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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0336
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III. Renovationes süddeutscher Domkirchen - Strukturanalyse einer Denkmälergruppe

744 Ronig in Trierer Dom S. 275-284; Irsch
1931, S. 234ff; Grabdenkmäler 2004, S.
63ff.
745 Der Altar hatte wie der Eichstätter Willi-
baldsaltar zwei gleichwertige Ansichten,
die beide von J. Masen SJ 1667 im Stich
festgehalten wurden, der vielleicht auch
der Erfinder des Programms war. Wie in
Mainz war die Mensa auf den Westchor
bezogen und nach Osten ausgerichtet.
Die Westansicht aus dem Schiff zeigte
dagegen über der Tumba des Erzbischofs
ein rein christologisches Programm aus
Kreuzigung, Auferstandenem und Wel-
tenrichter in achsialer Anordnung über-
einander. Siehe Trierer Dom 1980, S.
276ff, Fig. 31, 32.
746 Der Typus geht auf den oben beschriebe-
nen Greiffenclau-Altar zurück, verzichtet
aber auf die empfehlenden Schutzheili-
gen. Als Zwischenglied kann der Allerhei-
ligen-Grabaltar für Lothar von Metternich
gelten (Hans Ruprecht Hoffmann 1614),
bei dem sich der Verstorbene noch ein-
deutig außerhalb des sakralen Kontextes
in Anbetung des Altarbildes darstellen
ließ. Siehe Irsch 1931, S. 230ff, Trierer
Dom 1980, S. 265ff, Abb. 101.
Von ähnlichem Format und in der selbst-
bewußten Darstellung vergleichbar ist
das Grabdenkmal des Paderborner Bi-
schofs Dietrich von Fürstenberg (+1618)
im dortigen Dom von Heinrich Gröninger.
Siehe Schmitz 1983, S. 28.
747 Zuschreibung und Datierung (1681) sind
durch eine 1831 zerstörte Inschrift gesi-
chert. Irsch 1931, S. 203f, Trierer Dom
1980, S. 282, Abb. 103-108. Rossi wurden
weitere, aber in ihrer Bedeutung kaum
vergleichbare Werke in Crottorf, Mainz
und Nachod (Böhmen) zugewiesen. Ar-
beiten in Ehrenbreitstein haben sich nicht
erhalten. Weitere Lit. zu Rossi siehe Trie-
rer Dom 1980, S. 352, Anm. 282.
748 Weitere Parallelen sind die programma-
tisch im Westen als Mahnung an die flie-
hende Zeit angebrachte monumentale
Uhr und die unterhalb der Glorie in Ni-
schen stehenden lebensgroßen Stuckfi-
guren der Apostel.
749 VergL hiermit die Ikonographie der Altä-
re von St. Ulrich und Afra in Augsburg",
die ebenfalls in einer räumlichen Tie-
fenstaffelung Kreuzigung, Inkarnation,
Marienkrönung und den siegreichen Sal-
vator miteinander verbinden.
750 Man entdeckte unter den barocken ro-
manische Nischen mit Resten einer Aus-
malung, die aber nicht dauerhaft freige-
legt werden konnten. Trierer Dom 1980,
Abb. 149, S. 155f.
751 Trierer Dom 1980, S. 472f., Abb. 35, 36,
133, Irsch 1931 S. 156ff, 201. Die West-
chor-Neugestaltung des Trierer Regie-
rungsbaudirektors Johann Georg Wolff
stellt eine frühe Auseinandersetzung mit
barocker Substanz dar. Wolff zog statt
des bisherigen „Schwalbennestes" im
Mittelschiff eine Orgelempore im West-
chor ein, die trotz klassizistischer Einzel-
formen in ungewöhnlich wirkungsvoller
Weise eine Verbindung mit dem barok-
ken Stuck einging. Dieses Ensemble wur-
de 1906 - auch auf persönlichen Wunsch
Kaiser Wilhelms II. - zerstört.

