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Deutsches Schau
tische zu lagern, als der Kammerherr von E. die ganze Ge-
sellschaft auf's höflichste anredete.
„Sie hatten," sprach er, „so oft das Auge und Ohr des
Prinzen, seines -Herrn, durch Schauspiele ergötzt, die nicht
> anders als gut ausfallen können, da sie italienisch gewesen
wären. Zwar sei es ihm unmöglich, mit gleich guter Münze
Zahlung zu leisten; doch würde es ihm schmeicheln, wenn sie
heul ein deutsche- Stück, so gut eS hier möglich zu machen,
auf einige Augenblicke'ihrer Auftnerksamkeit würdigten."
Alle, selbst der Prinz, staunten. Zwar errieth dieser etn-as
von dem, waS folgen könnte; aber wenigstens folgte er, mit
; nicht minderer Neugier, seinem Kammerherrn nach, der die Ge-
sellschaft in den Hof des HauseS herunter führte.
Ganz in der Vertiefung desselben sahen fie eine Art elender
! Bretterbude zusammcngefügt, vor welcher rings umher Stühle
standen. Man ließ sich höhnisch lächelnd nieder, der Vorhang
! ging auf, und das spöttische Flüstern mehrte sich, denn der
: Schauplatz stellte eine ziemlich enge Straße vor, in welcher
j einige hin und wieder zerstreute Lampen das Düstere der Nacht
I schier noch vermehrten, als erleuchteten.
Endlich erschien ein deutscher Reisender, einfach, doch gut
j gekleidet, mit einem Gurt umschnallt, in welchem zwei Pistolen
steckten; er sah sich überall neugiervoll, wie ein Mann, der sich
! an einem fremden Ort befindet, um, und ein kleiner Monolog
bewies eS bald unumstößlich.
„Er komme, sagte er, in tiefer Nacht hier zu Siena an,
j und sei ungewiß, ob er noch irgendwo Einlaß finden würde.
Müde von der weiten Reise verlange er fteilich nach Ruhe,
aber kaum würde fie ihm dießnial zu Theil werden. Je nun!
' bester sei freilich besser: doch ein kleines Uebel ließe fich leicht
. erdulden, zumal wenn man ein Deutscher sei. — Denn was
sei wohl diesem Volke unerttäglich!"
. „Ha! geirrt! (strafte er sich selbst:) Es ist wahr, wir
: crttagen ziemlich viel: Hunger und Durst, Hitze und Kälte,
Gefährlichkeiten des Krieges und der Reise; nur etwas nicht,
was dock sonst die Wollust mancher weichlichen Völkerschaft aus-
! macht: — ein Leben ohne Beschäftigung! — Möchte doch
, diese Nacht noch einmal so lang sein! — Möchte doch der
Schlaf mein Auge noch einmal so schwer drücken! Beschästi»
j gung her! und ich wache gern.-Aber hätte ich denn
i gar keine? Ist hier nicht Licht? Habe ich nichtein Buch? Freilich
' ist der Ort nicht der bequemste; doch was thut der zur Sache!"
Sogleich zog er ein Buch ans der Tasche, trat unter
die nächste Laterne, und las. — Er hatte kaum angefangen,
: so zog «in andres aus einem Ouergäßchen hervorkommendes
spiel zu Venedig.
Wesen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Es war
eine lange, weiße, gleichsam schwebende Figur, die den Deutschen
sorgfältig von allen Seiten bettachtete, noch sorgfältiger von ihm
gesehen zu werden vermied, sich endlich, da sie ihn emsig im Lesen
vertieft sah, so nahe als möglich zu ihm wagte, über seine
Schultern mit in's Buch schaute, und ihr Erstaunen über
solches durch Mienen deutlich an den Tag legte.
Der Deutsche hingegen fand bald, daß Lesen eine Be-
schäftigung sei, die unter freiem Himmel, in so schwüler Nacht,
und nach so weiter Reise nur noch mehr ermüde; seine Augen
wurden immer schlasttunkner, und er steckte mißvergnügt sein
Buch wieder ein.
„Ist es denn aber wirklich so spät, daß Niemand mehr
zu ermuntern sein sollte!" brach er etwas ungeduldig heraus,
zog seine Repetiruhr hervor, ließ sie schlagen, und es schlug
zwölf Uhr.
Deutsches Schau
tische zu lagern, als der Kammerherr von E. die ganze Ge-
sellschaft auf's höflichste anredete.
