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Falkenhausen, Susanne von
KugelbauVisionen: Kulturgeschichte einer Bauform von der Französischen Revolution bis zum Medienzeitalter — Bielefeld, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.20550#0038
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Kugelbauvisionen

Realisierung nicht erlaubte. Stattdessen wurde die Praxis ephemerer
Feste und ihrer Aufbauten - Altäre des Vaterlandes, Heilige Berge
und Ähnliches46 - intensiviert, um den Mangel an gebauten Kul-
träumen für eine Inszenierung revolutionärer Einheit so weit wie
möglich wettzumachen. Ein Blick in die Geschichte der Architektur-
wettbewerbe der Academie Royale und ihrer Fortsetzung während der
Revolutionsjahre zeigt jedoch, dass die Tradition einer Entwurfstä-
tigkeit, die sich an den kanonischen Bauaufgaben orientierte, wel-
che die Akademie formulierte, kaum je im Zusammenhang mit einer
Ausführung der Entwürfe gedacht war. Die bei den Akademiewett-
bewerben praktizierte Entwurfsart für öffentliche Bauaufgaben47 in
ihrer Anlehnung an Phantasien des Erhabenen - besonders ausge-
prägt in der Grabarchitektur und den Entwürfen für Nekropolen und
Basiliken - schien den Status der höchsten Gattung innerhalb ar-
chitektonischer Bildpraxis einzunehmen, analog zum Historienbild
bei den Akademiewettbewerben für den Prix de Rome der Maler.48
Wenn es also für die Epoche der Französischen Revolution zumeist
um Entwürfe geht und erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch
um ausgeführte Bauten, so muss diese Spannung zwischen Vision
und Konkretion einer Bauidee mitgedacht werden, zumal nicht nur
Boullees Entwürfe so ausgearbeitet waren, dass sie die Vorstellung
weckten, der Blick auf die Zeichnung könnte den Blick auf ein ent-
sprechendes ausgeführtes Gebäude ersetzen. Damit wurde die Ka-
tegorie des Blicks zum angenommenen Angelpunkt der Wahrneh-
mungsweise von Architektur; die Erfahrbarkeit eines begehbaren
Baukörpers trat demgegenüber zurück. Dies wiederum hatte, wie
beim Entwurf Boullees für den Tempel der Vernunft/Natur zu sehen
sein wird, Einfluss auf die Entwurfskriterien selbst, denn nun schob
sich der Bildcharakter vor die praktischeren Werte der Funktionalität
und der Ausführbarkeit. Fragen der Lesbarkeit, der »Übersetzung«
von Grundriss und Schnitt, stellten sich unter diesen Prämissen
völlig anders.

47 Vgl. Jean-Marie Perouse de Montdos: Les Prix de Rome. Concours de lAcademie
royale d'architecture au XVIIIe siede, Paris (Ecole nationale des Beaux-Arts) 1984.

48 Beispielhaft erschlossen für die Revolutionsjahre ist der Wettbewerb der Ar-
chitekturakademie des Jahres II der Revolution bei Werner Szambien: Les Projets
de l'an II, Paris 1986. Die Institution des Prix de Rome wurde vor allem im Umfeld
der Wanderausstellung The Grand Prix de Rome: paintings from the Ecole des Beaux-
Arts 1797-1863, die in der National Academy of Design, New York, 1984 begann,
erforscht. Vgl. außerdem Philippe Grunchec: Les concours des prix de Rome: 1797-
1863, Pieces d'archives et oeuvres documentees, Paris 1989; Albert Boime: The Prix
de Rome: Images ofAuthority and Threshold of Official Success, in: Art Journal (New
York) 1984, 44 (3), S. 281-289; sowie der Tagungsband: French Academy, classicism
and its antagonists, June Hargrove (Hg.), Newark, London, Toronto 1990.

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