Trierer Grabaltäre auf, wählte aber für sein
Monument einen besonders anspruchsvol-
len und hervorgehobenen Ort, indem er die
Schranke des Westchores damit besetzte744.
Es handelte sich um einen 18 m (!) hohen,
freistehenden, offenen Marmor-Säulenauf-
bau, der sich in Position und Gestaltung am
ehesten mit dem Willibaldsaltar des Eich-
stätter Westchors < 178> vergleichen ließe.
Der Kurfürst erneuerte damit zugleich den
1121 an dieser Stelle geweihten Nikolaus-
altar. Der Aufbau verwies mit seiner auf
Durchblick und Mehransichtigkeit abzie-
lenden Gestaltung bereits auf moderne
Prinzipien, folgte aber noch dem „gegenre-
formatorischen“ Typus, indem er den Al-
tarpatron in den Auszug verbannte und das
Hauptgeschoß durch die biblische Darstel-
lung der Kreuzigung besetzte745, wobei sich
der Stifter mit demonstrativem Selbstbe-
wußtsein als nahezu gleichrangiges Pen-
dant zur Mater dolorosa bzw. Johannes,
wenn auch in anbetender Haltung, darstel-
len ließ746.
Der Kurfürst beließ es nicht bei der Errich-
tung seines Monuments, sondern verband
diese Stiftung mit einer Neugestaltung der
gesamten Apsis, die er durch Giandome-

Abb. 226: Trier, Dom: Westchor, Grabaltar von der Leyen
(Rekonstruktion K. Cibis)


nico Rossi747 stuckieren ließ <225f>. Die
Voraussetzung für dieses ehrgeizige Pro-
jekt war der Abbruch der mittelalterlichen
Chorschranken gewesen, wie er in den fol-
genden Jahren auch in Mainz und Würz-
burg vorgenommen wurde. Die in der Ap-
siskalotte dargestellte Aufnahme Mariens
in den Himmel - vielleicht vorbildlich für
Würzburg?748 - vervollständigte das um-
fassende Programm, indem es Marienthe-
matik und Christus-Ikonographie mitein-
ander verband. Am Kämpferpunkt des Ap-
sisbogens verweisen die Statuen Gabriels
und Mariens auf die unbefleckte Emp-
fängnis als Voraussetzung dieses Heilsge-
schehens. In der Wandzone darunter wa-
ren in sieben Nischen Apostel als Stuckfi-
guren dargestellt, ergänzt durch die Mar-
morfiguren (Petrus und Paulus) des Al-
tars749.
Heute ist diese ambitionierte Neugestaltung
nur noch in Fragmenten erhalten, da sie
sukzessiven Erneuerungs-, Purifizierungs-
und Umgestaltungsmaßnahmen zum Opfer
fiel: Der Altar wurde 1802-10 voreilig im
Hinblick auf ein in der Apsis geplantes, nie-
mals realisiertes Westportal abgetragen, die
Stuckierung der Wandzone 1906 purifizie-
rend beseitigt750 und während der letzten
Renovierung 1975 schließlich der erhöhte
Westchorbereich um ein Joch verkürzt, in-
dem die Treppe an die Apsis zurückversetzt
und die klassizistischen Chorschranken, Re-
ste der Umgestaltung Wolffs von 1832, be-
seitigt wurden751.
Von der Leyens Stiftung ging weit über das
bis dahin übliche Maß eines traditionellen
Trierer Grabaltares hinaus. Das umfassen-
de Gesamtprogramm, das den Westchor
nicht nur völlig neu gestaltete, sondern
auch in ein nahezu lückenloses Kompen-
dium der katholischen Lehre einband, ver-
rät weiterreichende Ambitionen, die sich
besonders in jenem krassen Bruch mit der
bisherigen Trierer Tradition äußerten, in-
dem ein Erzbischof erstmals auch die
Raumschale des Domes in seine Memoria
mit einbezog. Selbst wenn man annehmen
darf, daß die originale Gesamterscheinung
dieser Anlage bei weitem befriedigender

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