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der gotischen räumlichen Komposition zweifellos zu suchen
sind, so ist sie doch nicht nur als ein Fortbestehen der alt-
christlichen Grundsätze aufzufassen.
Vergegenwärtigen wir uns die Unterschiede. In der
spätrömischen Kunst beruhte die Entwicklung der Raum-
darstellung darauf, daß die kubische, dreidimensionale Form
in Werte, die der transitorischen Erscheinung im Raume
entsprechen, verwandelt und als solche zu den optischen
Werten des sie umgebenden freien Raumes in Beziehung
gesetzt wurde. Das Meßbare, Tastbare, auf die kubische
Raumverdrängung Hinweisende hat seine Kraft und Macht
verloren und wurde durch optischen Schein, durch Auf-
lösung der Formen in Farbenwerte, in Licht und Schatten,
in Linien, die nicht Formbegrenzung, sondern Raumvor-
stellung bedeuten, ersetzt, was naturgemäß dazu führen
mußte, daß auch das Verhältnis zu dem die Figuren um-
gebenden nicht materiell begrenzten Raume, zu der Raum-
schichte, in der sie sich befinden, in die Darstellung einbe-
zogen wurde. Fast körperlos, in vergeistigter Entmateriali-
sierung trennen sich die Gestalten vom Hintergründe und
ordnen sich überall, wo sie gedankenhafte Einheiten dar-
stellen sollen, in eine ideelle Sehebene ein, in der sie sich
wie eine Reihe paralleler visueller Phantome von einer
idealen, ebenfalls nur als ein optischer Eindruck darge-
stellten Raumzone abheben.
Der Raum wurde auf diese Weise eine ideale Hinter-
grundsfolie, der Ausdruck einer Tiefenorientierung, die nicht
durch einen geschlossenen Raumausschnitt gegeben ist, sondern
als eine abstrakte Tiefenbewegung im unbegrenzten Raume
erscheint, in welche die Figuren eingestellt werden, um,
indem sie die Bewegung für einen Augenblick hemmen, in
einer traumhaft unkörperlichen, doch lebendigen Plötzlich-
keit und Unmittelbarkeit den Blick des Beschauers zu fes-
seln und in der gewollten Richtung zu leiten. Eine ähnliche
Rolle spielte die räumliche Umgebung in der spätantiken
Kunst auch, wo sie zwischen den einzelnen Figuren als
„Intervall“ zur Geltung kam. Auch da bedeutet sie in
erster Linie den Rahmen der Form und als solcher ein tren-
nendes Element. Soweit sie ein selbständiger ästhetischer
der gotischen räumlichen Komposition zweifellos zu suchen
sind, so ist sie doch nicht nur als ein Fortbestehen der alt-
christlichen Grundsätze aufzufassen.
Vergegenwärtigen wir uns die Unterschiede. In der
spätrömischen Kunst beruhte die Entwicklung der Raum-
darstellung darauf, daß die kubische, dreidimensionale Form
in Werte, die der transitorischen Erscheinung im Raume
entsprechen, verwandelt und als solche zu den optischen
Werten des sie umgebenden freien Raumes in Beziehung
gesetzt wurde. Das Meßbare, Tastbare, auf die kubische
Raumverdrängung Hinweisende hat seine Kraft und Macht
verloren und wurde durch optischen Schein, durch Auf-
lösung der Formen in Farbenwerte, in Licht und Schatten,
in Linien, die nicht Formbegrenzung, sondern Raumvor-
stellung bedeuten, ersetzt, was naturgemäß dazu führen
mußte, daß auch das Verhältnis zu dem die Figuren um-
gebenden nicht materiell begrenzten Raume, zu der Raum-
schichte, in der sie sich befinden, in die Darstellung einbe-
zogen wurde. Fast körperlos, in vergeistigter Entmateriali-
sierung trennen sich die Gestalten vom Hintergründe und
ordnen sich überall, wo sie gedankenhafte Einheiten dar-
stellen sollen, in eine ideelle Sehebene ein, in der sie sich
wie eine Reihe paralleler visueller Phantome von einer
idealen, ebenfalls nur als ein optischer Eindruck darge-
stellten Raumzone abheben.
Der Raum wurde auf diese Weise eine ideale Hinter-
grundsfolie, der Ausdruck einer Tiefenorientierung, die nicht
durch einen geschlossenen Raumausschnitt gegeben ist, sondern
als eine abstrakte Tiefenbewegung im unbegrenzten Raume
erscheint, in welche die Figuren eingestellt werden, um,
indem sie die Bewegung für einen Augenblick hemmen, in
einer traumhaft unkörperlichen, doch lebendigen Plötzlich-
keit und Unmittelbarkeit den Blick des Beschauers zu fes-
seln und in der gewollten Richtung zu leiten. Eine ähnliche
Rolle spielte die räumliche Umgebung in der spätantiken
Kunst auch, wo sie zwischen den einzelnen Figuren als
„Intervall“ zur Geltung kam. Auch da bedeutet sie in
erster Linie den Rahmen der Form und als solcher ein tren-
nendes Element. Soweit sie ein selbständiger ästhetischer