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DURCH DAS DELTA.

einen fo überwältigenden Eindruck empfangen haben, dafs er kurz darauf den Geilt aufgab.
Mehrere Narben zierten fein Geficht, und auf jeder Seite der Nafe zeigte Geh eines jener dunklen
Schönheitsfleckchen, welche bei den Orientalen fo beliebt find. Diefes merkwürdige Haupt ward
von einem wohlgewachfenen, fchlanken Körper mit zwei langen Armen (das Zeichen eines echten
Arabers) und ftämmigen Beinen getragen.

Da bei den heften von Tanta lieh mancherlei Unruhen und Aergerniffe zutrugen, dekretirte
die Regierung in Kairo mehrmals ihre Aufhebung, aber kein Mufti wagte es, diele Verordnungen
zur Ausführung zu bringen, denn das religiöfe Vorurtheil haftete zu feil an diefem Heiligen, der
fo bereitwillig half und fo fchwere Rache übte, wenn feiner Ehre zu nahe getreten ward. Heute
noch foll er Wunder die Fülle wirken und in die kleinften Angelegenheiten der Familien
beftimmend eingreifen; und gerade in diefe, denn dem arabifchen Heiligen kommt nicht wie
den chriftlichen die nur dem Propheten bewilligte Rolle eines Fürfprcchers bei dem Allmächtigen
zu; es ift ihm vielmehr nur gegeben, aus dem Schatze der ihm verliehenen Wunderkräfte Gefchenke
zu entnehmen und he mit gröfserer oder geringerer Freigebigkeit an Diejenigen auszutheilen,
welche feine Grabftätte befuchen.

Wie heilig ift das Maufoleum, in dem hinter einem fchön gearbeiteten Bronzegitter hier
fein mit rothem Sammet befchlagener Sarkophag, dort der feines Sohnes Farag aufgeftellt ift.
Inbrünftige Andacht malt fich auf den Zügen der hier betenden Frommen, und hoffnungsreich
und heiter verladen fie das Maufoleum; hört doch zugleich mit dem grofsen Achmed das Kutb
genannte Wunderwefen, das den Welis oder Heiligen gebietet, gerade hier gewifslich ihr Flehen,
denn aufser auf dem Dache der Kaba zu Mekka foll es an wenigen Stätten lieber weilen, als
beim Grabe des heiligen Sejjid Achmed el Bedawi zu Tanta.

Wir unterlaffen es, die moderne Mofchee des Wallfahrtsortes näher zu betrachten; die
edlen kairener Gotteshäufer aus ruhmreicherer Zeit werden dafür beffere Gelegenheit bieten, aber
in keinem von ihnen fahen wir io zahlreiche und fo ganz von der Andacht ergriffene Beter
vereinigt wie hier, wo uns zum erften und letzten Male während unferer wiederholten Befuche
des Nilthals der Fanatismus der Moslimcn fo handgreiflich entgegentrat, dafs uns nur die eigene
befonnenc Ruhe und das Dazwiichentreten des Schcchs der Mofchee vor ernftlichem Schaden
bewahrte. Die Meffe von Tanta und ihre Feier gleicht in vielen Stücken dem zu Bubaftis gefeierten
Fefte, das Herodot befchreibt und als deffen Nachfolger es vielleicht betrachtet werden darf.

Ehe wir den Wallfahrtsort verlaffen, um unfere Reife durch das öftliehe Delta, die uns
von Kindesbeinen an wohlbekannte Landfchaft Gofen, anzutreten, befuchen wir noch die Zelte
vor der Stadt, in denen die Pilger zu Hunderttaufenden lagern, und wohnen am LTfer des Tanta
tränkenden Kanals manchem Schaufpiele bei, das uns an die raffenden Nachkommen des Jakob
erinnert, deren Waideplätze wir nun zu durchwandern gedenken.
 
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