Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Stechpalmlise. 107

mich fahnden wie auf einen Wulf, der um die friedlichen
Hütten der Thalbewohner schleicht.

Eines Morgens in aller Frühe wagte ich mich zum Letzten-
male an Lieschens Fenster. Ich klopfte leise mit bekanntem
Schlage an die rundeingerahmten Scheiben, nicht lange, so
erschien das Mädchen an der Hinterthüre des Hauses, die
Thränen standen ihr in den Augen, sie hatte die ganze Nacht
nicht geschlafen. Ich beschwor sie mit mir zu fliehen, sie
bat mich weinend an solche Dinge nicht zu denken, es würde
dem alten Vater das Herz brechen. Ta knarrte int oberen
Stocke laut eine Thüre — ein Händedruck, ein Kuß und ich
eilte den Hügel hinunter. Tie Sterne erbleichten, die Sonne
erhob sich golden über die Kanten der Berge, aber in meinen,
Herzen war es Nacht, tiefe ticacht.

Ich reiste alsogleich fort von einer Gegend, die mir so un-
heilvoll geworden, ich kam nach Hamburg, um von dort in
der ersten Aufregung nach Amerika mich einzuschiffen, als wäre
dies das Land, das alle Schmerzen heilte. Ich schickte eilig
noch einen Brief an Lieschen, und „das Lied vom jungen Ma-
trosen", das sie jenen Allerseelenabend vor der Hütte sang,
wenn Sie sich noch erinnern; ich bildete mir ein, sie sei treulos
und gefiel mir in dieser grundlosen Einbildung. Ehe noch
meine Vorbereitungen zur Abreise getroffen waren, kam ein
Brief, es war Lieschens Antwort. Spuren von Thränen hat-
ten an manchen Stellen die Schrift verwischt, sie sagte mir
auf ewig Lebewohl, man wolle sie zu einer Heirath zwingen
mit einem Menschen, den sie nie lieben könne; sie denke nur
an mich mit tiefem Schmerz, ihre einzige Hoffnung sei der
Tod. — Sie können sich denken, welchen Eindruck diese Miß-
handlung meiner Geliebten auf mich machte; ich reiste augen-
. blicklich nach Tirol zurück und ging mit voller Entschlossenheit
geraden Wegs nach dem Hofe. Fremde Leute waren dort
aufgezogen, die früheren Bewohner hatten sich ein Häuschen
am Ende eines nahe gelegenen Dorfes gekauft Man erzählte
mir, Lieschen mache eine gute Heirath mit einem reichen
Wirthssohne aus der Gegend, und sei bereits das Zweitemal
verkündet. Es könne höchstens eine halbe Stunde sein, seit
sie mit ihrem alten Vater und einer Schwester vorbeigegangen,
den „Nähensteig" zum Wirthshanse ihres Bräutigams.

Ich ging düster und in mich gekehrt jenen wohlbekannten
Steig, er führte an der Quelle vorüber. Unentschlossen blieb
ich ani Fichtenbaume stehen, in den ich unsere Namen einge-
schnitten — sie waren bereits vernarbt und das Harz hatte sich
thränengleich darunter angelegt. Ich schrieb, ohne zu wissen
>me sie ihr zukommen sollten, einige Zeilen an Lieschen; ich
bat sie, mir nur eine Viertelstunde zu schenken, ich wollte ihrer
am Stege unter dem Hanse ihres Bräutigams harren. Zu
diesen Zeilen schrieb ich ein kleines Gedicht, das mein tiefer
Schmerz niir eingab. Ich faltete das Blatt und ging. Kurz
vor dem Stege begegnete mir der Zitherspieler, der mir schon
von früheren Zeiten gewogen war; er war überrascht mich zu
sehen, ich bar ihn, diesen Zettel Lieschen, die oben im Wirths-
hause märe, heimlich zu übergeben. Er that wie ich sagte.
Zitternd harrte ich wohl eine halbe Stunde an eine dunkle

! Tanne neben dem Steg gelehnt. Düstre Wolken zogen ober
mir dahin und der Wind heulte durch die enge Felsschlucht;
von Zeit zu Zeit zuckte eine Helle durch die Wolken und aus
weiter Ferne grollte der Donner. Mir war unheimlich zu
Muthe, ich wußte nicht warum; endlich sah ich eine weibliche
Gestalt den Steig herab eilen, ein Blitz fuhr flammend herab,
ich erkannte Lieschen — ein dumpfer Donnerschlag rollte lang
hin an den Bergen. Ich lief ihr entgegen, sie sank mit einem
Schrei in meine Arme. Ich glaube, wir haben kein Wort ge- !
redet, nur Lipp' an Lippe gepreßt hielt ich sie umschlungen,
lautlos, unbekümmert um den Zorn des Himmels, der Blitz :
auf Blitz in das Thal sendete. Plötzlich faßte mich Jemand :
bei den Haaren, ich l«eß das Mädchen los, ihr Bräutigam
hatte uns überrascht. Nun ging es an ein Ringen, ich hielt
ihn krampfhaft um den Leib, wir drängten und schoben uns
bis in die Mitte des Steges, das Geländer brach und beide

stürzten wir in den Wildbach. Ich kam heraus ohne zu wissen
wie; er fand, wie ich später erfuhr, im Wildbache den Tod.
Auf unbesuchten Gebirgspfaden floh ich in die Heiniath.

Das Uebrige wisien Sie selbst bis auf die Abreise mit Lies-
chen. Bald nachdem Sie die Hütte verlaßen, erwachte das
Mädchen aus ihrer Ohnmacht, sie hing beständig an meinem
Halse, wohl hundertmal niußte ich ihr betheuren, daß ich nicht
todt sei. Nachts im Mondlichte verließen wir die Hütte. Um
kurz zu sein, ich führte Lieschen in meine Heimath, der Ver-
stand kehrte dem armen Mädchen wieder und ich heirathete sie.

14»
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Stechpalmlise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gebirge <Motiv>
Konkurrent
Ringen <Motiv>
Fels <Motiv>
Bräutigam <Motiv>
Karikatur
Wildbach
Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 10.1849, Nr. 230, S. 107

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen