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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0155
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men erklärt werden, wie ihn auf den oströmischen Konsulardiptychen aus dem Anfang des
6. Jahrh. die Roma zu tragen pflegt (vgl. Abb. 82).') Die Tunika der Reiter trägt auf der
Brust zwei Claven, von denen einer durch einen schrägviereckigen Besatz zum Teil verdeckt
wird. Ob die Rosette auf der Schulter (s. T. 28) eine Nachbildung der ähnlich geformten
kaiserlichen Mantelschließe sein soll, wie sie Theodosius auf dem Silberschild in Madrid2)
und Justinian auf dem S. Vitalemosaik in Ravenna trägt, mag dahingestellt bleiben. Jeden*
falls erweist sich der Musterzeichner als sehr wenig vertraut mit der byzantinischen Tracht,
der er die Claven und den schrägen Brustbesatz entnommen hat. Diese Zusammenstellung
auf einem Kleidungsstück ist in Wirklichkeit unmöglich; nur die Claven gehören auf die
Tunika;3) das rautenförmige Tablion ist ausschließlich dem Mantel vorbehalten. Auf allen
Darstellungen oströmischen Ornats von den Valensmünzen, dem Theodosiusschild und
dem Justiniansmosaik bis ins 11. Jahrh. ist diese Scheidung durchgeführt.4) Nur ein dem
byzantinischen Leben fernstehender Zeichner konnte die verschiedenen Abzeichen der Hof*
tracht in so mißverstandener Weise miteinander verbinden.

Auf westliche Vorbilder ist ferner die Füllung der Kreisbänder mit einzelnen Tieren
— man kann Löwen, Stiere, Steinböcke, Hirsche, Rehe erkennen — zurückzuführen. Auf
orientalischer Seite ist Ähnliches nicht zu finden, in den spätantiken Wirkereien dagegen
sind einrahmende Streif en mit sehr ähnlich gestalteten Tieren gang und gäbe (vgl. Abb. 16).5)

In allem übrigen kommt die persische Formensprache unverfälscht zum Ausdruck.
Das Muster stellt trotz der mythologisch anmutenden Flügelpferde eine Episode aus den
Jagdabenteuern sassanidischer Könige dar, die wieder mit dem großen Nimrod Bahram Gor
in Verbindung gebracht werden kann. Der König hat einen jungen Löwen geraubt und
trägt ihn auf erhobener Hand, während die an den Brüsten erkennbare Löwin gegen das
Pferd anspringt. Darunter ein wildes Getümmel von Jagdleoparden, die Hirsche und Böcke
niederreißen, im Vordergrund der Löwe. Mit einer Hand faßt der König den Zweig einer
langgestielten Palmette. Der vom Zweig umzogene Vogel ist wohl als Jagdfalke anzusehen.
Ähnlich stilisierte Pflanzen mit Palmettenkrone und Vögeln in Spiralzweigen sind auf einer
sassanidischen Silberflasche6) als reines Ornament, nicht als heiliger Baum verwendet. Den*
selben Vorgang des Löwenraubes schildert realistischer eine Silberschale im Britischen Mu*
seum (Abb. 108), in deren Reiter Dalton und Smirnow Bahram V erkennen. Auch die
Gruppe der Adler und Rehe in den Verbindungskreisen findet auf einer Silberflasche7) ihr
Gegenstück. Von der Zwickelfüllung ist außer den Steinböcken nur eine Baumkrone er*
halten, deren Innenzeichnung mit der Baumkrone des Jesdegerdstoffes so genau überein*
stimmt, daß man für beide Gewebe, wenn schon nicht denselben Betriebsort, so doch ziem?
lieh gleichzeitige Entstehung annehmen muß.

Der Sturz des Sassanidenhauses durch die Araber und die darauf folgende Islamisierung
des Landes bedeutet für den persischen Seidenstil keine unmittelbar wirksame Wandlung.
Noch drei bis vier Jahrhunderte nach der politischen und religiösen Umwälzung hielt sich
die persische Webekunst in den gewohnten Bahnen, nur daß die Bilder zur Verherrlichung

*-) Beispiele das Clementinusdiptychon Venturi I fig. 338; die Magnusdiptychen von 517 in Paris und
Mailand, Venturi I fig. 342 u. 343, Diehl, Manuel fig. 140. — In reiner Frontansicht ist der Helm der Roma
unserem Stoff ziemlich ähnlich auf einer Münze des Priscus Attalus zu sehen, Venturi I fig. 432.

2) Venturi I fig. 438; Ullsteins Weltgeschichte II S. 23.

:!) Byzantinische Beispiele der Silberschild mit dem Reiterbild Justinians, Diehl, Manuel fig. 150; Ven*
turi I fig. 440; ferner der Reiterstoff aus Mozac s. Abb. 219.
') Beispiele Diehl Manuel fig. 93, 94, 164, 183.

') Beispiele bei Gerspach fig. 4, 6, 7, 69; Riegl, Die ägypt. Textilfunde T. 13; Migeon, Les arts du Tissu
S. 31; Dreger, Entwicklung T. 22.
") Smirnow T. 55 Nr. 89.
7) Smirnow T. 54 fig. 88.

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