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Falkenhausen, Susanne von
KugelbauVisionen: Kulturgeschichte einer Bauform von der Französischen Revolution bis zum Medienzeitalter — Bielefeld, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.20550#0111
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Die Kugel im 20. Jahrhundert

Säkulare Kulträume moderner Massengesellschaft

Für das 20. Jahrhundert konzentriert sich die Genealogie von Ein-
heitsmetaphern in der Architektur säkularer Kulte wieder auf die Ku-
gelform. Dem Turm bleibt die Rolle des Hintergrundes, vor dem sich
die Figur der Kugel gleichsam absetzt. Deshalb wird es nun nicht um
die Karriere des Turms im 20. Jahrhundert gehen - in den kristalli-
nen und organischen Turmformen des deutschen Expressionismus, die
noch im Bann der älteren Turmmythen stehen,204 oder den US-ameri-
kanischen Hochhäusern. Der Turm taucht in den Kultinszenierungen
der politischen Systeme des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom
einer »autoritären« Unterbrechung zwischen der Volkssouveränität
der Französischen Revolution und den modernen Demokratien auf.
In eine Makro-Perspektive gestellt, zeigt sich, dass diese Unterbre-
chung mit der Ungleichzeitigkeit in der Ausformung der modernen
politischen Systeme im 19.Jahrhundert zu tun hat, die nicht als
lineare Entwicklungsgeschichte der Demokratie, abgeleitet von der
radikalen Republik der jakobinischen Revolution, verlaufen ist. Binär
überspitzt ließe sich folgender Befund formulieren: Die Kugelform
als Bedeutungsträger für Bauten im politisch-öffentlichen Raum geht
zusammen mit demokratischen Konzepten der Souveränität. Sie zählt
zu jener Gruppe von Repräsentationen oder Verkörperungen, die das
symbolische Vakuum füllen sollten, das der tote Königskörper hin-
terlassen hatte: Personifikationen des revolutionären Götterhimmels,
Tempel, Denkmäler, Heilige Berge. Allerdings wies dieser Bau-Körper,
der seine Verweiskraft über seine Eigenschaften als geometrischer
Körper gewonnen hatte, eine Besonderheit auf. Obwohl Verkörperung
der Souveränität, Gleichheit und Einheit des Volkes, umschrieb er
selbst als Form ein Vakuum und bildete damit auf gefährliche Wei-
se das grundsätzliche Symbolisierungsproblem der Volkssouveränität
ab, dem ein zentraler politischer Körper fehlte. Der Turm hingegen
beschrieb über seine Vertikalität nicht nur eine gleichsam Gestalt
gewordene Virilität, sondern damit einhergehend eine hierarchisch
imaginierte gesellschaftliche und politische Ordnung, deren Volk als
um eine zentrale Autorität geschart und auf diese ausgerichtet imagi-
niert wurde, wie aus den Ritualen um das Völkerschlachtdenkmal und
ihrer baulichen Rahmung deutlich geworden ist. Die Turmmetapher
wird mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreiches und

204 Vgl. Pehnt 1994.

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