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Zeit-, Kultur- uud Kunstgeschichtliches, 1880—1840.
entging ans dein Schloßplatze, den er arglos in einfachem Oberrock
betreten hatte.
Wie dnrch eine Reihe sich berührender elastischer Körper hatte
sich der Stoß von Westen nach Osten durch die deutschen Staaten
mit zum Theil erustereu Erschütteruugeu sortgepflauzt. Oberhesseu
hatte seiueu sogeuaunten klemm Bauerukrieg, Brauuschweig vertrieb
seiueu Herzog, Sachsen erzwang die Mitregentschaft des Prinzen
Friedrich und eine freisinnige Verfassung. Am Ende der Reihe, wo
die Wirkung des Stoßes keinen Widerstand mehr vorfand, ward sie
am heftigsten verspürt: das Jahr schloß mit der Revolte in Warschau,
mit der Flucht des Großfürsten, der Ermordung russischer Generale
und allen unerhörten Greueln, welche die entfesselte Volkswuth zu
ihrer Befriedigung heischt. Blutig ward der Aufstand niedergeschlagen :
aber von da ab auf Jahre hindurch stand Europa unter der Vor-
empfiudung eines drohenden allgemeinen Krieges zwischen den Groß-
staaten, und feder einzelne Staat unter der Furcht einer gewalt-
samen inneren Erschütterung.
Die Pariser Revolution hatte nicht sowohl das Signal gegeben
für den Durchbruch neuer politischer uud sozialer Ideen, als vielmehr
nur eine Zwischenzeit des seit 1789 entbrannten Kampfes zwischen
den veraltenden und modernen politischen Anschauungen abgeschlossen,
eine Zeit, welche in Deutschland vorwiegend den Stempel der Ein-
kehr in das innere Leben der Nation in Wissenschaft und Kunst er-
hielt (Bd. II, S. 3). Der Wiederhall, den der jenseits des Rheines
ertönende Weckruf zu ueueu Thateu faud, entsprach genau der In-
dividualität der einzelnen Völker, zu denen jener Ruf gedrungen war.
Das französische Volk selbst hatte seiner Natur gemäß, „das Mög-
liche beherzt beim Schopfe fassend", den weiteren Schritt seiner Ent-
wickelung sich selbst ganz nnerwartet improvisirt, wie dies auf allen
Stufen feiner politischen Entfaltung, seit 1789 bis in die Tage der
jüngsten Gegenwart, nicht anders geschehen ist.
Im deutschen Volke tritt in grellem Gegensätze gegen das fran
zösische die schwankende Ueberlegung zwischen den Entschluß uud dessen
Reife zur That. Der Austoß von außen wird bereitwillig, ja mit
Zeit-, Kultur- uud Kunstgeschichtliches, 1880—1840.
entging ans dein Schloßplatze, den er arglos in einfachem Oberrock
betreten hatte.
Wie dnrch eine Reihe sich berührender elastischer Körper hatte
sich der Stoß von Westen nach Osten durch die deutschen Staaten
mit zum Theil erustereu Erschütteruugeu sortgepflauzt. Oberhesseu
hatte seiueu sogeuaunten klemm Bauerukrieg, Brauuschweig vertrieb
seiueu Herzog, Sachsen erzwang die Mitregentschaft des Prinzen
Friedrich und eine freisinnige Verfassung. Am Ende der Reihe, wo
die Wirkung des Stoßes keinen Widerstand mehr vorfand, ward sie
am heftigsten verspürt: das Jahr schloß mit der Revolte in Warschau,
mit der Flucht des Großfürsten, der Ermordung russischer Generale
und allen unerhörten Greueln, welche die entfesselte Volkswuth zu
ihrer Befriedigung heischt. Blutig ward der Aufstand niedergeschlagen :
aber von da ab auf Jahre hindurch stand Europa unter der Vor-
empfiudung eines drohenden allgemeinen Krieges zwischen den Groß-
staaten, und feder einzelne Staat unter der Furcht einer gewalt-
samen inneren Erschütterung.
Die Pariser Revolution hatte nicht sowohl das Signal gegeben
für den Durchbruch neuer politischer uud sozialer Ideen, als vielmehr
nur eine Zwischenzeit des seit 1789 entbrannten Kampfes zwischen
den veraltenden und modernen politischen Anschauungen abgeschlossen,
eine Zeit, welche in Deutschland vorwiegend den Stempel der Ein-
kehr in das innere Leben der Nation in Wissenschaft und Kunst er-
hielt (Bd. II, S. 3). Der Wiederhall, den der jenseits des Rheines
ertönende Weckruf zu ueueu Thateu faud, entsprach genau der In-
dividualität der einzelnen Völker, zu denen jener Ruf gedrungen war.
Das französische Volk selbst hatte seiner Natur gemäß, „das Mög-
liche beherzt beim Schopfe fassend", den weiteren Schritt seiner Ent-
wickelung sich selbst ganz nnerwartet improvisirt, wie dies auf allen
Stufen feiner politischen Entfaltung, seit 1789 bis in die Tage der
jüngsten Gegenwart, nicht anders geschehen ist.
Im deutschen Volke tritt in grellem Gegensätze gegen das fran
zösische die schwankende Ueberlegung zwischen den Entschluß uud dessen
Reife zur That. Der Austoß von außen wird bereitwillig, ja mit