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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0078
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IV. Die Seidenstoffe der ausgehenden Antike.

Die Urheimat der Seide, der Königin unter allen Rohstoffen der Textilkunst, ist China.
Die Schriftquellen dieses Landes, freigebig mit genauen Daten aus grauer Vorzeit, versichern,
daß im Jahre 2689 vor Chr. die Kaiserin Hsi Ling Shi die Seidenzucht begonnen habe. Die
wesentliche Grundlage einer erfolgreichen Seidengewinnung ist die Verwendung unverletz?
ter Kokons des Maulbeerspinners Bombyx mori. Im natürlichen Verlauf der Dinge ver?
wandelt sich die Maulbeerraupe, nachdem sie in die schützende Hülle des Kokons sich ein*
gesponnen, in die Puppe und in den Schmetterling, der beim Auskriechen den Kokon durchs
bricht. Dadurch wird der Zusammenhang des feinen Fadens zerstört, der, abgesehen von
äußerlichen Flocken, den abspulbaren Kokon bildet. Die durchlöcherten Hüllen können
wohl wie Baumwolle versponnen werden, ergeben aber, oder ergaben doch in den einfachen
Betrieben der Vergangenheit nur ein minderwertiges Material. Die Vorzüge der Seide, den
unvergleichlichen Glanz, die Festigkeit bei größter Feinheit und Schmiegsamkeit, die Eig?
nung zum Färben besitzt in vollem Maß nur der vom unbeschädigten Kokon vor dem Aus?
kriechen des Schmetterlings abgehaspelte Faden. Daher werden, nach Auswahl der zur
Fortpflanzung des Insekts geeigneten Kokons, die Puppen in ihrer Hülle durch Hitze ge?
tötet. Sie trocknen ein und der Kokon ist reif zur weiteren gewerblichen Bearbeitung. Er
wird eingeweicht und geschlagen, um den Klebstoff zu lösen und die äußeren Hüllen zu
entfernen; dann kann das Abhaspeln des unendlich feinen Einzelfadens beginnen. Von
diesen werden mehrere vereinigt, um ein zum Verweben brauchbares Rohseidengespinst zu
bilden, das nach den besonderen Bedürfnissen der Weberei verzwirnt, gefärbt und herge?
richtet wird.

A. Das Eindringen der Seide in das Mittelmeergebiet.

Die Seidengewinnung in dieser zweckmäßig durchgebildeten Form war vom hohen
Altertum bis zum 4. nachchristlichen Jahrhundert ein sorgsam gehütetes Geheimnis der
Chinesen geblieben. Dann sollen zuerst Khotan, ein innerasiatisches Land an den West?
grenzen Chinas, ferner Korea und Japan der Seidenzucht teilhaftig geworden sein. Vorder?
asien jedoch und das römische Reich, die stärksten Seidenverbraucher außerhalb Chinas,
blieben bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts bloß auf die Einfuhr chinesischer Seidengespinste
und Gewebe angewiesen. Vor der Zeit Alexanders des Großen war die Seide im Mittel?
meergebiet noch unbekannt. Aristoteles berichtet zuerst über Gewebe, die aus dem Ge?
spinst der gehörnten Raupe eines Bombyx hergestellt würden; Pamphyla von Kos galt als
Erfinderin solcher „koischen" Stoffe. Plinius wiederholt diese Nachricht und fügt hinzu,
daß die Bombycina genannten Stoffe auch in Assyrien gemacht würden. Die Angaben
beider Schriftsteller beruhen auf Hörensagen, erwähnen den Maulbeerbaum nicht und sind
von einer richtigen Vorstellung der Seidengewinnung weit entfernt. Doch sind sie mehr
als dunkle Gerüchte über die geheimnisvolle Seide der Chinesen oder Serer, wie sie die
Griechen Alexanders bei ihrem Vorstoß nach Indien aufgefangen haben könnten. Denn
die koischen Gewänder, die so dünn gewebt wurden, daß sie die Frauen mehr entblößen
als bekleiden — ut denudet feminas vestis —, werden in der römischen Kaiserzeit als Gegen?

Falke, Seidenweberei.

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