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Die Propheten.
Es hat schon viele Propheten, große und kleine, gege-
ben, und manche derselben haben es zu einem unsterblichen
Namen gebracht. Es gibt aber auch heutzutage noch Pro-
pheten , die um so eher diesen Namen verdienen, weil ihre
Wahr- und Weissagungen in der Regel nicht eintreffen. Je-
der derselben hat sein Lieblingsfach; der Eine prophezeit eine
neue Religion, der Zweite eine neue Sündfluth und der Welt
Untergang, der Dritte das tausendjährige Reich, der Vierte
eine preußische Constitution, der Fünfte einen dramatischen
Dichter, welcher Shakspearc, Schiller und Goethe ersehe» soll,
der Sechste eine deutsche Flotte, der Siebente ein deutsches
Buch ohne Druckfehler, der Achte einen durch die Tantiemen
reich gewordenen deutschen Theaterdichter, der Neunte die Be-
werkstelligung einer Luftdampfschiffsahrt, wofür ja die drei
Hauptfaktoren, nämlich Lust, Dampf und Schifffahrt schon
seit Langem vorhanden sind, der Zehnte — — doch man
müßte Bogen füllen, wollte man ein vollständiges Register
aller modernen Propheten in ihren verschiedenen Abarten lind
Schattirungen geben. Von zweien derselben mag jedoch hier
in leichten Umriffen ein Bild entworfen werden.
1) Der Kriegs- undRevolutionsprophct. Ein
Mann von den gewagtesten Combinationen, der seit fünfzehn
Jahren eine» allgemeinen Weltkrieg von Monat zu Monat
verkündet und, so oft er auch Lügen gestraft wurde, nicht
müde wird, irgend einen Krieg oder eine Revolution für die
nächsten acht Tage anzusagen. Er ist der unschuldigste und
zahmste Mensch, der sich denken läßt. Er kann keinen Tropfen
Blut fließen sehen, ohne zu schaudern, aber in der Vorstel-
lung watet er durch das Blut von tausend hingcschlachteten
Völkern, obne auch nur die leiseste Anwandlung von Mitleid
zu empfinden. Wenn seine Frau oder Köchin eine Taube
schlachtet, so macht er eine Reise über Land, wenn sich sein
jüngster Bube am Finger geritzt hat, so läuft er zum Wund-
arzt, vielleicht nur um die Blutstätte zu fliehen; wenn er ein
Beefsteak bestellt, so befiehlt er ausdrücklich: nur nicht nach
englischer Art, nur recht scharf gebraten! denn ein noch blu-
tendes Beefsteak, der ächten Art, würde ihm Anwandlungen
von Ohnmacht verursachen.
Welch ein Held ist er dagegen, wenn er bei dem Zu-
ckerbäcker die Augsburger Zeitung vom neuesten Datum aus
der Hand legt! Sein Gesicht flammt, sein Auge glüht, seine
Hand ballt sich, wie zum Dreinschlagen. Selbst seine Stimme
rollt und grollt unheimlich, wie die eines Löwen, der nach
Menschenfleisch lüstern ist. Er bestellt ein Glas Rothwein;
er hält es gegen das Licht; es hat die ächte Blutfarbe; das
Licht spiegelt sich darin so prophetisch. Er denkt sich im
Stillen: bestände doch die ganze Erdatmosphäre aus solcher
Blutfarbe und die Sonne schiene so spukhaft hinein, wie dieß
Talglicht in das Glas! — Gewiß eine riesenhafte Vorstellung!
Noch ein Glas! und noch ein Glas! — Er glaubt
Menschcnblut zu schlürfen, und sein Durst wächst, je mehr
er ihn zu stillen sucht.
„Habe ich es nicht vor acht Tagen gesagt!" — mit
diesen Worten wendet er sich zu dem Eonditorlehrling, da
gerade sonst kein Gast anwesend ist — „die Verhältnisse
zwischen Frankreich und England stehen auf dem Bruche. Da
haben die Engländer wieder ein französisches Fahrzeug durch-
sucht. Das fatale Durchsuchungsrecht! Die französische Nation
muß Genugthuung fordern; Guizot wird dem Verlangen der
Nation nachgeben müffen, oder sein Ministerium ist geliefert.
Er hat ohnehin wieder eine Stimme in der Deputirtenkam-
mer verloren. Peel aber wird jede Genugthuung verweigern.
Die Kriegserklärung kann nicht ausbleiben. Da haben wir
die Bescherung! Na, meinetwegen! ich wasche meine Hände
in Unschuld!"
Der gute liebe Conditorjunge in seiner schneeweißen Jacke
macht ein sehr gutes, aber auch sehr dummes Gesicht. „Es
kann am Ende schon so weit kommen," murmelt der junge
Mensch in seiner Verlegenheit.
Die Propheten.
