luftigen, freien Innenhöfe, der Patio des maurischen
Hauses, die besonders reizvoll wirken, wenn Palmenfächer, blühende
Pflanzen und allerlei grünes Gerank in Kübeln und Töpfen das
Ganze beleben und wenn die anstossenden Gemächer geöffnet sind,
in denen eine so anmutige, kühle, zum Träumen einladende Dämme-
rung herrscht. Die Patio der Dar-el-bey tragen alle den reichen
Zierschmuck der maurischen Kunst und zeigen noch das Gepräge
der guten Tradition, die allmählich verloren geht, seit die vornehmen
Tunisiner es vorziehen, ihre Wohnräume in europäischem Geschmack
zu halten. Die leichten Hufeisenbögen, die auf besondere Kämpfer
sich stützen, die Marmorverkleidung der Wände mit ihren bunten
Mustern, denen die schwarzen und weissen Streifen der Bogen ent-
sprechen, die glänzenden Fliesen, welche die Stelle einer Holzver-
täfelung überall hier zu Lande vertreten, der köstlich feine und zier-
liche Filigranstuck, der mit seinen verschlungenen Figuren wie selt-
same Rätsel das Auge beschäftigt, ohne es zu ermüden, das prunk-
volle Schnitzwerk der Decken, all das übt fast einen bestrickenden
Reiz aus. In demselben Charakter sind die Gemächer gehalten; da
treffen wir auch noch die Stalaktitengewölbe verwendet, die hier,
von schlanken Säulchen getragen, die Längswand gliedern helfen.
Aber in alle diese stimmungsvolle maurische Herrlichkeit ist stillos
allerlei europäischer Hausrat hineingestopft, verblichene Möbel aus
den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, einige Bilder der gleichen
Zeit, moderne Portieren u. a., und so findet man denn in einem
Sitzungszimmer einen langen Regierungstisch, der mit einer roten
Decke belegt ist, welche auch durch einige historische Tintenflecke
die Weihe erhalten hat. Der Palast ist auch Sitz der Regierung,
über der einen Thür des Patio liest man »Chancellerie«; denn die
Regierung hat französisch gelernt. Jeden Montag in der Woche
kommt der Bey von seinem Landsitz in Marsa, geschmückt mit
grossen Sonnenorden, um von 8—IO Uhr Regierungsgeschäfte und
Besuche bei dem französischen Militär zu erledigen. Als Haupt-
sehenswürdigkeiten gelten Hinrichtungen, die in früheren Zeiten
gegen Eintrittsgeld zugänglich waren. Als der Bey noch im Bardo
residierte, sah er von der berühmten Löwentreppe dem Schauspiel

zu, während in der offenen Säulenhalle sich seine Höflinge drängten.
Auch in der Zeit des Fastenmonats Ramadhan pflegt der Fürst in
dem Stadtpalaste zu verweilen und in wohlwollender Vergnüglichkeit
sich an dem Carnevaltreiben seines Volkes zu erfreuen.

Unmittelbar vom Dar-el-Bey gelangen wir in die geschäftigen
Strassen von Tunis, dies verwirrende Labyrinth von engen und
krummen Gassen und Gässchen und Sackgässchen, in denen man
so gern sich verläuft, in die Souks, die meist mit Brettern überdeckt
sind, welche dem Regen und dem starken Sonnenlichte den Eingang
wehren. Nur Aeusserlichkeiten aus der bunten Fülle des Lebens,
das in diesem Stadtbezirk sich drängt, können hier berichtet werden;
ein unendliches Vergnügen gewährt aber schon die Betrachtung
dieser wechselvollen malerischen Scenen, dieser seltsamen Gestalten
aus einer andern Welt, die in uns die Sehnsucht wecken, nun auch
mehr von dem inneren Leben dieser fremden Volksstämme kennen
zu lernen.

