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Die magischen Küsse.

(Schluß.)

Jeden Augenblick meinte er, jetzt müffe Marie in dem
blauen Hausklcide mit der weißen Schürze, die große Suppen-
schüssel in der Hand, durch diese Thüre eintreten. Aber viele
Stunden waren nach dem Maßstabe seiner Ungeduld schon
vergangen, und noch immer kam sie nicht; sie wird doch nicht
krank sein? dachte er plötzlich. Ein Pruhsten und Schnauben
und unregelmäßiges Fußtappen zeigte an, daß der krummbei-
nige Martin, wie gewöhnlich, seine Promenade unter den
Fenstern des Refektoriums mache, damit die Morgensonne, wie
er sich auszudrücken pflegte, die bösen Nebel vom vorigen Tage
zerstreuen möchte. „HehMartin, Martin!" schrie Franz,
und ehe noch eine Antwort erfolgen konnte, war er gewandt
durch's Fenster an dem dichten Epheugeflechte die wegen des
hohen Fundaments nicht -unbeträchtliche Höhe hinabgeklettert.
Marie ist doch nicht krank? wollte er fragen, aber so wenig
er sonst in dem Augenblicke zum Lachen aufgelegt war, der
Anblick des guten Martin war gar zu komisch. Martins
gestriger Rausch mußte tüchtig gewesen sein, denn die Kleider
hatten den höchstmöglichen Grad von Knappheit erreicht. Wie
eine Ente wankte der Alte daher in den mehr als chinesisch
engen Schuhen, die gleich Tricot anschließenden Hosen zeigten
die kreisförmige Bildung dieses charakteristischen Körpertheils
Martins in seiner ganzen Schönheit, die Aermel endlich
reichten kaum bis zum Ellenbogen,' und der schmale Streif,
welcher vom Rückenstück übrig war, zog die Schultern des al-

ten Knaben zurück, daß ein Rekrut, der reiten lernt, daran
hätte ein Beispiel nehmen können.

„Ihr habt gut lachen in Euern bequemen Kleidern," sagte
Martin unwirsch, „aber das wird schon aufhören, wenn der
Martin nicht mehr zu Markte gehen und Speisen für Euch
holen kann! in den Kleidern halt's der Teufel aus, und gestern
sind mir schon die Buben bis eine halbe Stunde von der Stadt
nachgesprungen, so daß ich ihnen zuletzt in der Wuth ein Ei
um's andere an den Kopf warf."

„Sei nur ruhig, Alterchen," tröstete ihn Franz, „ich
schenke dir meine Sonntagskleider, denn ich komme ja doch nicht
unter die Leute. Nur den Tag, wann ich mit der Marie zur
Kirche gehe, um mich trauen zu lasten, mußt du mir sie wie-
der leihen. Aber sag, weißt du nicht, was es mir der Marie
ist, daß sie noch immer nicht herunterkommt von ihrer Schlaf-
stube ?"

„Na, was soll's denn sein," brummte Martin, und
machte wieder einen vergeblichen Versuch, sich etwas bequemer
in seiner sammtnen Behausung einzurichten. „Schon seit zwei
Stunden habe ich vor ihrem Gesinge nicht mehr schlafen kön-
nen. Erst ein Morgenlied und dann ein Dutzend Schelmenlic-
der, und das Blitzmädel hat eine so Helle Stimme daß weit
und breit im Walde die Vögel antworteten. Für Euer Aner-
bieten mit den Kleidern danke ich, aber wißt Ihr denn nicht,
daß wenn ich nur einen Tag andere Kleider als die ererbten

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17.

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