Adalbert Töckcl.
162
I Bettgenossin, mancher Verliebte den Gram und das seelenmör-
> derische Feuer seiner ungestillten Liebe verraucht.
Wie das erste Kind den jungen Mann zum Vater macht,
so macht die erste Pfeife den jungen Menschen zum Mann.
Jeder kennt die Poesie, die uns in der ersten Blume,
welche der Frühling erzeugt, entgegen blüht, in der ersten
Reise, die wir über das Weichbild der Geburtsstadt unterneh-
men, uns aus Wald und Thal und Strom entgegenquillt, in
dem ersten Kinde, zu dem wir uns als Vater zu bekennen ver-
anlaßt sind, uns entgegenlächelt; 'aber dieß Alles reicht nicht
an die Poesie der ersten Pfeife!
Jetzt hat der junge Mensch etwas, was er mit Fug und
Recht sein nennen kann; etwas Reelles, welches seiner ideali-
stischen Stimniung das Gleichgewicht hält, eine interimistische
Ergänzung seines inner» Menschen, der nach einem zweiten
weiblichen Sein verlangt, um sich mit ihm verschmelzen zu
können — kurz, den Vorgeschmack der ehelichen Amalgamirung
mit einer jungen Frau, welche durch die Pfeife symbolisch an-
gedeutet und eingeleitet wird.
Und welche männliche Prüfungen muß ein junger Mensch
bestehen, ehe es ihm gelingt, der ersten Pfeife vollkommen Herr
zu werden! Seht die Krämpfe und Verzuckungen, die umseine
Lippen spielen, nachdem er die ersten Züge gethan! Wie er die
verhängnißvolle Pfcise immer wieder erlöschen läßt und sie
immer wieder anzündet, als fürchte er die herbe Prüfung nicht
bestehen zu können! Wie er seufzt, stöhnt, würgt, hustet und
prustet! Wie endlich seine Lippen blau werden, seine Wangen
erbleichen, seine Nase sich verlängert und zuspiht, seine Augen
j halbgebrochen starren, und die Angst in Gestalt von Schweiß-
tropfen auf seiner Stirne sichtbar wird! —
Doch nein! ich will dieß
herzerschütternde Gemälde nicht
weiter ausführen. „Das Leben
ist ein Moment," sagt Mortimer,
„der Tod ist auch nur einer!"
Um wie viel mehr wird das Rau-
chen der ersten Pfeife nur ein
Moment sein.
Der junge Mensch hat end-
lich die bittere Prüfung bestanden
und ein Heiligenschein von Mann-
haftigkeit und Würde schwebt um
die bleiche Stirne des unerschrocke-
nen Märtyrers.
Aber die Frauen verstehen
leider diese Poesie des Rauchens
nicht, und es ist dieses Mißverständnisses wegen manche Liebe
und manche Ehe aus den Fugen gegangen, und, um so zu
sagen, verraucht worden. Hört ihr lieben Leser folgende Ge-
schichte :
Seraphine und Adalbert Töckel waren zwei junge und
in sich und ihrem Gott vergnügte Eheleute. „Kein noch so
leichtes Wölkchen," würde einer von den früheren Roman-
schriftstellern sagen, „trübte den Rosenhimmel ihrer Ehe,"
wobei man freilich eigentlich nicht weiß, was man unter Ro-
senhimmel zu verstehen hat. Leider ließ sich aber Herr Töckel
von einer teuflischen Leidenschaft blenden, die ihn früher be-
herrscht hatte, von ihm mühsam unterdrückt wurde, jetzt aber
wieder mit erneuerter Stärke zum Ausbruch kam. So lange
er sich um die Liebesgunst der holden Seraphine bewarb und
während der Bräutigamsepoche hatte er seine Tabakspfeife bei
Seite gestellt; denn das Tabakrauchen war der Dämon, der
ihn beherrschte, von dem aber Seraphine, gcborne Pudel, lange
Zeit nichts ahnte.
