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Dvořák, Max
Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance: Akademische Vorlesungen (Band 1): Das 14. u. 15. Jahrhundert — Muenchen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.42342#0224
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tischen Literatur. Gonvenientia steht bei Alberti überall dort, wo man
Schönheit erwarten würde, ein Ausdruck, der von Cicero stammt und so
ziemlich das Gegenteil von unserer Konvenienz bedeutet. In seinen
stoischen Anfängen wurde dieser Begriff als ein sich selbst Treubleiben
aufgefaßt. Alberti versteht aber darunter die durch die menschliche
Intelligenz erkannte Vernunft in der Natur, die ratio naturae, so daß
eine der Hauptforderungen der Kunst in der systematischen Ausbil-
dung der Modalitäten lag, durch die die größtmöglichste Übereinstim-
mung zwischen dem sinnlich wahrgenommenen und dem rationell be-
gründbaren materiellen Tatbestand erreichbar ist. Dadurch ist der Be-
griff des Kunstwerkes selbst, aber auch der Begriff der künstlerischen
Arbeit ein anderer geworden, das alte Zitat ,,ut pictura poesis“ hat
seine Berechtigung ebenso verloren wie ein organischer Zusammen-
hang der Malerei mit der Architektur, und die Zeichnungen und Stu-
dien bieten uns — ebenso wie in der Malerei des XIX. Jahrhunderts
die Skizzen ■— zuweilen eine bessere Belehrung über die künstlerischen
Ziele und Wege der Zeit als die ausgeführten Gemälde selbst.
Wohl hat sich die künstlerische Orientierung, wie wir hören werden,
bald wieder verändert; die ersten Anzeichen kann man schon in dem
Gemälde Verrocchios beobachten, und es liegt nahe, gerade darin, in
der schönen landschaftlichen Stimmung oder in dem zarten Linienstil
der beiden Engel den Anteil der jungen Leute der neuen Generation
zu sehen. Doch eine dauernde Errungenschaft dieser naturalistischen
Bemühungen blieb eine bis dahin unbekannte Schulung des Auges,
der Hand und, wie man gleich hinzufügen könnte, des Verstandes.
Eine Zeichnung, wie der schöne Mädchenkopf von Verrocchio im Bri-
tish Museum, mit ihrer meisterhaften Behandlung der Formen, Linien,
Lichter und Schatten setzt eine ebenso große Sachkenntnis, das heißt
Beherrschung der Formen, wie Sicherheit in der Handhabung der zeich-
nerischen Ausdrucksmittel voraus. Noch deutlicher vielleicht wird uns
beides, wenn wir eine flüchtigere Zeichnung, einen Engelskopf in den
Uffizien (Tafel 71) oder die Kindergestalten in derselben Sammlung
betrachten. In solchen Abbreviaturen, die sich auf wenige Linien und
Andeutungen der plastischen Rundung beschränken, tritt die souve-
räne Bewältigung der Formenwiedergabe, die an Stelle einer freien
Transkription oder beiläufigen Annäherung getreten ist, besonders
eklatant hervor, und so verstehen wir es, warum die Zeichnung eines
sehr wenig bedeutenden Schülers der Verrocchio-Werkstatt, Lorenzo

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