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Evers, Hans Gerhard; Bernini, Gian Lorenzo
Die Engelsbrücke in Rom von Giov. Lorenzo Bernini — Der Kunstbrief, Band 53: Berlin: Verlag Gebr. Mann, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.61768#0037
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unten noch nach links gerichtet. Hier liegt die größte Ände-
rung in der Brückenausführung: In ihr ist das gesamte Ge-
wand unten auf die andere, rechte Seite geworfen, also in der
Richtung des freien Spielbeins, nicht des verhüllten Stand-
beins. Dabei wird auch das zweite Bein entblößt bis über das
Knie hinauf. Natürlich wird dadurch auch die Anordnung
der Wolkenballen anders. Alle Änderungen lassen sich be-
greifen aus der Notwendigkeit, das überzarte Gebilde der
Kirchenengel zu kräftigen und zu vereinfachen für die
Stellung in Wind und Wetter. Auch der Engel mit der Dor-
nenkrone ist in der Brückenausführung sehr vereinfacht,
wenn auch nicht so stark umgesetzt wie dieser Engel mit dem
Kreuzestitel.
Wenn wir aber zwei Ausführungen der gleichen Plastik
haben, beide von Bernini, die eine überzart und fast gebrech-
lich, die andere kräftig, um dem Wetter standzuhalten,
so wächst die Wahrscheinlichkeit, daß auch die Einsicht
von ihm stammt, man müsse zwei verschiedene Fassungen
machen, also auch der Gedanke, es möchten Kopien bestellt
werden, von ihm selber dem Papste eingegeben sein dürfte.
Der stilistische Befund deckt sich also mit den Angaben
Baldinuccis. Auch der Engel auf der Brücke ist so selb-
ständig, daß man ihn als Original bezeichnen kann; andrer-
seits ist an seinen kräftigeren Zügen die Mitarbeit von Ge-
hilfen immerhin möglich.
In dem zweiten abgebildeten Bozzetto liegt die Vorarbeit
zum Engel mit dem ungenähten Mantel vor, der an Paolo
Naldini vergeben wurde (Abb. 7). Der Oberkörper stimmt
schon annähernd überein, der Unterkörper aber auch, und
noch genauer, nur ist der gesamte Unterkörper noch nach
der anderen Seite spiegelbildlich entworfen. Ein solcher
Wechsel in den Seiten unterscheidet ja auch die beiden
Fassungen des Engels mit dem Kreuzestitel, und wir kennen
Berninis Arbeitsweise auch sonst: daß er mühelos das Spiegel-
bildliche ausprobierte.
Seitdem Bernini sich frei wußte von dem Zwang, auf das
Wetter Rücksicht zu nehmen, konnte er in seinen Engeln
einen Zustand der Entkörperlichung, der Abstraktion an-
streben, der sie zu wahren „Alterswerken“ macht, und über-
haupt zu einer Manifestation des Geistigen, die es ohne
Bernini in der Barockplastik nicht geben würde.

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