„Sie hatten," sprach er, „so oft das Auge und Ohr des
Prinzen, seines -Herrn, durch Schauspiele ergötzt, die nicht
> anders als gut ausfallen können, da sie italienisch gewesen
wären. Zwar sei es ihm unmöglich, mit gleich guter Münze
Zahlung zu leisten; doch würde es ihm schmeicheln, wenn sie
heul ein deutsche- Stück, so gut eS hier möglich zu machen,
auf einige Augenblicke'ihrer Auftnerksamkeit würdigten."
Alle, selbst der Prinz, staunten. Zwar errieth dieser etn-as
von dem, waS folgen könnte; aber wenigstens folgte er, mit
; nicht minderer Neugier, seinem Kammerherrn nach, der die Ge-
sellschaft in den Hof des HauseS herunter führte.
Ganz in der Vertiefung desselben sahen fie eine Art elender
! Bretterbude zusammcngefügt, vor welcher rings umher Stühle
standen. Man ließ sich höhnisch lächelnd nieder, der Vorhang
! ging auf, und das spöttische Flüstern mehrte sich, denn der
: Schauplatz stellte eine ziemlich enge Straße vor, in welcher
j einige hin und wieder zerstreute Lampen das Düstere der Nacht
I schier noch vermehrten, als erleuchteten.
Endlich erschien ein deutscher Reisender, einfach, doch gut
j gekleidet, mit einem Gurt umschnallt, in welchem zwei Pistolen
steckten; er sah sich überall neugiervoll, wie ein Mann, der sich
! an einem fremden Ort befindet, um, und ein kleiner Monolog
bewies eS bald unumstößlich.
„Er komme, sagte er, in tiefer Nacht hier zu Siena an,
j und sei ungewiß, ob er noch irgendwo Einlaß finden würde.
Müde von der weiten Reise verlange er fteilich nach Ruhe,
aber kaum würde fie ihm dießnial zu Theil werden. Je nun!
' bester sei freilich besser: doch ein kleines Uebel ließe fich leicht
. erdulden, zumal wenn man ein Deutscher sei. — Denn was
sei wohl diesem Volke unerttäglich!"
. „Ha! geirrt! (strafte er sich selbst:) Es ist wahr, wir
: crttagen ziemlich viel: Hunger und Durst, Hitze und Kälte,
Gefährlichkeiten des Krieges und der Reise; nur etwas nicht,
was dock sonst die Wollust mancher weichlichen Völkerschaft aus-
! macht: — ein Leben ohne Beschäftigung! — Möchte doch
, diese Nacht noch einmal so lang sein! — Möchte doch der
Schlaf mein Auge noch einmal so schwer drücken! Beschästi»
j gung her! und ich wache gern.-Aber hätte ich denn
i gar keine? Ist hier nicht Licht? Habe ich nichtein Buch? Freilich
' ist der Ort nicht der bequemste; doch was thut der zur Sache!"
Sogleich zog er ein Buch ans der Tasche, trat unter
die nächste Laterne, und las. — Er hatte kaum angefangen,
: so zog «in andres aus einem Ouergäßchen hervorkommendes
spiel zu Venedig.
Wesen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Es war
eine lange, weiße, gleichsam schwebende Figur, die den Deutschen
sorgfältig von allen Seiten bettachtete, noch sorgfältiger von ihm
gesehen zu werden vermied, sich endlich, da sie ihn emsig im Lesen
vertieft sah, so nahe als möglich zu ihm wagte, über seine
Schultern mit in's Buch schaute, und ihr Erstaunen über
solches durch Mienen deutlich an den Tag legte.
Der Deutsche hingegen fand bald, daß Lesen eine Be-
schäftigung sei, die unter freiem Himmel, in so schwüler Nacht,
und nach so weiter Reise nur noch mehr ermüde; seine Augen
wurden immer schlasttunkner, und er steckte mißvergnügt sein
Buch wieder ein.
„Ist es denn aber wirklich so spät, daß Niemand mehr
zu ermuntern sein sollte!" brach er etwas ungeduldig heraus,
zog seine Repetiruhr hervor, ließ sie schlagen, und es schlug
zwölf Uhr.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Deutsches Schauspiel zu Venedig"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Der Geist Ciceros im Gespräch mit einem deutschen Reisenden.
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr. 2, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg