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Ebers, Georg
Ägypten in Bild und Wort: dargestellt von unseren ersten Künstlern (Band 2) — Stuttgart, Leipzig, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.4992#0140
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KAIRO.

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Vorhang das feltene Schaufpiel umfonft anfehcn möchte, und lallen uns vorwärts nach der
etwas tiefer gelegenen Ebene, dem eigentlichen Feftplatze drängen. Nun haben wir ihn erreicht
und das Auge wird von einem glänzenden, höchft eigenthümlichen Schaufpiel gefeffelt, denn
in weiter Runde erblickt es fchön gefpannte, von zahllofen Lampen beleuchtete Zelte, und in
der Mitte diefes fchimmernden Ringes, dem Schauplatz des Feuerwerks, verbinden zahllofe
Raketen wie flammende Jakobsleitern den im Sternenfchmuck des Südens glänzenden Himmel
mit dem in dieler Feftnacht fo glückfeligen Erdenftücke. Aus dem Gedränge befreit, haben
wir mit vollen Zügen die frifche, würzige Luft der Frühlingsnacht eingeathmet; nun aber treten
wir einen Rundgang an, um zu fehen, was in den, den Platz umfäumenden, fchnell errichteten
Gaffen vorgeht. Die linke Seite der Feftebene nehmen die Zelte der Polizei, des Gouverneurs,
der Minifterien und des Vicekönigs ein, im Hintergrunde aber erheben lieh die der Privatleute
und religiöfen Genoffenfchaften. Um diefer letzteren willen wählen wir den Weg nach rechts.
Jedes Zelt, an dem wir vorbeikommen, ift voll von andächtigen Menfchen. Hier fitzen fie im
grofsen Kreile um einen Vorlefer herum, der ihnen die Gefchichte der Geburt des Propheten
Mohammed und aller dabei gefchehenen Wunder und Zeichen vorträgt, eine alte, aus den Anfangs-
zeiten des Islam flammende Gewohnheit, dort nehmen fie felblt thätigen Antheil an der «Zikr»
genannten religiöfen Uebung, die uns bereits an anderen Stellen begegnet ift. Sie befteht aus
fortwährenden Wiederholungen des Namens Gottes, des muslimifchen Glaubensbekenntniffes oder
einer Mohammed preifenden Formel, fowie aus gleichmäfsigen, die Worte begleitenden, im Takt
ausgeführten Körperbewegungen: Beugungen nach vorn, nach rechts und links oder Schwingungen
um die eigene Aehfe. Der Dirigent der ganzen Uebung, der Munfchid, fleht in der Mitte und
leitet mit Zuruf und taktmäfsigem Händeklatfchen das gleichmäfsigc Ausftofscn der Worte und
der mit ihnen verbundenen Körperbewegungen. Oft fucht man auch durch Mufik und Gefang
die religiöfe Begeiflerung zu fteigern. Auf uns Europäer machen die Theilnehmer an diefer
Uebung gewöhnlich den Eindruck der Verthiertheit; und das nicht ganz mit Unrecht; allein wie
bei ähnlichen Mifsbräuchen im Kreife anderer Religionen liegt ihnen doch ein tieferer Sinn zu
Grunde. Den Mohammedanern fchreibt der Koran ein beftändiges «Erwähnen» Gottes vor, ähnlich
wie der Apoftel Paulus die Gläubigen ermahnt, ohne Untcrlafs zu beten. Diefs vieldeutige
«Erwähnen» wurde von den Einen nur als innerliches Gedenken aufgefafst, während die Anderen
— und das war die Mehrzahl — es als lautes Nennen des Namens «Allah» erklärten. So kam
man zuerft auf die Uebung des «Zikr», denn diefer arabifche Ausdruck ift eben der vom Koran
gebrauchte, und noch heute fagen die tiefer angelegten und gebildeten Mufelmänner, dafs man
das Gebot Gottes nur durch langfames, gedehntes Ausrufen des «Allah» erfüllen folle und alles
taktmäfsige oder gar von Mufik begleitete lieh Drehen und Schwingen als verkehrte Neuerung zu
vermeiden habe. Von einem befonders frommen Manne fagte man anfänglich gern, er «erwähne»
fortwährend Gott, d. h. feine Gedanken wären fortwährend mit dem Höehftcn befchäftigt; allein
bei der grofsen Menge hielt diefe Auffaffung in ihrer Reinheit nicht lange Stand: Die Bildung
zahlreicher religiöfer Vereine und Orden führte bald ein gemeinfames Erwähnen des Namens
Gottes herbei, und da die Orientalen, wie wir diefs auch bei unterem Befuch der Univerfitäts-
mofehee cl-Azhar gefehen haben, es überhaupt lieben, durch Schaukeln des Oberkörpers ihrem
Geilte mehr Lebendigkeit und Stärke zu geben, fo ging die anfänglich ruhige Haltung bald in
mehr oder minder rafche Bewegungen über. Das Aufkommen der unter fremden Einfiülfen
entftandenen mohammedanifchen Myftik war folchen Verirrungen günftig, denn nach ihrer Lehre
foll man fliehen, lieh ganz und gar in die Gottheit zu verfenken, fich mit ihr zu «bekleiden»,

Ebers, Aegypten. II. 3 ^
 
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