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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0071
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destens in das 6. Jahrhundert unvermischt hellenistischen Textilformenschatzes ist eine für
die gleichzeitige Seidenweberei wichtige Tatsache. Sie wird zu beachten sein, wenn der an*
tike und der orientalische Anteil an den Mustern der ältesten Seidenstoffe bestimmt und
abgegrenzt werden muß.

B. Koptische Wirkereien.

Während die hellenistische Überlieferung in der Wirkerei Ägyptens ihrem Ende sich
zuneigte, entstand im 7. Jahrhundert, oder vielleicht schon vor dem Ausgang des sechsten,
neben ihr ein grundverschiedener Stil. Die Kunst des Mittelalters in ihrer primitivsten und
unbeholfensten Form tritt neben die sterbende Antike, das Christentum verdrängt die letzten
Regungen des Heidentums. Der neue Stil entwächst einer Volksschicht, die von griechischer
Schulung nicht mehr berührt war. Die christlischen Darstellungen beherrschen das Feld;
auch die aus den hellenistischen Wirkereien oder aus den alexandrinischen Seidengeweben
herübergenommenen Reiter werden durch Nimben in Heilige verwandelt.1) Hier kommen
wirklich die Kopten zum Wort und man muß sie um so eher als die Verfertiger dieser Wir?
kereien ansehen, als der Tiefstand künstlerischen Vermögens mit den sonstigen Denkmälern
frühkoptischer Kunstübung vollkommen übereinstimmt.

Ein Hauptunterschied der Koptenwirkereien von den hellenistischen liegt in der Farbe.
Während die letzteren die Einfarbigkeit entschieden bevorzugen, um die Zeichnung klar
herauszuheben, ist für die Kopten die Deutlichkeit der Darstellung nichts, die Farbigkeit
alles. Figuren, Tiere, Pflanzen und sonstige Ornamente sind in greller Buntheit auf meist
roten Grund gestellt.2) Obwohl die koptischen Wirker vor figurenreichen und verwickelten
Darstellungen nicht zurückschrecken, steht ihre Zeichenkunst auf tiefster Stufe (Abb. 24,
Einsatz mit der Geschichte Josephs in Ägypten, Mus. Trier). Die menschlichen Gestalten
und Tiere sind von abschreckender Formlosigkeit, um nichts besser, als die barbarischen
Versuche fränkischer Goldschmiede derselben Zeit, wie die Figuren auf den bekannten Re?
liquiaren von S. Bonnet Avalouze, S. Benoit sur Loire und aus Herford sie zeigen. Die Oma?
mentik steht nicht viel höher; bezeichnend ist das wirre Durcheinander pflanzlicher und
animalischer Elemente und die unförmige Entstellung überlieferter Formen (Abb. 25 u. 26).3)

Das Aufkommen dieses Koptenstils hängt im allgemeinen mit den sozialen und kultu?
rellen Wandlungen am Ausgang der Antike zusammen, die mit Bezug auf die Textilkunst
M. Dregerl) geschildert hat. Für die koptische Formensprache der Wirkerei im besonderen ist
außerdem noch die im 6. Jahrhundert auf ihrer Höhe stehende Seidenweberei von Alexan?
dria von maßgebender Bedeutung gewesen. Viele der Merkmale, welche die koptischen
Wirkereien von den hellenistischen unterscheiden, beruhen offenbar auf der Nachahmung
jener Seidengewebe, deren Zuweisung an Alexandria in einem späteren Abschnitt zu be*
gründen sein wird. Diese Stoffe, als deren beste Typen die Tafeln 6 und 8 zu betrachten
sind, wurden in Abschnitten von den Formen und Abmessungen der gewirkten Claven als

l) Vgl. Gerspach 76 u. 111.

') Vgl. die in der Farbe sehr getreuen Abbildungen von zwei Rundeinsätzen des Berliner Kunstge*
werbemuseums in der Illustrierten Gesch. des Kunstgewerbes I T. zu Seite 162; ferner Gerspach 75—79, 81, 82.

:i) Die Verzerrung von Mensch, Tier und Ornament geht in den Koptenwirkereien zuweilen so weit,
daß die Bedeutung der Darstellung völlig unverständlich wird. Strzygowski hat die rätselhafte Musterung
eines bunten Seidenclavus im Kaiser Friedrich Museum, abgeb. Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen 1903
S. 177 mit einem Stil des Stillen Ozeans in Verbindung gebracht, der China und der altperuanischen Kunst
der Inkazeit gemeinsam sein soll. Es ist gewiß nicht nötig, die Phantasie so weit in die Ferne schweifen zu
lassen; denn es fehlt innerhalb der zahlreichen Koptenarbeiten nicht an Zwischenstufen, die den Übergang
von noch verständlichen Darstellungen, wie Abb. 24 etwa, zu den ganz verkommenen Ornamentbildungen
von der Art des Streifens im Kaiser Friedrich Museum veranschaulichen.

') Entwicklung der Weberei und Stickerei S. 15.

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