IN PARTIBUS
Noch ein Werk Verrocchios wäre zu besprechen: seine „Taufe Christi“
in der Akademie von Florenz, das einzige gesicherte Gemälde, bekannt
dadurch, daß einen der knienden Engel der junge Leonardo vollendet
haben soll (Tafel 67). Die Meinungen gehen in der Beurteilung des Bil-
des ziemlich auseinander. Wölfflin betont den etwas hausbackenen,
wenig phantasievollen Charakter und vergleicht den Täufer mit einem
Apotheker, der vorsichtig aus einer Schale eine Flüssigkeit tropfen
läßt. Berenson rühmt die Landschaft, in der, nach seiner Meinung zum
erstenmal in der florentinischen Kunst, eine Spur der Einsicht beobach-
tet werden kann, daß das Malen der Landschaft, des Lichtes und der
Atmosphäre eine von der Figurenmalerei verschiedene Kunst sei.
Beide treffen meines Erachtens nicht das Wesentliche. Dies ist weder
die Geste des Täufers, noch die Landschaft, überhaupt nichts was mit
der Komposition zusammenhängt, sondern nur die Summe der Ein-
zelarbeit, die in dem Gemälde niedergelegt wurde und an der sich tat-
sächlich neben dem Meister selbst auch seine Gesellen, darunter viel-
leicht auch Leonardo, beteiligt haben. Die Besonderheit des künst-
lerischen Verfahrens wird uns gerade an diesem Bilde sehr klar. Bei
einem mittelalterlichen Künstler, bei Giotto und zum Teil auch noch
bei Masaccio war es deduktiv, es ging von einer überlieferten oder sub-
jektiv erdachten künstlerischen Komposition aus, die durch Beobach-
tungen interpretiert wurde; hier aber liegt der Nachdruck durchaus
auf der künstlerischen Induktion: man beschäftigte sich intensiv mit
Formendarstellungen, und das Bild entstand so, daß die Ergebnisse
des Studiums dem jeweiligen Auftrag gemäß gut und schlecht zu einer
Einheit zusammengefaßt wurden. Deshalb wird man einem solchen
Bilde nicht gerecht, wenn man es mit Giotto oder Masaccio einerseits
oder mit Raffael und Michelangelo anderseits vergleicht: poetische Er-
findung und dramatische Wirkung, Schönheit der Linien und Formen,
weiche Tonigkeit der Farben, kunstvoller Aufbau und großer Stil man-
geln ihm — nicht aus persönlichem Unvermögen seines Urhebers, son-
dern deshalb, weil solche Qualitäten für ihn und seine Zeit gegenüber
der Exaktheit in der Zeichnung und Modellierung der wichtigsten Teile
der Komposition keine Bedeutung hatten.
Es ist charakteristisch, daß, wie alle naturalistischen Zeiten, auch diese
Periode der Renaissance das Wort Schönheit, welches ihre modernen
Adoranten gerade ihr gegenüber so häufig im Munde führen, überhaupt
nicht kennt. Man sucht es vergeblich in der damaligen kunsttheore-
137
Noch ein Werk Verrocchios wäre zu besprechen: seine „Taufe Christi“
in der Akademie von Florenz, das einzige gesicherte Gemälde, bekannt
dadurch, daß einen der knienden Engel der junge Leonardo vollendet
haben soll (Tafel 67). Die Meinungen gehen in der Beurteilung des Bil-
des ziemlich auseinander. Wölfflin betont den etwas hausbackenen,
wenig phantasievollen Charakter und vergleicht den Täufer mit einem
Apotheker, der vorsichtig aus einer Schale eine Flüssigkeit tropfen
läßt. Berenson rühmt die Landschaft, in der, nach seiner Meinung zum
erstenmal in der florentinischen Kunst, eine Spur der Einsicht beobach-
tet werden kann, daß das Malen der Landschaft, des Lichtes und der
Atmosphäre eine von der Figurenmalerei verschiedene Kunst sei.
Beide treffen meines Erachtens nicht das Wesentliche. Dies ist weder
die Geste des Täufers, noch die Landschaft, überhaupt nichts was mit
der Komposition zusammenhängt, sondern nur die Summe der Ein-
zelarbeit, die in dem Gemälde niedergelegt wurde und an der sich tat-
sächlich neben dem Meister selbst auch seine Gesellen, darunter viel-
leicht auch Leonardo, beteiligt haben. Die Besonderheit des künst-
lerischen Verfahrens wird uns gerade an diesem Bilde sehr klar. Bei
einem mittelalterlichen Künstler, bei Giotto und zum Teil auch noch
bei Masaccio war es deduktiv, es ging von einer überlieferten oder sub-
jektiv erdachten künstlerischen Komposition aus, die durch Beobach-
tungen interpretiert wurde; hier aber liegt der Nachdruck durchaus
auf der künstlerischen Induktion: man beschäftigte sich intensiv mit
Formendarstellungen, und das Bild entstand so, daß die Ergebnisse
des Studiums dem jeweiligen Auftrag gemäß gut und schlecht zu einer
Einheit zusammengefaßt wurden. Deshalb wird man einem solchen
Bilde nicht gerecht, wenn man es mit Giotto oder Masaccio einerseits
oder mit Raffael und Michelangelo anderseits vergleicht: poetische Er-
findung und dramatische Wirkung, Schönheit der Linien und Formen,
weiche Tonigkeit der Farben, kunstvoller Aufbau und großer Stil man-
geln ihm — nicht aus persönlichem Unvermögen seines Urhebers, son-
dern deshalb, weil solche Qualitäten für ihn und seine Zeit gegenüber
der Exaktheit in der Zeichnung und Modellierung der wichtigsten Teile
der Komposition keine Bedeutung hatten.
Es ist charakteristisch, daß, wie alle naturalistischen Zeiten, auch diese
Periode der Renaissance das Wort Schönheit, welches ihre modernen
Adoranten gerade ihr gegenüber so häufig im Munde führen, überhaupt
nicht kennt. Man sucht es vergeblich in der damaligen kunsttheore-
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