DIE PATRES DER RENAISSANCE
der Literatur, dessen alles bezwingende Wirkung wir überall beob-
achten können: die Göttliche Komödie. Nicht nur in direkten Illu-
strationen, wie in der Darstellung der letzten Dinge von Andrea di
Cione in Sta. Maria Novella und in einer anderen von einem unbe-
kannten Meister im Campo Santo zu Pisa, in denen die jahrhunderte-
alte Vorstellung der Hölle durch jene ersetzt wird, die Dantes Geist
ersonnen hat, sondern auch dort, wo eine solche unmittelbare Über-
tragung nicht stattgefunden hat, können wir den Einfluß beobachten,
den Dantes unsterbliches Werk auf die Freiheit und Kühnheit der
Phantasie ausgeübt hat, — so zum Beispiel in den großen Gemälden
des Campo Santo, unter denen der „Triumph des Todes“ den größten
Ruhm genießt. Gewaltige Gegensätze türmen sich da übereinander
auf : öde, wilde Felsenlandschaft und ein schöner, gepflegter Garten,
irdische Abgeschlossenheit und Weite der Welträume, stilles Einsied-
lerleben und die Vanitas des weltlichen Treibens, dargestellt auf
Grund des allegorischen Gedichtes von den drei Lebenden und den
drei Toten, Menschen, die im Leben furchtbar ringen und solche, die
es in ruhiger Beschaulichkeit genießen. Und über all dem schwingt
der Tod, eine Gestalt, die zu den eindrucksvollsten Schöpfungen der
neuen Kunst zu zählen ist, seine furchtbare Sense, ringen Engel und
Dämonen um die menschlichen Seelen (Tafel 24). Es ist bekannt, wel-
chen Eindruck dieses Gemälde auf Goethe gemacht hat, — einen Ein-
druck, der auf die poetische Vorstellungswelt des „Faust“ nicht ohne
Einfluß geblieben ist.
Und endlich das dritte Moment. Mit dieser großen Entfaltung neuer
Darstellungsstoffe war notwendigerweise auch eine Bereicherung der
bildlichen Vorstellungen verbunden. Dem Leben entnommene Ge-
stalten und Szenen vereinigen sich mit der poetischen Erfindung des
Gianzen, und so fließt auch aus dieser Quelle eine Fülle von reali-
stischen Momenten. Dazu kommt, daß das Streben nach größerer
Lebens- und Naturwahrheit überhaupt in der Entwicklungsrichtung
der Kunst jener Zeit lag, im Süden sowohl, als auch insbesondere im
Norden. So sehen wir am Ende des XIV. Jahrhunderts Gemälde ent-
stehen, in denen -— wie etwa im Zyklus der Lucia- und Georgs-
legende von Jacopo d’Avanzo in Padua — giotteske Erfindung
durch neue Naturbeobachtung interpretiert wird. Die Architektur,
fern von freier Variation, wie Giotto die Wirklichkeit malte, nähert
sich der realen, an Stelle der Beschränkung auf die wichtigsten dra-
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der Literatur, dessen alles bezwingende Wirkung wir überall beob-
achten können: die Göttliche Komödie. Nicht nur in direkten Illu-
strationen, wie in der Darstellung der letzten Dinge von Andrea di
Cione in Sta. Maria Novella und in einer anderen von einem unbe-
kannten Meister im Campo Santo zu Pisa, in denen die jahrhunderte-
alte Vorstellung der Hölle durch jene ersetzt wird, die Dantes Geist
ersonnen hat, sondern auch dort, wo eine solche unmittelbare Über-
tragung nicht stattgefunden hat, können wir den Einfluß beobachten,
den Dantes unsterbliches Werk auf die Freiheit und Kühnheit der
Phantasie ausgeübt hat, — so zum Beispiel in den großen Gemälden
des Campo Santo, unter denen der „Triumph des Todes“ den größten
Ruhm genießt. Gewaltige Gegensätze türmen sich da übereinander
auf : öde, wilde Felsenlandschaft und ein schöner, gepflegter Garten,
irdische Abgeschlossenheit und Weite der Welträume, stilles Einsied-
lerleben und die Vanitas des weltlichen Treibens, dargestellt auf
Grund des allegorischen Gedichtes von den drei Lebenden und den
drei Toten, Menschen, die im Leben furchtbar ringen und solche, die
es in ruhiger Beschaulichkeit genießen. Und über all dem schwingt
der Tod, eine Gestalt, die zu den eindrucksvollsten Schöpfungen der
neuen Kunst zu zählen ist, seine furchtbare Sense, ringen Engel und
Dämonen um die menschlichen Seelen (Tafel 24). Es ist bekannt, wel-
chen Eindruck dieses Gemälde auf Goethe gemacht hat, — einen Ein-
druck, der auf die poetische Vorstellungswelt des „Faust“ nicht ohne
Einfluß geblieben ist.
Und endlich das dritte Moment. Mit dieser großen Entfaltung neuer
Darstellungsstoffe war notwendigerweise auch eine Bereicherung der
bildlichen Vorstellungen verbunden. Dem Leben entnommene Ge-
stalten und Szenen vereinigen sich mit der poetischen Erfindung des
Gianzen, und so fließt auch aus dieser Quelle eine Fülle von reali-
stischen Momenten. Dazu kommt, daß das Streben nach größerer
Lebens- und Naturwahrheit überhaupt in der Entwicklungsrichtung
der Kunst jener Zeit lag, im Süden sowohl, als auch insbesondere im
Norden. So sehen wir am Ende des XIV. Jahrhunderts Gemälde ent-
stehen, in denen -— wie etwa im Zyklus der Lucia- und Georgs-
legende von Jacopo d’Avanzo in Padua — giotteske Erfindung
durch neue Naturbeobachtung interpretiert wird. Die Architektur,
fern von freier Variation, wie Giotto die Wirklichkeit malte, nähert
sich der realen, an Stelle der Beschränkung auf die wichtigsten dra-
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