Jetzt als Ehemann und im sichern Besitze seiner liebens-
würdigen Herzensdame, suchte er ein altes bestaubtes Gestell
von einer Tabakspfeife wieder hervor, setzte sich in seine Ar-
beitsstube, verriegelte die Thüre, stopfte, that ein paar Züge,
immer scheu, wie ein Verbrecher, nach der Thür, um sich, hin-
ter sich blickend, ob nicht der Engel von Frau sich durch das
Schlüsselloch eingeschlichen habe. Er setzte die Pfeife weg, aber
seine Blicke konnten von ihr nicht lasien, und die abgesetzte
Geliebte sah ihn so wch-
müthig an, so wehmüthig,
daß es ihm wie ein Mes-
serstich durch das Herz griff.
Noch ein paar Züge!
— die Pfeife ist ausge-
raucht! mehr nicht, nein,
heute nicht. Und doch —
die Stube ist ohnehin schon
voll Rauch, also eine zweite
Pfeife, eine dritte; Adal-
bert Töckel schwimmt in
Rauchwolken; es ist bitter
kalt draußen, er öffnet die Fenster! er badet sich in E tu de
Cologne, als er zu Tische gerufen wird; nichts hilft: seine
junge Frau meint, seine Haare dufteten so eigenthümlich nach
einem Gemisch aus Riechwaffer und Tabaksdampf; denn die
Frauen haben eine eben so feine Spürnase als die Jagdhunde,
und werden von ihren Müttern eben so gut dreffirt.
Herr Töckel schiebt ihren Geruch auf Sinnentäuschung,
und behauptet, sie müsse den Schnupfen haben. Seraphine,
geborne Pudel, aber, gründlich und neugierig, wie Frauen in
solchen Dingen sind, schleicht sich heimlich auf Adalberts Ar-
beitszimmer, welches, wie er ausdrücklich begehrte, heute nicht
gereinigt werden soll. Sie findet es verschlossen, den Schlüssel
abgezogen; aber sie blickt durch das Schlüsselloch — die
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I Bettgenossin, mancher Verliebte den Gram und das seelenmör-
> derische Feuer seiner ungestillten Liebe verraucht.
Wie das erste Kind den jungen Mann zum Vater macht,
so macht die erste Pfeife den jungen Menschen zum Mann.
Jeder kennt die Poesie, die uns in der ersten Blume,
welche der Frühling erzeugt, entgegen blüht, in der ersten
Reise, die wir über das Weichbild der Geburtsstadt unterneh-
men, uns aus Wald und Thal und Strom entgegenquillt, in
dem ersten Kinde, zu dem wir uns als Vater zu bekennen ver-
anlaßt sind, uns entgegenlächelt; 'aber dieß Alles reicht nicht
an die Poesie der ersten Pfeife!
Jetzt hat der junge Mensch etwas, was er mit Fug und
Recht sein nennen kann; etwas Reelles, welches seiner ideali-
stischen Stimniung das Gleichgewicht hält, eine interimistische
Ergänzung seines inner» Menschen, der nach einem zweiten
weiblichen Sein verlangt, um sich mit ihm verschmelzen zu
können — kurz, den Vorgeschmack der ehelichen Amalgamirung
mit einer jungen Frau, welche durch die Pfeife symbolisch an-
gedeutet und eingeleitet wird.
Und welche männliche Prüfungen muß ein junger Mensch
bestehen, ehe es ihm gelingt, der ersten Pfeife vollkommen Herr
zu werden! Seht die Krämpfe und Verzuckungen, die umseine
Lippen spielen, nachdem er die ersten Züge gethan! Wie er die
verhängnißvolle Pfcise immer wieder erlöschen läßt und sie
immer wieder anzündet, als fürchte er die herbe Prüfung nicht
bestehen zu können! Wie er seufzt, stöhnt, würgt, hustet und
prustet! Wie endlich seine Lippen blau werden, seine Wangen
erbleichen, seine Nase sich verlängert und zuspiht, seine Augen
j halbgebrochen starren, und die Angst in Gestalt von Schweiß-
tropfen auf seiner Stirne sichtbar wird! —
Doch nein! ich will dieß
herzerschütternde Gemälde nicht
weiter ausführen. „Das Leben
ist ein Moment," sagt Mortimer,
„der Tod ist auch nur einer!"
