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Die Königin.

Schultern, die in einer Pferdedecke eingewickelt war. Es mußte
unter ihnen etwas Seltsames vorgefallen sein, das sah man
hinlänglich aus ihrem langsamen, abgemessenen Gange und dem
trauernden Ausdrucke ihrer wilden Gesichter. Voran ritt ein
junger Mann auf einer abgemagerten, alten Mähre; er hatte
einen großen, weißen Stab in der einen Hand und leitete sein
Thier mit der andern.

Während H j e l m s und seiner Frau Aufmerksamkeit auf die
Ankommenden gerichtet war , erhob sich ein altes, bleiches
Weib von einem Graben in der Nähe, wo sie bis jetzt gesessen
hatte. Sie ging zum Wagen hin und rief mit hohler Stimme:
„Steig' herab, Mann! auch Du, Frau! ich will Euch zeigen,
was Euer Herz wünscht!"

Ueberraschung und Schrecken überfiel das Ehepaar bei
diesen Worten. In dem eisigen Tone, womit die Alte sprach,
lag Etwas, das in ihrem Innern jede Saite zum Zittern
brachte. Mechanisch stiegen sie aus und folgten der Alten. Sie
ging quer über die Haide hin auf die Männer, die sich bis
jetzt mit langsamen Schritten vorwärts bewegt hatten und nun
stille hielten, während sie die Kiste auf die Erde niederstellten;
darauf wandte sie sich mit folgenden Worten gegen den Anfüh-
rer: „Sieh' einmal auf, lieber Sohn! hier ist Jemand, den du
wohl kennst!" Der Mann erhob sein Haupt, die Baronesse
fuhr erschreckt einen Schritt zurück, denn sie schaute in das
todtenbleiche, schmerzbewegte Antlitz Theodors.

„Komm' näher Mann!" rief die Alte und trat zur Kiste
hin; sie zog die Decke weg, und öffnete die Truhe Darin lag
ein junges Weib, in ein grobes, aber reines Tuch eingehüllt,
einen Thimiankranz um die Locken gewunden. Die Baronesse
erbleichte beim Anblick dieser Leiche, in diesen Zügen irrte sie
sich nicht, sie waren in ihr Herz eingegraben. Sie stieß einen
durchdringenden Schrei aus: — „Eilt! mein einziges, mein
verlornes Kind!" — Die Mutter sah ihre Tochter wieder.

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Es war ein erschütternder Anblick, diese Gruppe zu sehen.
Der Baron weinte laut, Theodor beugte sich über das Pferd hin,
um seine Thränen zu verbergen, nur die alte Lisbeth stand
anscheinend gleichgültig an der Seite der Leiche. Sie stützte
sich auf ihren Stab, ihre langen, weißen Haare flatterten im
Winde.

„So mußte ich dich wieder treffen!" rief endlich die Baro-
nesse, indem sie sich von der Leiche erhob, vor der sie hinge-
sunken war. „So sollte es erfüllt werden, Lisb'!"

„Es ist erfüllt!" — erwiderte die Hexe mit kreischender
Stimme. „Deine Tochter war Königin eines großen Volkes!"

„Wie?" ries Hjelm, „erkläre dich, Weib!" —

„Sieh' hin vor Dich!" — fuhr die Alte fort. „Sieh'
hin, den du Theodor nennst, er ist der Größte von uns Allen;
Eure Tochter war sein Weib, sie war unsers Königs Königin.
Doch laßt uns jetzt in Friede, wir müssen die Todte begraben."
Mit diesen Worten schloß die Alte die Truhe, hüllte sie in das
Tuch ein, und die Männer hoben sie wieder auf ihre Schulter»,
um die unterbrochene Wanderung fortzusetzen. Hjelm wollte
es verhindern, und die Tochter in seinem Familienbegräbnisse
beisetzen lassen; die finstern und feindlichen Blicke der Zigeuner
sagten ihm jedoch deutlich, wie unnütz dieser Widerstand sei.
Er ging dann zu Theodor hin und bat ihn, nach Lönborg
zu kommen, wenn er zurückkehre. Dieser nickte stillschweigend
mit dem Kopfe, gab den Männern ein Zeichen, und der ganze
Zug setzte sich wiederum in Bewegung.

Die Familie zog nach Lönborg zurück und wartete am
nächsten Tage vergeblich auf Theodor. War cs nun Furcht
vor Strafe, oder hatte er einen andern Grund, der ihn zurück-
hielt, genug, er kam nicht. — Am nächsten Morgen fand man
am Ende vom Egvadkirchhof einen frisch aufgeworfenen Erd-
hügel, mit Blumen bepflanzt, das war das Grab der Königin,
und noch viele Jahre darnach ward es geschmückt, ohne daß
man wußte, von wem cs geschah.

Einen Monat später trug man eine Leiche in H j e l m s
Familienbegräbniß hinab, — es war die der Baronesse.

— So lautet die Sage von der Königin.
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Königin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Weibliche Tote
Bestattung
Klage
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.22, S.173

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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