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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0112
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sehen als Rosette auftritt, so ist auch
hier die einfache Herzblüte im spitzen
Kelch die reine Seitenansicht jener aus
vier Herzblättern gebildeten Rosette,
die von den griechischen Streumustern
aus Antinoe angefangen zu den häufig?
sten Motiven der spätantikenTextilorna?
mentik zählt. Auf dem Amazonenstoff
aus Säkkingen (T. 8, Abb. 70) ist die Ro?
sette in das Grundmuster der Zwickel?
felder eingestreut, auf dem Quadriga?
stoff von Münsterbilsen (T. IIa,
Abb. 74) in der Kreisborte neben die
seitlich gesehene Herzblumegesetzt. Die
zwei reicheren Blumenformen des Ver?
kündigungsstoffes sind als Ansichten
der voll entfalteten Blüte schräg von
oben her — wie die Kelchbildung zeigt
— gedacht.1) Der Unterschied zwischen

Abb. 69. Aegyptische Lotusborte; Relief in Dendera. beiden Formen ist gering Und die

Nachahmer alexandrinischer Muster
haben daher die eine oder andere Blüte fallen gelassen.

Zwischen den Blüten zweigen paarweis von dem Mittelstengel, der den Zusammen?
hang des ganzen Musters herstellt, die gekrümmten Blattformen ab, deren Entstehung bei
den Zachariasstoffen besprochen worden ist.2) Die Innenzeichnung ist ähnlich wie in An?
tinoe (vgl. T. 2 d) und Panopolis, nur kommt hier die Dreifarbigkeit des alexandriner Mo?
saikstils hinzu. Der Verkündigungsstoff bringt abwechselnd breite kurze Blätter und eine
gestrecktere Form, die analog der altägyptischen Lotusdarstellung die Knospen der Blüten
wiedergeben soll. Weniger sorgfältig gezeichnete Muster, wie der Säkkinger Amazonenstoff
T. 8 oder das Reiterfragment T. 7 b, haben die Unterscheidung der zwei Typen vernachläs?
sigt und sich mit den Knospen allein begnügt. Die naturalistischere Auffassung des Sim?
sonstoffes (T. 7 c, Abb. 71) läßt keinen Zweifel, daß die Musterzeichner wirklich die Blüten?
knospen vorführen wollten.

Ob diese Blütenborten ein bestimmtes botanisches Vorbild, etwa die Rose, wiedergeben
sollten, bleibt fraglich. Wahrscheinlich ist es nicht. Die Borte des Simsonstoffes hat aller?
dings Ähnlichkeit mit Rosenknospen; im allgemeinen jedoch lag die naturähnliche Wieder?
gäbe vegetabiler Motive dem Wesen und Wollen der spätantiken Kunst in ihrem letzten
Stadium sehr fern. Außerhalb der späthellenistischen (und koptischen) Textilkunst ist diese
Blütenborte nirgends nachzuweisen; im römisch?griechischen Ornament nicht und ebenso
wenig im mesopotamischen oder ferneren Orient. Die Pharaonenkunst Ägyptens hat allein
ein ähnlich angeordnetes Blumenornament geschaffen: Lotusblüten, zu einem aufsteigenden
Pfeilerornament übereinander gereiht, sind in der altägyptischen Kunst nicht selten und
zahlreiche Aufnahmen in Prisse d'Avennes' L'art egyptien zeigen eine den Blumenborten
der Alexandriastoffe sehr verwandte Polychromie.:!) In formaler Hinsicht ist die Überein?

') Es ist dasselbe, was Riegl, Stilfragen fig. 16, beim Lotus als „halbe Vollansicht" bezeichnet.

2) Man vergleiche dazu die geschweiften Blätter auf dem Kreuz Kaiser Justinus' II in S. Peter, abgeb.
Venturi I fig. 454 und Bock, Reichskleinodien, bei welchem die zwei Kreise am Stengelansatz deutlich von dem
übrigen Teil des Blattes abgesetzt sind. In ihrer Form liegt die Erklärung der hier am Verkündigungsstoff
nur farbig ausgedrückten Kreise.

0 Vgl. auch Owen Jones, Grammar of Ornament T. IV, 5, 13, 17; T. VII, 14, 25.

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