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Fliegende Blätter — 1.1844/​45 (Nr. 1-24)

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Nr. 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.2111#0182
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178

Langeweile.

ist en faye, seine Gattin aber aus der Maulwurfsperspective
ausgenommen. Bei allen dreien ist nach der Vorschrift von
Lessing, Winkelmann, Mengs, Rumohr, Schorn u. s. w. eine
möglichst charakteristische Handlung gewählt, ein Moment, wie
Lessing sagt, in dem sich rück- und vorwärts das ganze Leben
der darzustellenden Person spiegelt. Herr Melchior senior
trinkt, seine Gattin schläft in starker Verdauung begriffen, der
Sohn sitzt auf einer Geldkiste (?!) zwischen seines Vaters
Weinkrug und seiner Mutter Fleischtopf, und wird, wenn wir
nicht bald eine vierte Person auftreten lasten, inmitten dieser
Schätze Hungers sterben, da er sich aus theoretischer Unent-
schiedenheit und praktischer Faulheit, also aus Weltschmerz,
nicht ermuntern kann, nach diesem oder jenem zu greifen.

Herr Melchior senior machte eigentlich in seinem Le-
ben nur einen dummen Streich, und der bestand darin, daß
er auf die Welt kam, ehe er die Garantie hatte, daß sein Geld
und sein Durst stets in einem angenehmen Gleichgewichte stehen
würden, alle anderen dummen Streiche waren nur die Folge
dieses ersten, und der einzige kluge Streich war der, '.daß er
starb, als das Mißverhältniß zwischen diesen beiden Streichen
einen so hohen Grad erreicht hatte, daß ihm kein Weinwirth
mehr borgte. Früher hatte er nämlich dadurch Geld erworben,
daß er die Kiste, auf der wir in der Abbildung Melchior
junior sitzen sehen, christlichen und unchristlichen Wucherern in
Versatz gab. Diese Kiste, ein uraltes von einem in der Hexerei
wohlerfahrnen Ahnherrn der Melchiorschen Familie ge-
stiftetes Fideicommiß, enthielt einen nie versiegenden Schah von
Gold, Silber, Juwelen u. s. w. Sie konnte stets dem ältesten
Sohne in der Familie weder durch Gewalt, noch List, selbst
nicht durch Adookatenkniffe abspänstig gemacht werden, das war
gut, — ein schlimmer Umstand war aber, daß keine Gewalt
der Erde sie öffnen konnte, ehe und bevor nicht der jedesma-
lige Besitzer seine Mündigkeit durch irgend einen klugen Streich
dargcthan hatte. Unser Herr Melchior senior starb nun aber
dahin, ehe ihm die Oeffnung der Kiste auf die gemeldete Weise
gelang, und alle, welche hierauf hoffend ihm Geld vorgeschoffcn
hatten, waren betrogen. Der zweite dumme Streich Herrn
Melchiors war, daß er ein Mädchen ihres Geldes, ihrer
Schönheit und ihrer Talente wegen heirathete. Denn wegen
ihrer Schönheit wurde sie ihni untreu, Andere verzehrten das
Geld, und (wie die Weiber sich in der Ehe zu ändern pfle-
gen !) die Talente verloren sich alle; und als die einst geist-
reiche Dame nicht mehr lieben konnte, legte sie '.sich auf's Es-
sen, d. h. viel Esten, sehr viel Esten. Der dritte dumme
Streich Melchiors war, daß er die einheimische Weinkultur
emporbringen wollte, nicht durch Schutzzölle, sondern durch ver-
mehrten inländischen Consumo, insofern er ihn persönlich dar-
stellcn konnte. Auch wenn alle seinem Beispiele gefolgt wären,
wie viele arme Winzer und reiche Weinhändler hätten sich

gefteut?! Aber die Herzen sind kalt und der Bierdurst ist
zeitgemäß und populär. Melchior opferte sein Leben für
seine Idee, und seine Frau starb vor Freude bei seiner Todes-
nachricht. Sie hinterließen beide nichts als den Ruhm ihrer
Thaten i» der darauf bezüglichen Urkundensammlung, eine we-
gen ihres Umfangs höchst merkwürdige Maste unbezahlter
Rechnungen. O, wie viel goldene Regeln wollte er seinem
Sohne noch geben, als ihn der Tod ereilte! „Mein laut Tauf-
register zu St. Moritz vielgeliebter Sohn, fing er an, kennst
du den Unterschied zwischen einem ordentlichen und einem aus-
serordentlichen Profestor?" llunior gähnte mit jener natür-
lichen Grazie, mit welcher Fann i Elsler ihre Pas macht,
und ein englisches Vollblutpferd seinen Schweif trägt. — „ Ein
ordentlicher Profestor", sagte Senior, „weiß nichts Außer-
ordentliches und ein außerordentlicher nichts Ordentliches. Ich
wäre nun fast einmal ordentlicher Profestor geworden, weil
meine Ideen so alt und einfach find, aber es kam nicht dazu,
weil sie allen, namentlich den Jüngern, zu schnell cinleuchtcten.
Siehe, das Entscheidendste für das ganze Leben ist die Wahl
eines Berufes und die Wahl einer Gattin. Glaube mir, kein
Geschäft nährt so gut seinen Mann, wie Esten und Trinken.
Heirathe aber wen du willst und wie du willst, denn die Ehe
ist ein Hazardspiel, wo man nur gewinnt, wenn man mit dem
Gedanken heirathet, daß die Weiber zu unserer Verbesterung
da sind. Sei dann deine Frau wie sie sei, jeden Tag, wann
sie schilt, wirst du dich freuen, daß du hier schon einen Theil
des Fegefeuers bei einer guten Flasche Wein abmachen kannst,
und jeder Tag, an dem sie nicht schilt, wird ein Festtag für
dich sein. In meinem Hause hatte es deren freilich weniger
gegeben, als auf der Insel Jschia, wo bekanntermaßen 211
im Jahre sein sollen. Uebrigens gibt es nichts comodcres als
die Comodität, und nichts fideleres als die Fidelität. Der An-
fang aller Weisheit ist die Langeweile" — hier starb er. —

Wir bitten jetzt den günstigen Leser, über den Verlauf
unserer Geschichte höchst gespannt zu sein, denn beim Beginne
derselben sitzt Melchior junior, aus seiner Eltern Hause her-
ausgeworsen, wie oben abgebildet, aus dem Hafendamme in
Hamburg, aus Faulheit dem Hungettode nahe, und wenn es
Abend wird, schmählicher Einkerkerung gewiß. Vorläufig ist
zwar der Krug noch voll und der Topf noch voll und die
Kiste voll, und Melchior ist auch voll, nämlich voll Wiß-
begierde, was sein Vater mit dem letzten Worte Langeweile —
dem einzigen, welches ihm von der ganzen Rede erinnerlich ist
— habe sagen wollen. Du mußt dich nämlich für den Hel-
den meiner Geschichte interestiren, lieber Leser, denn er hat sich
nie gelangweilt, und so wie er sich langweilt, ist die Geschichte
aus, und wenn du dich langweilst, ist sie auch aus; denn wir
bitten dich inständigst, so wie das der Fall ist, so höre zu le-
sen auf.
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