Würdevoll schreiten hohe arabische Gestalten dahin, in ihren
weissen Burnus gehüllt, auf dem Kopfe den roten Fez, um den der
weisse oder blaue Turban gewunden ist; an dem scharfen Auge
und der vorspringenden Habichtsnase erkennt man den Nachkommen
der kühnen und räuberischen Wüstensöhne. Dort wandeln behaglich
im Gespräch die prächtig gekleideten Araber der Stadt, die Mauren,
die reiche Stickerei an den meist blauen oder braunen oder auch
buntgestreiften Jacken tragen, die unter dem blauen Mantel sichtbar
werden; tadellos weiss sind die Strümpfe, mit entschiedener Virtuo-
sität bewegen sie sich in ihren kleinen Pantöffelchen; zum Teil
bevorzugen sie schon elegante französische Chaussure. Es ist Früh-
ling, da trägt mancher der Araber unter dem Fez eine duftige
Nelke, und besondere Gourmands des Geruchs stecken Orangen-
blüten in die Nase, um den würzigen Hauch so unmittelbar wie
möglich zu gemessen. Dann kommen die Arbeiter, die über dem
Hemd und der kurzen faltenreichen Hose nur die Djobba tragen,
jenen hemdartigen Kittel, der oben einen kurzen Schlitz hat und
bis zu den Schenkeln reicht. Mancher hat sein Gewand aus ein-
fachstem Sackleinen zurechtflicken lassen, auf der noch die Namens-
züge einer Exportfirma von Marseille oder London zu erkennen sind.
Mit grosser Leichtigkeit tragen sie ihre schweren Lasten auf dem
Kopfe, oder auch grosse Platten mit köstlichen Kuchen oder anderen
Süssigkeiten, an denen der Araber seine Freude hat. Als Lastträger
begegnen nicht selten auch Neger, die in den Cafes oder wo sie
sonst sich sehen lassen, von den Arabern gehänselt werden; sie
erinnern noch an die Zeit, wo der Sklavenmarkt in Tunis, ein
grosser Platz mit kleinen Zimmerchen ringsum, rege besucht war.
Von den Mauren unterscheiden sich die Juden wenig in der Tracht,
nur manche Abzeichen, wie die Farbe des Turbans, trennen sie
von den Moslemin. In der letzten Zeit tragen sie Neigung, in Sitte
und Kleidung der neuen herrschenden Bevölkerungsklasse, den Fran-
zosen, sich zu nähern. Vom Lande her kommen die Berbern, oft
in zerrissenem und zerschlissenem Burnus, mit ihren Kamelen oder
Eseln, um etwa Holzkohle in Olivengeflecht oder die Früchte ihrer
Aecker auf den Markt zu bringen. Eine höchst seltsame Strassen-
figur machen die Marabuts, jene wunderbaren Heiligen, die immer
wieder aus dem Islam emporkommen und durch viel Beten, Betteln
und grosse Gleichmütigkeit gegen Sauberkeit und Bequemlichkeit
Ansehen und Verehrung gewinnen. Und dann die Frauen. Meist
in weisse, grosse Tücher gehüllt, trippeln sie langsam hin, und so
manche ist schier so breit wie hoch. Denn zu dem Ideal der
semitischen Schönheit gehört nicht die scharfe Plastik der Form,
sondern wohlgepflegte üppige Rundlichkeit der Glieder. Die mau-
rischen Frauen tragen einen schwarzen Schleier vor dem Gesichte,
und wenn sie auch ihr Auge vor der Entweihung schützen wollen,
halten sie noch ein dunkles Tuch weit vor das Gesicht gespannt,
durch das nur spärliche Schimmer dieser Welt hindurchdringen
können. Auf dem Lande dürfen die Töchter des Islam das Antlitz
entschleiern, aber sie haben doch die Neigung, bei der Annäherung
eines Fremden ein Stuck des Gewandes vor das Gesicht zu ziehen.
 
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