Naturalismus, Idealismus, Realismus.
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Phantasie etwas hinzukommt, ist sie idealistisch: wenn aber letztere
gar nichts hinzuthut, sondern die Nachahmung die denkbar möglichste
Kopie der nackten Wirklichkeit ist, wobei es völlig gleichgültig bleibt,
ob schön oder häßlich, reizend oder widerwärtig, so stehen wir vor
dem Naturalismus. Da nun ein Kunstwerk ein Gefüge darbietet von
mannichfaltigen und ungleichartigen Elementen, ein Gemälde z. B.,
Zeichnung, Farbe, Komposition, für deren jedes ihm eigenthümliche
ästhetische Verhältnisse bestehen; so leuchtet ein, daß verschiedene Kunst-
werke, selbst in solchen Dingen, in welchen sie gerade einander ent-
gegengesetzt scheinen, unter denselben Begriff des Realismus oder aber
des Idealismus fallen können, und daß andererseits in demselben
Kunstwerk irgend ein Element zugleich realistisch und idealistisch auf-
gefaßt werden kann, je nach der Beziehung, in welcher man es zum
Ganzen begreift. — Wenn Dürer die Träger der heiligen Geschichte
in der Kleidung seiner Nürnberger Mitbürger auftreten läßt, Horaee
Ver net ihnen arabifche Gewandung und den braunen Teint der Kinder
der Wüste giebt, Paul Veronese sie endlich im reichsten Kostüm veue-
tianifcher Patrizier in die prunkenden Hallen seiner Renaisfaneepaläste
ladet, so sind alle drei Künstler die entschiedensten Realisten insofern man
die formellen Elemente der Zeichnung, zum Theil auch der Farbe be-
taut: die Naturtreue der Nachbildung des Kostüms nach einer gege-
benen Wirklichkeit. Und doch zugleich welch ein Unterschied in diesem
speziellen Realismus zwischen einem Vernet und Paul Veronese! —
Bei letzterem aber wird das realistische Kostüm sofort zum denkbar
idealsten, sobald man das Moment der Komposition in Betracht zieht;
denn daß die Hochzeiter zu Cana, wie immer sie gekleidet sein mochten,
wenigstens nicht im Kostüm der Venezianer des sechzehnten Jahr-
hunderts erschienen, daß dieses für jene das denkbar idealste gewesen
wäre, ist schon sicher. Es ist eben die eigenste Znthat des Künstlers
aus der eigenen Idee. So wird der Realismus der Düsseldorfer
Schule, der hier in der Zeichnung, dort in der Komposition, fast gar
nicht in der Farbe, zum Vorschein kommt, bei Bestand bleiben, trotz
einem Menzel. Und den korrektesten Realismus in Form und Farbe
durchbricht bei Menzel das ideale Moment der Komposition, welches
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Phantasie etwas hinzukommt, ist sie idealistisch: wenn aber letztere
gar nichts hinzuthut, sondern die Nachahmung die denkbar möglichste
Kopie der nackten Wirklichkeit ist, wobei es völlig gleichgültig bleibt,
ob schön oder häßlich, reizend oder widerwärtig, so stehen wir vor
dem Naturalismus. Da nun ein Kunstwerk ein Gefüge darbietet von
mannichfaltigen und ungleichartigen Elementen, ein Gemälde z. B.,
Zeichnung, Farbe, Komposition, für deren jedes ihm eigenthümliche
ästhetische Verhältnisse bestehen; so leuchtet ein, daß verschiedene Kunst-
werke, selbst in solchen Dingen, in welchen sie gerade einander ent-
gegengesetzt scheinen, unter denselben Begriff des Realismus oder aber
des Idealismus fallen können, und daß andererseits in demselben
Kunstwerk irgend ein Element zugleich realistisch und idealistisch auf-
gefaßt werden kann, je nach der Beziehung, in welcher man es zum
Ganzen begreift. — Wenn Dürer die Träger der heiligen Geschichte
in der Kleidung seiner Nürnberger Mitbürger auftreten läßt, Horaee
Ver net ihnen arabifche Gewandung und den braunen Teint der Kinder
der Wüste giebt, Paul Veronese sie endlich im reichsten Kostüm veue-
tianifcher Patrizier in die prunkenden Hallen seiner Renaisfaneepaläste
ladet, so sind alle drei Künstler die entschiedensten Realisten insofern man
die formellen Elemente der Zeichnung, zum Theil auch der Farbe be-
taut: die Naturtreue der Nachbildung des Kostüms nach einer gege-
benen Wirklichkeit. Und doch zugleich welch ein Unterschied in diesem
speziellen Realismus zwischen einem Vernet und Paul Veronese! —
Bei letzterem aber wird das realistische Kostüm sofort zum denkbar
idealsten, sobald man das Moment der Komposition in Betracht zieht;
denn daß die Hochzeiter zu Cana, wie immer sie gekleidet sein mochten,
wenigstens nicht im Kostüm der Venezianer des sechzehnten Jahr-
hunderts erschienen, daß dieses für jene das denkbar idealste gewesen
wäre, ist schon sicher. Es ist eben die eigenste Znthat des Künstlers
aus der eigenen Idee. So wird der Realismus der Düsseldorfer
Schule, der hier in der Zeichnung, dort in der Komposition, fast gar
nicht in der Farbe, zum Vorschein kommt, bei Bestand bleiben, trotz
einem Menzel. Und den korrektesten Realismus in Form und Farbe
durchbricht bei Menzel das ideale Moment der Komposition, welches