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Die Stechpalmlise.
: Wir verlebten angenehme und glückliche Tage, fast so idyllische
als am Hofe in der ersten Zeit unserer Liebe. Auf einmal
! befiel sie ein Heimweh nach den Bergen von Tirol, nach den
Gegenden, wo sie ihre Kindheit verlebt. Ich fürchtete alte Er-
innerungen zu wecken und sträubte mich dagegen, sie wurde von
Tag zu Tag trauriger, ja es war zu befürchten, daß sie ernst-
lich erkranke; ich gab nach. Wir besuchten manche bekannte
Stelle, aus der süße Erinnerungen ruhten, es war im Früh-
linge, überall Blumenduft und Blüthen, die Vögel sangen auf
allen Hecken und die laue Luft lockte ins Freie. Eines schonen
Nachmittags besahen wir uns auch die Hütte, wo Liese Mo-
nate des Wahnsinnes zugebracht, nachdem man sie als vom
Teufel besessen aus dem Hause gestoßen — sie war halb zer-
fallen, ein schmucker Hirtenknabe saß auf dem Felsen und johlte
ftöhlich, sich wärmend am Strahle der jungen Sonne. Lies-
chen war ungemein heiter und aufgeräumt, die Heimathluft hatte
ihre Wangen aufs Neue geröthet, sie fühlte sich so wohl ans
diesen bekannten Pfaden und hüpfte gleich einem Kinde an
meiner Seite den Steig hinauf zum nächsten Torfe, wo wir
einkehrten uns zu laben. Bom Chorfenster der Wirthsstube
hatten wir eine treffliche Aussicht auf die blumigen Halden und
Thalgründe, und die fernen zackigen Berge. Mit dem Kaffee
kam auch ein alter Bekannter zur Thüre herein — der Zither-
spieler Ander!. So willkommen er mir zu jeder anderen
Zeit auch gewesen sein dürfte, so unangenehm war es mir ihn
jetzt zu sehen. Er erkannte mich gleich; da ging es nun an
ein Fragen und Erzählen, eines gab das andere.
Nach und nach wurde die Unterhaltung lebhafter, vertrau-
licher, man dachte früherer Zeiten, und der Zitherspicler konnte
nicht genug Lieschen bewundern, die, wie er meinte, eine
prächtige steife Frau geworden, allen Stadtmädeln zum Trotze.
Wir verplauderten uns so, bis bereits die Nacht im Thale
lag, Ander! erbot sich uns zu führen. Er brachte eine
lange „Kentel" aus Kienholz, und wir wanderten heim-
wärts im grellen Lichte des lustig
flackernden Kiens, um uns dunkle
Nacht. Man sieht, wie Jeder weiß,
der je Nachts beim Scheine einer
vorausgetragenen Fackel gegangen,
nur einige Schritte vor sich, und
kann weder Gegend noch Direction
des Weges beurthcilen, wenn man
ihn nicht genau kennt — so waren
wir mit Eineminale am Stege an-
gelangt. Wir blieben stehen: das
rothe Licht der Kentel warf sei-
nen unheimlichen Schein auf die
Martertafel; Liese sah hin, ein Schrei
des Entsetzens und sie sprang in
den Tobel. Wir retteten sie ein
Stück unter der Brücke, doch nur
für kurze Zeit, ihre letzten Worte
waren Wahnsinn, sie starb in meinen
Armen.
Sie sehen, ich habe Alles ver-
loren, und es war mir nicht einmal
gegönnt in diesem letzten Kampfe
für die Freiheit mein Leben auszu-
hauchen.
L. Sll.
Die Stechpalmlise.
: Wir verlebten angenehme und glückliche Tage, fast so idyllische
als am Hofe in der ersten Zeit unserer Liebe. Auf einmal
! befiel sie ein Heimweh nach den Bergen von Tirol, nach den
Gegenden, wo sie ihre Kindheit verlebt. Ich fürchtete alte Er-
innerungen zu wecken und sträubte mich dagegen, sie wurde von
Tag zu Tag trauriger, ja es war zu befürchten, daß sie ernst-
lich erkranke; ich gab nach. Wir besuchten manche bekannte
Stelle, aus der süße Erinnerungen ruhten, es war im Früh-
linge, überall Blumenduft und Blüthen, die Vögel sangen auf
allen Hecken und die laue Luft lockte ins Freie. Eines schonen
Nachmittags besahen wir uns auch die Hütte, wo Liese Mo-
nate des Wahnsinnes zugebracht, nachdem man sie als vom
Teufel besessen aus dem Hause gestoßen — sie war halb zer-
fallen, ein schmucker Hirtenknabe saß auf dem Felsen und johlte
ftöhlich, sich wärmend am Strahle der jungen Sonne. Lies-
chen war ungemein heiter und aufgeräumt, die Heimathluft hatte
ihre Wangen aufs Neue geröthet, sie fühlte sich so wohl ans
diesen bekannten Pfaden und hüpfte gleich einem Kinde an
meiner Seite den Steig hinauf zum nächsten Torfe, wo wir
einkehrten uns zu laben. Bom Chorfenster der Wirthsstube
hatten wir eine treffliche Aussicht auf die blumigen Halden und
Thalgründe, und die fernen zackigen Berge. Mit dem Kaffee
kam auch ein alter Bekannter zur Thüre herein — der Zither-
spieler Ander!. So willkommen er mir zu jeder anderen
Zeit auch gewesen sein dürfte, so unangenehm war es mir ihn
jetzt zu sehen. Er erkannte mich gleich; da ging es nun an
ein Fragen und Erzählen, eines gab das andere.
Nach und nach wurde die Unterhaltung lebhafter, vertrau-
licher, man dachte früherer Zeiten, und der Zitherspicler konnte
nicht genug Lieschen bewundern, die, wie er meinte, eine
prächtige steife Frau geworden, allen Stadtmädeln zum Trotze.
Wir verplauderten uns so, bis bereits die Nacht im Thale
lag, Ander! erbot sich uns zu führen. Er brachte eine
lange „Kentel" aus Kienholz, und wir wanderten heim-
wärts im grellen Lichte des lustig
flackernden Kiens, um uns dunkle
Nacht. Man sieht, wie Jeder weiß,
der je Nachts beim Scheine einer
vorausgetragenen Fackel gegangen,
nur einige Schritte vor sich, und
kann weder Gegend noch Direction
des Weges beurthcilen, wenn man
ihn nicht genau kennt — so waren
wir mit Eineminale am Stege an-
gelangt. Wir blieben stehen: das
rothe Licht der Kentel warf sei-
nen unheimlichen Schein auf die
Martertafel; Liese sah hin, ein Schrei
des Entsetzens und sie sprang in
den Tobel. Wir retteten sie ein
Stück unter der Brücke, doch nur
für kurze Zeit, ihre letzten Worte
waren Wahnsinn, sie starb in meinen
Armen.
Sie sehen, ich habe Alles ver-
loren, und es war mir nicht einmal
gegönnt in diesem letzten Kampfe
für die Freiheit mein Leben auszu-
hauchen.
L. Sll.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Stechpalmlise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 10.1849, Nr. 230, S. 108
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg