gern am Fenster saß und die Leute, die vorübergingen, mit der
Schere ausschnitt. Der Scherenschnitt ist von Runge selbst mit
großer Meisterschaft geübt worden und gehört zu den Grund-
lagen seiner Kunst. Wichtiger als diese künstlerische Vererbung
ist aber auch hier das innere Band, das Mutter und Sohn ver-
bindet. Ein Krankheitserlebnis seiner Jugend hat es besonders
eng geknüpft.
Auch hier aber wäre es falsch, Vater und Mutter zu trennen.
Sie gehören für Runge zusammen. „Wenn Gott mir jetzt alle
meine Freude nehmen wollte" - so schreibt er ihnen einmal -,
„den inneren Glauben an seinen ewigen besten und unwandel-
baren Willen soll mir niemand nehmen. Das danke ich Ihrer
Güte und Liebe von meiner Jugend auf und dem Beispiel, das ich
in Ihnen immer gesehen."
Blicken wir von hier aus noch einmal auf das Bild, so schließt
sich der Ring unserer Betrachtung. Was uns das Werk gelehrt
hat, bestätigen die Zeugnisse, die uns über die Eltern und den
Geist ihres Hauses in den „Hinterlassenen Schriften" aufbewahrt
sind. Und was diese Zeugnisse aussagen, zeigt uns das Werk,
hoch über das Persönliche erhoben, in der strengen und großen
Sprache der Kunst. Zugleich ist das Werk - wenn wir noch ein-
mal die Notzeit bedenken, in der es entstand - ein sichtbares
Zeichen, wie der Geist irdischer Bedrängnis Herr zu werden ver-
mag. Es läßt die Not vergessen. Runge, hellsichtig wie kaum ein
anderer Künstler, hat sehr genau gewußt, was die Spannung zwi-
schen innerer Produktionskraft und äußerer Hemmung an Auf-
gaben und Verpflichtungen umschloß. In einem Brief (der freilich
von inneren Nöten handelt) sagt er: „Es kann und wird es kein
Mensch fühlen, daß aus diesem Elende das entspringt, was ich
hervorbringe. Denn das soll lieblich erscheinen, und auch das
größte Kunstwerk, in welchem Schrecken und Entsetzen hausen,
ist beruhigend, weil es konsequent ist, aber diese konsequenteste
Geburt ist aus den unkonsequentesten gräßlichen Schmerzen ent-
sprungen."
Für uns, die wir unter noch dunklerem Himmel als Runge
unsern Weg suchen müssen, hat eine so helle Gestalt wie die seine
etwas tief Tröstliches. Clemens Brentano hat es in einem Briefe
an den Künstler folgendermaßen ausgedrückt: „Die Welt kann
nie ohne Menschen sein, die Gottes Ebenbild verkünden; aber
ein Volk solcher Menschen ist die Stadt Gottes selber."
[Herbert von Einem.
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Schere ausschnitt. Der Scherenschnitt ist von Runge selbst mit
großer Meisterschaft geübt worden und gehört zu den Grund-
lagen seiner Kunst. Wichtiger als diese künstlerische Vererbung
ist aber auch hier das innere Band, das Mutter und Sohn ver-
bindet. Ein Krankheitserlebnis seiner Jugend hat es besonders
eng geknüpft.
Auch hier aber wäre es falsch, Vater und Mutter zu trennen.
Sie gehören für Runge zusammen. „Wenn Gott mir jetzt alle
meine Freude nehmen wollte" - so schreibt er ihnen einmal -,
„den inneren Glauben an seinen ewigen besten und unwandel-
baren Willen soll mir niemand nehmen. Das danke ich Ihrer
Güte und Liebe von meiner Jugend auf und dem Beispiel, das ich
in Ihnen immer gesehen."
Blicken wir von hier aus noch einmal auf das Bild, so schließt
sich der Ring unserer Betrachtung. Was uns das Werk gelehrt
hat, bestätigen die Zeugnisse, die uns über die Eltern und den
Geist ihres Hauses in den „Hinterlassenen Schriften" aufbewahrt
sind. Und was diese Zeugnisse aussagen, zeigt uns das Werk,
hoch über das Persönliche erhoben, in der strengen und großen
Sprache der Kunst. Zugleich ist das Werk - wenn wir noch ein-
mal die Notzeit bedenken, in der es entstand - ein sichtbares
Zeichen, wie der Geist irdischer Bedrängnis Herr zu werden ver-
mag. Es läßt die Not vergessen. Runge, hellsichtig wie kaum ein
anderer Künstler, hat sehr genau gewußt, was die Spannung zwi-
schen innerer Produktionskraft und äußerer Hemmung an Auf-
gaben und Verpflichtungen umschloß. In einem Brief (der freilich
von inneren Nöten handelt) sagt er: „Es kann und wird es kein
Mensch fühlen, daß aus diesem Elende das entspringt, was ich
hervorbringe. Denn das soll lieblich erscheinen, und auch das
größte Kunstwerk, in welchem Schrecken und Entsetzen hausen,
ist beruhigend, weil es konsequent ist, aber diese konsequenteste
Geburt ist aus den unkonsequentesten gräßlichen Schmerzen ent-
sprungen."
Für uns, die wir unter noch dunklerem Himmel als Runge
unsern Weg suchen müssen, hat eine so helle Gestalt wie die seine
etwas tief Tröstliches. Clemens Brentano hat es in einem Briefe
an den Künstler folgendermaßen ausgedrückt: „Die Welt kann
nie ohne Menschen sein, die Gottes Ebenbild verkünden; aber
ein Volk solcher Menschen ist die Stadt Gottes selber."
[Herbert von Einem.
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