Es hat schon viele Propheten, große und kleine, gege-
ben, und manche derselben haben es zu einem unsterblichen
Namen gebracht. Es gibt aber auch heutzutage noch Pro-
pheten , die um so eher diesen Namen verdienen, weil ihre
Wahr- und Weissagungen in der Regel nicht eintreffen. Je-
der derselben hat sein Lieblingsfach; der Eine prophezeit eine
neue Religion, der Zweite eine neue Sündfluth und der Welt
Untergang, der Dritte das tausendjährige Reich, der Vierte
eine preußische Constitution, der Fünfte einen dramatischen
Dichter, welcher Shakspearc, Schiller und Goethe ersehe» soll,
der Sechste eine deutsche Flotte, der Siebente ein deutsches
Buch ohne Druckfehler, der Achte einen durch die Tantiemen
reich gewordenen deutschen Theaterdichter, der Neunte die Be-
werkstelligung einer Luftdampfschiffsahrt, wofür ja die drei
Hauptfaktoren, nämlich Lust, Dampf und Schifffahrt schon
seit Langem vorhanden sind, der Zehnte — — doch man
müßte Bogen füllen, wollte man ein vollständiges Register
aller modernen Propheten in ihren verschiedenen Abarten lind
Schattirungen geben. Von zweien derselben mag jedoch hier
in leichten Umriffen ein Bild entworfen werden.
1) Der Kriegs- undRevolutionsprophct. Ein
Mann von den gewagtesten Combinationen, der seit fünfzehn
Jahren eine» allgemeinen Weltkrieg von Monat zu Monat
verkündet und, so oft er auch Lügen gestraft wurde, nicht
müde wird, irgend einen Krieg oder eine Revolution für die
nächsten acht Tage anzusagen. Er ist der unschuldigste und
zahmste Mensch, der sich denken läßt. Er kann keinen Tropfen
Blut fließen sehen, ohne zu schaudern, aber in der Vorstel-
lung watet er durch das Blut von tausend hingcschlachteten
Völkern, obne auch nur die leiseste Anwandlung von Mitleid
zu empfinden. Wenn seine Frau oder Köchin eine Taube
schlachtet, so macht er eine Reise über Land, wenn sich sein
jüngster Bube am Finger geritzt hat, so läuft er zum Wund-
arzt, vielleicht nur um die Blutstätte zu fliehen; wenn er ein
Beefsteak bestellt, so befiehlt er ausdrücklich: nur nicht nach
englischer Art, nur recht scharf gebraten! denn ein noch blu-
tendes Beefsteak, der ächten Art, würde ihm Anwandlungen
von Ohnmacht verursachen.
Welch ein Held ist er dagegen, wenn er bei dem Zu-
ckerbäcker die Augsburger Zeitung vom neuesten Datum aus
der Hand legt! Sein Gesicht flammt, sein Auge glüht, seine
Hand ballt sich, wie zum Dreinschlagen. Selbst seine Stimme
rollt und grollt unheimlich, wie die eines Löwen, der nach
Menschenfleisch lüstern ist. Er bestellt ein Glas Rothwein;
er hält es gegen das Licht; es hat die ächte Blutfarbe; das
Licht spiegelt sich darin so prophetisch. Er denkt sich im
Stillen: bestände doch die ganze Erdatmosphäre aus solcher
Blutfarbe und die Sonne schiene so spukhaft hinein, wie dieß
Talglicht in das Glas! — Gewiß eine riesenhafte Vorstellung!
Noch ein Glas! und noch ein Glas! — Er glaubt
Menschcnblut zu schlürfen, und sein Durst wächst, je mehr
er ihn zu stillen sucht.
„Habe ich es nicht vor acht Tagen gesagt!" — mit
diesen Worten wendet er sich zu dem Eonditorlehrling, da
gerade sonst kein Gast anwesend ist — „die Verhältnisse
zwischen Frankreich und England stehen auf dem Bruche. Da
haben die Engländer wieder ein französisches Fahrzeug durch-
sucht. Das fatale Durchsuchungsrecht! Die französische Nation
muß Genugthuung fordern; Guizot wird dem Verlangen der
Nation nachgeben müffen, oder sein Ministerium ist geliefert.
Er hat ohnehin wieder eine Stimme in der Deputirtenkam-
mer verloren. Peel aber wird jede Genugthuung verweigern.
Die Kriegserklärung kann nicht ausbleiben. Da haben wir
die Bescherung! Na, meinetwegen! ich wasche meine Hände
in Unschuld!"
Der gute liebe Conditorjunge in seiner schneeweißen Jacke
macht ein sehr gutes, aber auch sehr dummes Gesicht. „Es
kann am Ende schon so weit kommen," murmelt der junge
Mensch in seiner Verlegenheit.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Propheten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.16, S.126
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg