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zu erzählen; bald Hess er viele Worte hinrollen, drohend hob sich
die Stimme, bald klang die Erzählung w e ein Dialog, wo wie Bälle
die Worte hin und herfliegen oder wie sich kreuzende Waffen nieder-
fahren; nachdrucksvoll wurden einzelnen Wörter betont. Mit sprechen-
der Gebärde begleitete er oft die Sätze: die Hand vor die Augen
haltend, spähte er in die Ferne, rief nach rechts und nach links
einen Namen Kalama in die Szene, schnüffelte höchst ergötzlich in
der Luft umher, wenn er Unrat merkte. Bald hingen die Beine
schlaff auf den Boden, bald zog er sie behaglich auf den Stuhl, wo
er bequem hockte und die Füsse rieb, indess ihn ein Zug aus dem
Haschischpfeifchen belohnte. Auf dem Platze Halfaouin selbst Hess
sich jeden Tag ein Schlangenbändiger sehn, um den sich immer
viel Volk im Kreise drängte; und man folgte aufmerksam der mit
äusserster Zungenfertigkeit hervorgestossenen Beschwörungsformel
des jungen Menschen, der in seiner sackähnlichen Djobba nach dem
dumpfen Klang einer Handtrommel seine rhythmisch abgemessenen
Schritte machte und sich in eine ganz dämonisch wirkende Stimmung
hineinsteigerte, bei der ihm der Schweiss vom Gesicht triefte; er
wirft endlich den Turban ab, dass die langen Strähnen des Haares
sichtbar werden. Die hervorgelockte Schlange nimmt er um den
Hals, er lässt sich von ihr in die Zunge beissen und spuckt Blut,
dass ein geheimes Grauen die kleinen ringsherum hockenden Zu-
schauer ergreift. Aber auch andere Künste verstehen diese Meister,
sie können sich von Skorpionen stechen lassen, ohne dass es schadet,
sie verzehren Stachelfeigen mit den Stacheln, sie stossen sich eiserne
Nägel in die Stirn und die Nase und verrichten noch mehr solche
Wunderdinge, die ihnen bei dem abergläubischen Berber, der ein-
mal in die Stadt kommt, besonderes Ansehen verschaffen.
Zum Schluss noch ein Besuch in der Schule. In die Sawiya
der grossen Moschee Djama-ez-Zeituna, wo die korangelehrten Priester
und Kadi gebildet werden, hatte man freilich keinen Zutritt, man
konnte nur die Studiosen vergnügt durch die Strasse ziehen sehen;
aber gelegentlich lockte ein glückliches Gewirr von jugendlichen
Stimmen hinauf in den engen Käfig, wo junge Rangen von Tunis
Lesen und Schreiben und Sitte und Koran lernen sollten. Muntere
Jungen in ihren hellen roten oder blauen Seidenjacken, mancher
leider mit kranken Augen, einzelne beschäftigt, sich am Ohr zu
fassen oder sonst Unfug zu treiben. Auf einer kleinen Erhöhung
aber sass mit unendlichem Wohlwollen und olympisch heitrer Ruhe
der Meister von der Schule und hörte einzelnen ihre Lektion ab,
die dann ihre Holztafel mit der arabischen Schrift fröhlich in eine
Ecke warfen. Er aber grüsste uns freundlich, die Hand nach dem
Herzen bewegend, edler Philosoph der Winkelschule.
Mit der Trambahn, auf der Männer im Burnus, im eleganten
blauen Mantel, Jüdinnen und Europäer mit Fez und mit Filz neben
einander Platz finden, kommen wir durch den Thorbogen der zinnen-
gekrönten Bab-el-Bahar (jetzt Porte de France) in das Frankenviertel,
zur Avenue de France und de la Marine, wo Orient und Occident
im lustigen Sonnenschein sich vorwärts treibt. Hier hat die franzö-
sische Kultur ihren Sitz aufgeschlagen; elegante Cafes, Friseursalons,
Buchhandlungen, Blumen- und Tabaksläden, Bijouterieläden, in denen
alle Artikel von Paris und von Tunis sich finden, reihen sich an
einander. Der gewandte Kellner und die graziöse, aber reichlich
geschminkte Verkäuferin, Herren und Damen nach der Mode des
Tages begegnen hier; man könnte manchmal meinen, auf einem
Pariser Boulevard zu sein. Jedenfalls freut man sich, nachdem man
einige Stunden drüben im Orient geweilt, an dem Comfort des
Occidents. Frankreich macht den Anspruch, Tunis wieder zum
Glänze der römischen Provinz zu erheben, man liest kein franzö-
sisches Werk, keinen französischen Journalartikel über die Regent-
schaft, der nicht in den hoffnungsvollsten Tönen von der Zukunft
des Landes redete. Die Arbeit, welche die Franzosen leisten wollen,
wird freilich viel schwerer sein, als was die römischen Imperatoren
mit ihren Legionen und mit ihren Ingenieuren geleistet haben. Rom
war die Erbin Karthagos und der numidischen Könige glückliche
Anfänge führten es zur höchsten Entwicklung; Frankreich ist Erbe
der unendlichen Misswirtschaft der Bey, aus Trümmern und aus
Verwüstung will es die alte Blüte hervorzaubern. Die archäologische
Forschung ist einstweilen den Franzosen zu vielfachem Danke ver-
pflichtet. Sie verfolgt hier im Lande noch die besondere Aufgabe,
dem praktischen Staatsmann und dem Militär Fingerzeige zu geben;
beide können oft nichts besseres thun, als die Organisationen der
Römer wieder aufleben zu lassen. Denn wieder gilt es, dieselben
Stämme, die seit unvordenklichen Zeiten diesen Boden innegehabt
haben, zur Mitarbeit an der Kultur zu erziehen, dieselben Schwierig-
keiten der Natur zu überwinden, die gleichen geographischen Not-
wendigkeiten zu verstehn und zu verwerten. Wer nur das Museum
Alaoui im Harem zu Bardo, das jetzt unter der Leitung des ver-
dienstvollen Herrn Gauckler steht, durchwandert hat, wird mit
reicher Belehrung über die Geschichte und die Kunst der Provincia
Africa und mit freudiger Anerkennung der bisherigen Leistungen
scheiden. F. Rosiger,
ma
Tafel 145—147.
Atl. archeol. de la Tunisie. Toutain, Les cites romaines d'Afrique (1896). Ein ausführlicher Bericht Gaucki.ers steht zu erwarten. Im Allgemeinen: Gaucki.er,
L'archeologie de la Tunisie. Par. 1896.
jjUnis ist ein Land der Ruinen. In anderen Gebieten, wo
ein Herrengeschlecht durch ein anderes verdrängt worden
ist, wo ehemalige Reiche in Trümmer gesunken sind, haben sich
die Stätten einer neuen Kultur auf der früheren aufgebaut. Die
Vandalen waren es nicht, die in Afrika die glänzenden Werke der
römischen Arbeit wie Kartenhäuser umgestossen haben, erst haben
die Byzantiner die prachtvollen Bauten der Römer geplündert, um
ihre starken Citadellen zu bauen, dann haben die Araber zerstört,
verwüstet, verfallen lassen, und ihre Zelte oder elenden Häuser haben
sie im Schatten der grossen Monumente eines anderen Volkes er-
richtet, unbekümmert um ihr Dasein; höchstens dass sie den Boden
und die Bauwerke nach Schätzen durchwühlt haben, die eine aber-
gläubische Phantasie überall vermutet, wo seltsame Ruinen stehen.