Um wie viel mehr wird das Rau-
chen der ersten Pfeife nur ein
Moment sein.
Der junge Mensch hat end-
lich die bittere Prüfung bestanden
und ein Heiligenschein von Mann-
haftigkeit und Würde schwebt um
die bleiche Stirne des unerschrocke-
nen Märtyrers.
Aber die Frauen verstehen
leider diese Poesie des Rauchens
nicht, und es ist dieses Mißverständnisses wegen manche Liebe
und manche Ehe aus den Fugen gegangen, und, um so zu
sagen, verraucht worden. Hört ihr lieben Leser folgende Ge-
schichte :
Seraphine und Adalbert Töckel waren zwei junge und
in sich und ihrem Gott vergnügte Eheleute. „Kein noch so
leichtes Wölkchen," würde einer von den früheren Roman-
schriftstellern sagen, „trübte den Rosenhimmel ihrer Ehe,"
wobei man freilich eigentlich nicht weiß, was man unter Ro-
senhimmel zu verstehen hat. Leider ließ sich aber Herr Töckel
von einer teuflischen Leidenschaft blenden, die ihn früher be-
herrscht hatte, von ihm mühsam unterdrückt wurde, jetzt aber
wieder mit erneuerter Stärke zum Ausbruch kam. So lange
er sich um die Liebesgunst der holden Seraphine bewarb und
während der Bräutigamsepoche hatte er seine Tabakspfeife bei
Seite gestellt; denn das Tabakrauchen war der Dämon, der
ihn beherrschte, von dem aber Seraphine, gcborne Pudel, lange
Zeit nichts ahnte.
Jetzt als Ehemann und im sichern Besitze seiner liebens-
würdigen Herzensdame, suchte er ein altes bestaubtes Gestell
von einer Tabakspfeife wieder hervor, setzte sich in seine Ar-
beitsstube, verriegelte die Thüre, stopfte, that ein paar Züge,
immer scheu, wie ein Verbrecher, nach der Thür, um sich, hin-
ter sich blickend, ob nicht der Engel von Frau sich durch das
Schlüsselloch eingeschlichen habe. Er setzte die Pfeife weg, aber
seine Blicke konnten von ihr nicht lasien, und die abgesetzte
Geliebte sah ihn so wch-
müthig an, so wehmüthig,
daß es ihm wie ein Mes-
serstich durch das Herz griff.
Noch ein paar Züge!
— die Pfeife ist ausge-
raucht! mehr nicht, nein,
heute nicht. Und doch —
die Stube ist ohnehin schon
voll Rauch, also eine zweite
Pfeife, eine dritte; Adal-
bert Töckel schwimmt in
Rauchwolken; es ist bitter
kalt draußen, er öffnet die Fenster! er badet sich in E tu de
Cologne, als er zu Tische gerufen wird; nichts hilft: seine
junge Frau meint, seine Haare dufteten so eigenthümlich nach
einem Gemisch aus Riechwaffer und Tabaksdampf; denn die
Frauen haben eine eben so feine Spürnase als die Jagdhunde,
und werden von ihren Müttern eben so gut dreffirt.
Herr Töckel schiebt ihren Geruch auf Sinnentäuschung,
und behauptet, sie müsse den Schnupfen haben. Seraphine,
geborne Pudel, aber, gründlich und neugierig, wie Frauen in
solchen Dingen sind, schleicht sich heimlich auf Adalberts Ar-
beitszimmer, welches, wie er ausdrücklich begehrte, heute nicht
gereinigt werden soll. Sie findet es verschlossen, den Schlüssel
abgezogen; aber sie blickt durch das Schlüsselloch — die
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Adalbert Töckel, der Raucher"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.21, S.162
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg