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Schreiber, Wilhelm Ludwig [Hrsg.]; Heitz, Paul [Hrsg.]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 8): Holzschnitte des fünfzehnten Jahrhunderts in den Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen zu Donaueschingen: mit 20 handkolorierten Tafeln in Hochätzung — Straßburg, 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.17236#0014
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die Gesetze der Perspektive sind mehrfach zur Anwendung gelangt, an einzelnen Stellen
machen sich nicht ungeschickte Schraffierungsversuche bemerkbar. Grasbüschel sprießen
reichlich am Boden, ja es tritt zuweilen schon das Bestreben zutage, die Darstellung
durch Hinzufügung landschaftlicher Hintergründe zu beleben. Alle diese Umstände
dürfen wir natürlich bei dem Versuch, das Alter dieser Passion zu ermitteln, nicht
außer acht lassen.

Im allgemeinen bieten uns die Bilder in dieser Beziehung nicht allzuviele Anhalts-
punkte. Die meisten Gesichter sind bartlos, wie dies während des größten Teils des
XV. Jahrhunderts Sitte war, nur Christus trägt stets einen in der Mitte geteilten Kinn-
bart. Unter den Waffen sehen wir im Hintergrunde des 6. und an der linken Seite
des 16. Holzschnitts die «Hippe», eine in jener Zeit sehr verbreitete Stangenwaffe; auf
dem ii. Bilde ist ein Krieger mit der Partisane ausgerüstet, jenem Instrument, das be-
sonders bei den Hussiten beliebt war und deswegen auch «böhmischer Ohrlöffel»
genannt wurde. Der Eisenhut mit Sehschlitzen des einen Wächters auf dem letzten
Holzschnitt ist älteren Datums, hingegen wurde die «Schale» des zweiten, die sich auch
auf anderen Bildern wiederholt, für Fußtruppen erst etwa seit der Mitte des Jahr-
hunderts üblich, während die Ritterschaft, um gegen die Angriffe der zu Fuß Kämpfenden
besser geschützt zu sein, ihr Gesicht völlig mit Eisen bedeckte. Die Kleidung der übrigen
dargestellten Personen bietet trotz ihrer Mannigfaltigkeit keine besondere Handhabe.
In den verschiedenen Bevölkerungsschichten trug man fast gleichzeitig alle die ver-
schiedenen Mützen und Hüte, die wir sehen, und es ist nur zu beachten, daß die Gugel
fast völlig verschwunden ist. Auch die «Schecke» d. h. der kurze, nur wenig über die
Hüften hinabreichende Rock mit Seitenschlitzen, den die meisten Krieger und Häscher
tragen, ist ein Gewand, das länger als ein Jahrhundert in Mode blieb, doch sind die
Aermel nicht mehr am Handgelenk zusammengefaßt, sondern offen. Dürfen wir aus
diesen Einzelheiten schließen, daß die Zeichnung kaum vor der Mitte des XV. Jahr-
hunderts entstanden sein kann, so ist selbst dieser Termin wohl noch etwas zu früh, da
unsere Holzschnitte anscheinend keine Originale, sondern nur Kopien sind. Dafür spricht
namentlich der Umstand, daß auf dem ersten Bilde der Stamm des dicht neben dem
Stadttor befindlichen Baumes in seinem unteren Teil fehlt und daß auf dem 10. Holz-
schnitt der zweite Arm des Kreuzes vergessen ist. Berücksichtigen wir alle diese Um-
stände, so werden wir die Entstehungszeit dieser Passion, in der sich ein nicht gewöhn-
liches Maß von Geschick und Technik bekundet, in die Zeit zwischen 14^0 und 1465
setzen dürfen.

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