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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0154
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islamische Entstehung spätestens in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts der Muster?
in halt verbürgt.

Byzantinische Nachbildung einer persischen Vorlage kann beim Jesdegerdstoff nicht
in Frage kommen. Abgesehen von dem aus dem Westen entlehnten Ciavenbesatz der Tu?
nika sind keine Spuren unpersischen Stils zu entdecken. Die peinlich parallele Zeichnung
der Löwenfüße und der Hinterfüße des Greifen widerspricht dem rhomäischen Geschmack
ebensosehr wie die Frontalansicht der Steinbockhörner. Im Orient ist diese befangene Wie*
dergabe der nach vorn und nach hinten gerichteten Hörner von den assyrischen Skulpturen
aus Nimrud an bis in die persischen Tierteppiche der Sefidenzeit die Regel,1) auf griechischer
Seite wird sie, wie der Quadrigastoff Abb. 87 zeigt, vermieden. Die eigentümliche Ausstattung
der Löwen und Steinböcke mit ausgezackten hellen Flecken, die vom Umriß in den Körper
hineinreichen, wird uns allerdings auch bei byzantinischen Seidenstoffen des 10. Jahrh. be?
gegnen, soweit diese auf persische Vorbilder zurückgehen. Der Ursprung dieses Motivs
aber liegt wieder im alten Orient; es sind die gekrausten Fellpartien, die bei den androke?
phalen Stieren vom Sargonpalast zu Khorsabad (im Britischen Museum) uud weiterhin bei
den Stieren von Persepolis2) oben auf dem Rücken, auf den Hinterschenkeln, hinter der
Schulter und auf der Brust plastisch in scharf umgrenzten Flächen erscheinen. In der sassa?
nidischen Weberei, die sich zur Wiedergabe der gekrausten Stellen kontrastierender Farben
bedienen muß, ist daraus ein konventioneller Zierat geworden, der zur farbigen Belebung
auch auf andere Tiere, Löwen, Flügelpferde, Elephanten und Steinböcke übertragen wird
(vgl. T. 26, 28, 31).

Schließlich ist zu betonen, daß im römisch?hellenistischen Gebiet, das die Kreismuste?
rung der Reiterstoffe geschaffen hatte, für die Anordnung der Reiterbilder in Streifen ohne
ornamentale Einfassung keine Analogien zu finden sind; anders dagegen in Persien. Hier
stimmt das Streifenmuster des Jesdegerdstoffes mit den einfach gereihten Tierstoffen überein,
die ihrerseits wieder in dem mit schreitenden Löwen und Stieren in Streifen gemusterten Thron?
baldachin des Darius in Persepolis3) ihr altpersisches Vorbild haben. Man sieht aus alle?
dem, wie viele Fäden den Jesdegerdstoff inhaltlich und stilistisch mit der achämenidischen
Überlieferung verbinden.

In dem zweiten Reiterstoff (Tafel 27 u. 28 = Abb. 107) ist der hellenistische Einfluß
stärker ausgeprägt, ohne jedoch die Merkmale sassanidischer Arbeit zu verwischen. Aus
den zwei Bruchstücken in der Berliner Stoffsammlung und im Germanischen Museum zu
Nürnbergl) ist das Muster ziemlich vollständig bis auf die fehlende Zwickelfüllung wieder?
hergestellt. Mit einem Kreisdurchmesser von 87 cm reicht es fast an die Abmessungen des
Kunibertstoffes heran und die Auflösung runder und schräger Linien in eine Folge von
rechten Winkeln springt daher bei der annähernd naturgroßen Teilabbildung (T. 28) stark
ins Auge.

Dieses Prachtgewebe ist ein wichtiges Zeugnis für den gegenseitigen Austausch und
die Vermengung von Kunstformen zwischen den beiden östlichen Großmächten des spät?
antiken Zeitalters. Wie der Kunibertstoff die griechische Umbildung eines persischen Musters
veranschaulicht, so ist hier die Verwertung rhomäischer Motive in der sassanidischen Weberei
zu sehen. Den augenfälligsten Beweis liefert die Gewandung der Reiter, die der byzanti?
nischen Hoftracht nachgebildet ist. Schon die der persischen Sitte widersprechende Bar?
füßigkeit der Reiter verrät die Anlehnung an ein spätantikes Vorbild. Der Helm mit drei?
teiligem Aufsatz kann nur als die Frontaldarstellung des griechischen Helms mit drei Käm?

0 Vgl. Smirnow fig. 95.

2) Dieulafoy, L'art ant. de la Perse III T. 18.

:i) Abgeb. Sarre=Herzfeld, Iran. Felsreliefs S. 143 fig. 65.

') Letzteres abgeb. Migeon, Les arts du Tissu S. 355.

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