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Falkenhausen, Susanne von
KugelbauVisionen: Kulturgeschichte einer Bauform von der Französischen Revolution bis zum Medienzeitalter — Bielefeld, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.20550#0026
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Kugelbauvisionen

Dieser war, als Bild wie als faktische Präsenz, immerhin ein derart
mächtiges Zeichen gewesen, dass selbst noch das Flugblatt Matiere
ä reßection pour les jongleurs couronnees, mit dem die Hinrichtung
des Königs am 21. Januar 1793 gefeiert wurde und das seinen abge-
trennten Kopf zeigte, wie er am Schopf von der Hand des Henkers
emporgehalten wurde, ex negativo ein zugkräftigeres Bild abgab als
die meisten Versuche der revolutionären Bildpropaganda, positive
Zeichen für »le peuple souverain« zu erfinden. (Abb. 14)

Hier setzte die revolutionäre Karriere der Kugelmetapher ein,
ausgelöst wahrscheinlich durch das Pamphlet von Emmanuel-Joseph
Sieyes mit dem Titel Was ist der Dritte Stand?24 aus dem ersten Jahr
der Revolution, der mit dem Bild von der Kugel versucht hatte, die
Idee der Gleichheit aller vor dem Gesetz überhaupt erst vorstellbar
zu machen: »Ich stelle mir das Gesetz als Mittelpunkt einer großen
Kugel vor: Alle Bürger ohne Ausnahme befinden sich im gleichen
Abstand auf der Oberfläche und nehmen da gleiche Plätze ein. Alle
hängen gleichermaßen vom Gesetz ab, alle stellen ihre Freiheit und
ihr Eigentum unter seinen Schutz. Das nenne ich die gemeinsamen
Rechte der Bürger, durch die sie alle gleich sind ... «25 Der Volkssou-
verän hatte nun einen Körper: abstrakt wie der Begriff und gleich-
zeitig prägnant bildhaft, eine Figur, aber eine aus der Geometrie, die
in erster Linie einen Raum mit definierter Begrenzung beschrieb und
geeignet schien, das Vakuum politischer Macht im Inneren des Sou-
veräns symbolisch zu umschreiben. Übertragen wurde diese Figur auf

24 Emmanuel-Joseph Sieyes: Was ist der dritte Stand?, Rolf Hellmut Foerster
(Hg.): Frankfurt/M. 1968 (franz. Titel des Pamphlets von 1789: Qu'est-ce que le
tiers etat?).

25 Ebd., S. 136.

26 Begriffsgeschichte und Forschungsmeinungen sind zusammengefasst bei: Ga-
bor Kiss: Nation als Formel für gesellschaftliche Selbstrepräsentation der Demokratie, in:
Jörg-Dieter Gauger, Justin Stagl (Hg.): Staatsrepräsentation (Schriften zur Kulturso-
ziologie Bd.12), Berlin 1992. Die Literatur dazu ist umfangreich und befasst sich mit
den historischen Varianten von »Fremd- und Selbstbeschreibung« (Kiss) solcher Ge-
meinschaften, d.h. auch mit dem Ein- und Ausschluss von bestimmten Bevölkerungs-
gruppen, allerdings nicht mit dem von Frauen aus den Definitionen von »Volk« und
»Nation«. Die Geschlechterdifferenz ist in diesem Wissenschaftsdiskurs »unsichtbar«.
Zur staatstheologischen Vorgeschichte im Mittelalter muss auf die mittlerweile klas-
sisch zu nennende Arbeit von Ernst H. Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Eine
Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 (engl. Originalausgabe:
The King's Two Bodies. A Study in Medieaval Political Theology, Princeton, New Jersey
1957) hingewiesen werden, dort besonders zum populum, S. 221. Otto Kallscheuer und
Claus Leggewie haben eine lebendige Diskursgeschichte zur Nation, ausgehend von der
Französischen Revolution, geliefert: Deutsche Kulturnation versus französische Staats-
nation? Eine ideengeschichtliche Stichprobe, in: Helmut Berding (Hg.): Nationales Be-
wußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewusst-
seins in der Neuzeit, 2, Frankfurt/M. 1994, S. 112-162.

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