So hat sich doch noch vieles erhalten. In einer Wüstenzone, die
den Typus der starren Dürre, der unbewohnten Oede darstellt,
trifft der staunende Blick des Reisenden auf die Ruinen beträcht-
licher Kanalisation, auf der meerähnlichen Fläche der wüsten Hoch-
ebene von Hammada ragen zwei reichgezierte Grabmäler auf wie
zwei einsame Leuchttürme ehemaliger Macht und Bildung. In Algier
sind es Städte wie Timgad (Thamugadi) und Lambaesis an den
Ausläufern des Auresgebirges, die uns eine lebendige Vorstellung
von den Verhältnissen der römischen Städte und den militärischen
zu erzählen; bald Hess er viele Worte hinrollen, drohend hob sich
die Stimme, bald klang die Erzählung w e ein Dialog, wo wie Bälle
die Worte hin und herfliegen oder wie sich kreuzende Waffen nieder-
fahren; nachdrucksvoll wurden einzelnen Wörter betont. Mit sprechen-
der Gebärde begleitete er oft die Sätze: die Hand vor die Augen
haltend, spähte er in die Ferne, rief nach rechts und nach links
einen Namen Kalama in die Szene, schnüffelte höchst ergötzlich in
der Luft umher, wenn er Unrat merkte. Bald hingen die Beine
schlaff auf den Boden, bald zog er sie behaglich auf den Stuhl, wo
er bequem hockte und die Füsse rieb, indess ihn ein Zug aus dem
Haschischpfeifchen belohnte. Auf dem Platze Halfaouin selbst Hess
sich jeden Tag ein Schlangenbändiger sehn, um den sich immer
viel Volk im Kreise drängte; und man folgte aufmerksam der mit
äusserster Zungenfertigkeit hervorgestossenen Beschwörungsformel
des jungen Menschen, der in seiner sackähnlichen Djobba nach dem
dumpfen Klang einer Handtrommel seine rhythmisch abgemessenen
Schritte machte und sich in eine ganz dämonisch wirkende Stimmung
hineinsteigerte, bei der ihm der Schweiss vom Gesicht triefte; er
wirft endlich den Turban ab, dass die langen Strähnen des Haares
sichtbar werden. Die hervorgelockte Schlange nimmt er um den
Hals, er lässt sich von ihr in die Zunge beissen und spuckt Blut,
dass ein geheimes Grauen die kleinen ringsherum hockenden Zu-
schauer ergreift. Aber auch andere Künste verstehen diese Meister,
sie können sich von Skorpionen stechen lassen, ohne dass es schadet,
sie verzehren Stachelfeigen mit den Stacheln, sie stossen sich eiserne
Nägel in die Stirn und die Nase und verrichten noch mehr solche
Wunderdinge, die ihnen bei dem abergläubischen Berber, der ein-
mal in die Stadt kommt, besonderes Ansehen verschaffen.
Zum Schluss noch ein Besuch in der Schule. In die Sawiya
der grossen Moschee Djama-ez-Zeituna, wo die korangelehrten Priester
und Kadi gebildet werden, hatte man freilich keinen Zutritt, man
konnte nur die Studiosen vergnügt durch die Strasse ziehen sehen;
aber gelegentlich lockte ein glückliches Gewirr von jugendlichen
Stimmen hinauf in den engen Käfig, wo junge Rangen von Tunis
Lesen und Schreiben und Sitte und Koran lernen sollten. Muntere
Jungen in ihren hellen roten oder blauen Seidenjacken, mancher
leider mit kranken Augen, einzelne beschäftigt, sich am Ohr zu
fassen oder sonst Unfug zu treiben. Auf einer kleinen Erhöhung
aber sass mit unendlichem Wohlwollen und olympisch heitrer Ruhe
der Meister von der Schule und hörte einzelnen ihre Lektion ab,
die dann ihre Holztafel mit der arabischen Schrift fröhlich in eine
Ecke warfen. Er aber grüsste uns freundlich, die Hand nach dem
Herzen bewegend, edler Philosoph der Winkelschule.
Mit der Trambahn, auf der Männer im Burnus, im eleganten
blauen Mantel, Jüdinnen und Europäer mit Fez und mit Filz neben
einander Platz finden, kommen wir durch den Thorbogen der zinnen-
gekrönten Bab-el-Bahar (jetzt Porte de France) in das Frankenviertel,
zur Avenue de France und de la Marine, wo Orient und Occident
im lustigen Sonnenschein sich vorwärts treibt. Hier hat die franzö-
sische Kultur ihren Sitz aufgeschlagen; elegante Cafes, Friseursalons,
Buchhandlungen, Blumen- und Tabaksläden, Bijouterieläden, in denen
alle Artikel von Paris und von Tunis sich finden, reihen sich an
einander. Der gewandte Kellner und die graziöse, aber reichlich
geschminkte Verkäuferin, Herren und Damen nach der Mode des
Tages begegnen hier; man könnte manchmal meinen, auf einem
Pariser Boulevard zu sein. Jedenfalls freut man sich, nachdem man
einige Stunden drüben im Orient geweilt, an dem Comfort des
Occidents. Frankreich macht den Anspruch, Tunis wieder zum
Glänze der römischen Provinz zu erheben, man liest kein franzö-
sisches Werk, keinen französischen Journalartikel über die Regent-
schaft, der nicht in den hoffnungsvollsten Tönen von der Zukunft
des Landes redete. Die Arbeit, welche die Franzosen leisten wollen,
wird freilich viel schwerer sein, als was die römischen Imperatoren
mit ihren Legionen und mit ihren Ingenieuren geleistet haben. Rom
war die Erbin Karthagos und der numidischen Könige glückliche
Anfänge führten es zur höchsten Entwicklung; Frankreich ist Erbe
der unendlichen Misswirtschaft der Bey, aus Trümmern und aus
Verwüstung will es die alte Blüte hervorzaubern. Die archäologische
Forschung ist einstweilen den Franzosen zu vielfachem Danke ver-
pflichtet. Sie verfolgt hier im Lande noch die besondere Aufgabe,
dem praktischen Staatsmann und dem Militär Fingerzeige zu geben;
beide können oft nichts besseres thun, als die Organisationen der
Römer wieder aufleben zu lassen. Denn wieder gilt es, dieselben
Stämme, die seit unvordenklichen Zeiten diesen Boden innegehabt
haben, zur Mitarbeit an der Kultur zu erziehen, dieselben Schwierig-
keiten der Natur zu überwinden, die gleichen geographischen Not-
wendigkeiten zu verstehn und zu verwerten. Wer nur das Museum
Alaoui im Harem zu Bardo, das jetzt unter der Leitung des ver-
dienstvollen Herrn Gauckler steht, durchwandert hat, wird mit
reicher Belehrung über die Geschichte und die Kunst der Provincia
Africa und mit freudiger Anerkennung der bisherigen Leistungen
scheiden. F. Rosiger,
ma
Tafel 145—147.
Atl. archeol. de la Tunisie. Toutain, Les cites romaines d'Afrique (1896). Ein ausführlicher Bericht Gaucki.ers steht zu erwarten. Im Allgemeinen: Gaucki.er,
L'archeologie de la Tunisie. Par. 1896.
jjUnis ist ein Land der Ruinen. In anderen Gebieten, wo
ein Herrengeschlecht durch ein anderes verdrängt worden
ist, wo ehemalige Reiche in Trümmer gesunken sind, haben sich
die Stätten einer neuen Kultur auf der früheren aufgebaut. Die
Vandalen waren es nicht, die in Afrika die glänzenden Werke der
römischen Arbeit wie Kartenhäuser umgestossen haben, erst haben
die Byzantiner die prachtvollen Bauten der Römer geplündert, um
ihre starken Citadellen zu bauen, dann haben die Araber zerstört,
verwüstet, verfallen lassen, und ihre Zelte oder elenden Häuser haben
sie im Schatten der grossen Monumente eines anderen Volkes er-
richtet, unbekümmert um ihr Dasein; höchstens dass sie den Boden
und die Bauwerke nach Schätzen durchwühlt haben, die eine aber-
gläubische Phantasie überall vermutet, wo seltsame Ruinen stehen.
So hat sich doch noch vieles erhalten. In einer Wüstenzone, die
den Typus der starren Dürre, der unbewohnten Oede darstellt,
trifft der staunende Blick des Reisenden auf die Ruinen beträcht-
licher Kanalisation, auf der meerähnlichen Fläche der wüsten Hoch-
ebene von Hammada ragen zwei reichgezierte Grabmäler auf wie
zwei einsame Leuchttürme ehemaliger Macht und Bildung. In Algier
sind es Städte wie Timgad (Thamugadi) und Lambaesis an den
Ausläufern des Auresgebirges, die uns eine lebendige Vorstellung
von den Verhältnissen der römischen Städte und den militärischen