Bildzonen zugrunde. Unten die figurenreiche Szene der Auferstandenen in allen denk-
baren Haltungen und Bewegungen, die energisch betonte Plastizität der Körpermassen,
raumgestaltende Schichten und Gruppen, oben Beschränkung auf zwei mächtige Ge-
stalten, nur wenig unter sich variiert, die weite Fläche allein im graphischen Umriß
beherrschend, und zur bloßen Füllung und ornamentalen Belebung das bunte Gewebe
von flatternden Tüchern, Bändern und kleinen Engeln.
Mitte des 14. Jahrhunderts hat Lorenzo Maitani die Fassade des Orvietaner Doms
mit einem ausgezeichneten Reliefzyklus der letzten Dinge geschmückt. Oftmals mag
Signorelli während seiner Tätigkeit in der Capella Nuova bewundernd vor diesem
Meisterwerk der Plastik gestanden haben und bei aller Eigenheit persönlicher Ge-
staltungskraft mögen ihm Anregungen für dasselbe Thema von dort zugeflossen sein.
Halten sich jene Darstellungen im allgemeinen an das traditionelle Schema des Mittel-
alters, so fällt doch die eine Szene der Verdammten durch die unerhörte Kühnheit
ihrer freien Behandlung sofort heraus. Schon allein die außerordentliche Variabilität,
die Maitani dem nackten menschlichen Körper an Stellung und Bewegung zu sichern
verstand, mußte für den Cortonesen etwas Fesselndes haben, mehr aber noch war
es das Interesse an dem leidenschaftlichen Kampf der höllischen Geister mit ihren
Opfern und an den grimassierenden Physiognomien der Köpfe. Weder die Malerei
noch die Plastik des ausgehenden Mittelalters hatte in Italien die Peinigungsszene der
Verdammten mit so dämonischer Intensität vergegenwärtigt, wie der Bildhauer der
Orvietaner Fassade, und so führt der Weg unmittelbar von diesem Bildwerk zu Signo-
rellis Darstellung, wo ein letztes an Potenzierung der Terribilität des Inferno gegeben
wird. Es ist das Fresko zur Rechten der Auferstehung der Toten, kontrastierend zum
gegenüberliegenden Wandbild der Seligen. Wieder hat der Künstler es vermieden, von
der Szene eine örtlich reale Vorstellung zu vermitteln; keine grausigen Höllenschlünde
mit felsigen Klüften, kein Feuerstrom dienen als nähere Bezeichnung des Schauplatzes;
nur an der linken Seite schlägt ein Flammenmeer hervor, in das einzelne Opfer ge-
stürzt werden. Ein gewisser Bewegungszug dorthin ist zwar nicht zu verkennen, aber
eine durchgehende Einheitlichkeit nach dieser Richtung ist nicht beabsichtigt. Was
Signorelli zur Darstellung bringt, ist der dämonische Furor und die Vernichtungswut,
mit der die höllischen Geister auf ihr Opfer stürmen, sie treten, knebeln, beißen,
drosseln und fortschleppen. In drei Figurenschichten, die eng ineinander verschlungen
zu einer Einheit verbunden sind, entwickelt sich der teuflische Überfall und rasende
Kampf mit den Unseligen. Von rückwärts her sind die Dämonen gleich einer ge-
schlossenen Phalanx auf ihre Opfer gestürzt, um sie ihrem unentrinnbaren Schicksal,
der ewigen Verderbnis entgegenzutreiben. Die orkanartige Geschwindigkeit, die maß-
lose Heftigkeit und organisierte Wildheit der Teufel lassen kaum schüchterne Versuche
einer Gegenwehr und der Flucht aufkommen. Was als Widerstand erscheint, ist nur
mehr das entsetzende Aufbrüllen, die mechanische Funktion einer natürlichen Leibes-
reaktion, die letzte verzweifelte Gebärde einer triebhaften Selbsterhaltung. So entfesselt
sich keine eigentliche Kampfaktion, sondern allein die zerfleischende Zerstörungswut
der infernalen Henker. Mit einer geradezu visionären Kraft künstlerischer Vorstellung
und mit erstaunlicher Freiheit des Könnens ist Signorelli der Schilderung dieser un-
heimlichen Gestaltenwelt und ihrem chaotischen Gewoge nachgegangen. Das Drängende
und Unaufhaltsame des Angriffs und Fortreißens, die ungeheure Stoßkraft des Linien-
duktus in seinem zuckenden Auf-und-Nieder, Vor-und-Zurück, die unentwirrbare Viel-
heit der Bewegungen und Aspekte sind von so schlagender Realistik und Anschaulich-
keit, daß man das Tosen und Heulen dieses rasenden Ringens zu vernehmen glaubt.
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baren Haltungen und Bewegungen, die energisch betonte Plastizität der Körpermassen,
raumgestaltende Schichten und Gruppen, oben Beschränkung auf zwei mächtige Ge-
stalten, nur wenig unter sich variiert, die weite Fläche allein im graphischen Umriß
beherrschend, und zur bloßen Füllung und ornamentalen Belebung das bunte Gewebe
von flatternden Tüchern, Bändern und kleinen Engeln.
Mitte des 14. Jahrhunderts hat Lorenzo Maitani die Fassade des Orvietaner Doms
mit einem ausgezeichneten Reliefzyklus der letzten Dinge geschmückt. Oftmals mag
Signorelli während seiner Tätigkeit in der Capella Nuova bewundernd vor diesem
Meisterwerk der Plastik gestanden haben und bei aller Eigenheit persönlicher Ge-
staltungskraft mögen ihm Anregungen für dasselbe Thema von dort zugeflossen sein.
Halten sich jene Darstellungen im allgemeinen an das traditionelle Schema des Mittel-
alters, so fällt doch die eine Szene der Verdammten durch die unerhörte Kühnheit
ihrer freien Behandlung sofort heraus. Schon allein die außerordentliche Variabilität,
die Maitani dem nackten menschlichen Körper an Stellung und Bewegung zu sichern
verstand, mußte für den Cortonesen etwas Fesselndes haben, mehr aber noch war
es das Interesse an dem leidenschaftlichen Kampf der höllischen Geister mit ihren
Opfern und an den grimassierenden Physiognomien der Köpfe. Weder die Malerei
noch die Plastik des ausgehenden Mittelalters hatte in Italien die Peinigungsszene der
Verdammten mit so dämonischer Intensität vergegenwärtigt, wie der Bildhauer der
Orvietaner Fassade, und so führt der Weg unmittelbar von diesem Bildwerk zu Signo-
rellis Darstellung, wo ein letztes an Potenzierung der Terribilität des Inferno gegeben
wird. Es ist das Fresko zur Rechten der Auferstehung der Toten, kontrastierend zum
gegenüberliegenden Wandbild der Seligen. Wieder hat der Künstler es vermieden, von
der Szene eine örtlich reale Vorstellung zu vermitteln; keine grausigen Höllenschlünde
mit felsigen Klüften, kein Feuerstrom dienen als nähere Bezeichnung des Schauplatzes;
nur an der linken Seite schlägt ein Flammenmeer hervor, in das einzelne Opfer ge-
stürzt werden. Ein gewisser Bewegungszug dorthin ist zwar nicht zu verkennen, aber
eine durchgehende Einheitlichkeit nach dieser Richtung ist nicht beabsichtigt. Was
Signorelli zur Darstellung bringt, ist der dämonische Furor und die Vernichtungswut,
mit der die höllischen Geister auf ihr Opfer stürmen, sie treten, knebeln, beißen,
drosseln und fortschleppen. In drei Figurenschichten, die eng ineinander verschlungen
zu einer Einheit verbunden sind, entwickelt sich der teuflische Überfall und rasende
Kampf mit den Unseligen. Von rückwärts her sind die Dämonen gleich einer ge-
schlossenen Phalanx auf ihre Opfer gestürzt, um sie ihrem unentrinnbaren Schicksal,
der ewigen Verderbnis entgegenzutreiben. Die orkanartige Geschwindigkeit, die maß-
lose Heftigkeit und organisierte Wildheit der Teufel lassen kaum schüchterne Versuche
einer Gegenwehr und der Flucht aufkommen. Was als Widerstand erscheint, ist nur
mehr das entsetzende Aufbrüllen, die mechanische Funktion einer natürlichen Leibes-
reaktion, die letzte verzweifelte Gebärde einer triebhaften Selbsterhaltung. So entfesselt
sich keine eigentliche Kampfaktion, sondern allein die zerfleischende Zerstörungswut
der infernalen Henker. Mit einer geradezu visionären Kraft künstlerischer Vorstellung
und mit erstaunlicher Freiheit des Könnens ist Signorelli der Schilderung dieser un-
heimlichen Gestaltenwelt und ihrem chaotischen Gewoge nachgegangen. Das Drängende
und Unaufhaltsame des Angriffs und Fortreißens, die ungeheure Stoßkraft des Linien-
duktus in seinem zuckenden Auf-und-Nieder, Vor-und-Zurück, die unentwirrbare Viel-
heit der Bewegungen und Aspekte sind von so schlagender Realistik und Anschaulich-
keit, daß man das Tosen und Heulen dieses rasenden Ringens zu vernehmen glaubt.
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