2 (i o f o o n.
unzähliger Menge eingetroffen — ja, ein unternehmender Zucker-
bäcker hatte es sogar versucht, die preisgekrönte Gruppe aus Gefror-
enem nachzubilden. Leider muß dieses Unternehmen als gänzlich
mißlungen bezeichnet werden, da sich das Eis bei der herrschenden
Julihitze sehr bald in seine ursprünglichen Bestandtheile auflöste, so
daß das sinnige Geschenk sich der überraschten Familie als eine farbige
Suppe präfentirte, in welcher nur noch der Bindfaden, der einst
die Schlange dargestellt, trübselig umherschwamm.
Wenn nun schon jeder einzelne Bewohner der Stadt sein Mög-
lichstes that, um den andern zu überflügeln, so ivar das bei den
beiden Vereinen, der „Harmonie" und dein „Museum" im verstärkten
Maße der Fall. Die „Harmonie" bestand aus" ehrsamen Bürgers-
leuten und hatte in Folge dessen numerisch das Nebergewicht über
das „Museum", dessen Mitglieder sich hingegen zu den Honora-
tioren und dem Militär zählten. Daß beide Vereine dem jungen
Künstler, der in Bälde von der Residenz zurückerwartet wurde, ein
Fest geben wollten, war selbstverständlich; es handelte sich nur darum,
wer von ihnen der erste sein sollte, da jeder den Tag der Ankunft
für sich in Anspruch nahm. Besonders waren es die beiden Fest-
arrangeure, Bücke! und Rauch, die eine friedliche Lösung zu hinter-
treiben suchten, da keiner dem andern den Vorrang gönnte.
Bückel, der Vorstand des Bergnügungsausschusses der „Har-
monie", war Besitzer eines Kolonialwaarcngeschaftes und der erklärte
Liebling aller Mütter und Töchter, da er ledig und eine nicht zu
verachtende Partie war. Außerdem hatte er sich durch seinen prak-
tischen Blick in Geldangelegenheiten unentbehrlich gemacht; die von
ihm arrangirten Lustbarkeiten waren unterhaltend und stellten dabei
doch nur geringe Anforderungen au die Vereinskasse. Dasselbe
konnte man aber von den Festen des „Museums" nicht behaupten.
Titus Rauch, „die Seele des Museums", war viel zu sehr Künstler
und Idealist, um sich um solche Nebensächlichkeiten zu bekümmern.
In seiner Jugend Solotänzer an einer Provinzial-Bühne, hatte er
sich bei einem poesievollen Sprunge das Bein derartig verstaucht,
daß er diese Laufbahn hatte aufgeben müssen. Jetzt war er Tanz-
und Anstandslehrer der Aristokratie Rodashausens, der er bei dem
. bevorstehenden Feste eine glänzende Probe seines Könnens zu geben
gedachte.
Schließlich war es dem Stadtapothekcr Meisele doch gelungen,
die Jntriguen der beiden Rivalen zu vereiteln, die Vereine znm
gemeinschaftlichen Zusammengehen zu bewegen und das Programm
— „Ansprache, Musikvorträge und lebende Bilder" festzustellen.
Damit war der Streit beigelegt — nur zwischen den Festvorständen
Bückel und Rauch war das Kriegsbeil keineswegs begraben. Letzterer
besonders verwarf prinzipiell Alles, was sein Gegner vorschlug,
und sträubte sich so entschieden gegen ein Zusammenwirken, daß
man sich endlich gezwungen sah, die Hälfte der lebenden Bilder
von der „Harmonie" und die andere Hälfte von dem „Museum
darstellen zu lassen. Aber-es fehlte das Schlußbild, die
Apotheose!
Bückel schlug dazu eine allegorische Gruppe: die Huldigung
der Musen, vor, was Rauch sofort als „philiströs" und „hundert-
mal dagewesen" erklärte. „Für die Apotheose", rief er begeistert
aus, „gibt es nur einen Vorwurf, der würdig ist, die Feier zu
krönen: die Gruppe des Laokoou!"
Starres Entsetzen folgte diesem kühnen Vorschläge, und als
Bückel meinte: „ua, wenigstens kosten die Kostüme nichts!" gab
es unter den jüngeren Damen verlegenes Erröthen, lvähreud
die älteren energisch protestirten. Aber Rauch war nicht so leicht
einzuschüchtern. In längerer Rede setzte er seinen erregten Zu-
hörern auseinander, daß für's Erste das Tricot ein äußerst solides
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Kleidungsstück sei, welches die Sitten des Alterthums und die der
Jetztzeit in höchst befriedigender Weise vermittle, daß er aber auch
die unvermeidliche Schlange iu so zahlreichen und phantastischen
Windungen um die Körper schlingen werde, daß selbst das züchtigste
Auge mit Wohlgefallen auf der Gruppe ruhen würde. — Damit war
der Sturin besänftigt und Alles begeisterte sich nun rückhaltlos für
die brillante Idee.
Nur Bückel hatte, seit sein Vorschlag abgelehnt war, bloS
noch ein Streben: den seines Nebenbuhlers auch unmöglich zu
machen. Er rechnete vorerst darauf, daß es Rauch schwerlich ge-
lingen würde, eine einigermaßen glaubwürdige Schlange zu beschaffen,
und that sein Möglichstes, um die zu bewilligenden Geldmittel auf
ein Minimum herabzudrücken. Wie erstaunt war er daher, als
sein Gegner in der Probe erklärte, er benöthige nur einen Theil
des ihm zur Verfügung gestellten Geldes, da ihm die Schlange
.nichts koste. Bückcls Grimm erreichte aber seinen Höhepunkt,
als Rauch in die Coulissen ivinkte und jetzt vier Männer erschienen,
die den Schlauch der städtischen Feuerspritze auf die Bühne schleppten.
Lächelnd umwand der erfinderische Tanzmeister die kräftigen Glieder
der Jünglinge; der Rest des übermäßig langen Schlauches ivnrde
iu das Nebenzimmer gebracht und das Stück vom Zimmer bis zur
Gruppe mit Teppichen geschickt verdeckt. Hierauf postirte sich Rauch
als Laokoou au das Ende der Gruppe und schaute mit dem Aus-
drucke des Entsetzens auf die Schlanchspitze, die er vermittels grauer
Lappen und eines rothen Flanellstreifeus in einen züngelnden
Schlangenkopf verlvandelt hatte und jetzt mit der plastisch erhobenen
Linke», lvie abwehreud, krampfhaft gefaßt hielt. - Rauschender Beifall
lohnte die glänzende Idee des genialen Erfinders. Bückel lvar
vernichtet. Die Hauptprobe lvar vorüber. Strahlenden Blickes,
in> Vorgefühle des morgigen Triumphes schwelgend, verließ Rauch
den Festsaal. Um Bückel hatte sich Niemand mehr bekümmert.
Seine Anhänger waren von ihm abgefallen — er selbst schien jeden
Widerstand anfgegcben zu haben; schweigend arrangirte er seine -
Bilder, schweigend schaute er den Anordnungen seines Gegners zu.
Endlich war der langersehnte Abend erschienen. Ganz RvdaS-
hausen war versammelt; ans einem festlich dckorirten Sitze, voll
seiner Familie umgeben, saß der Held des Tages. Unter stets
wechselndem Beifalle waren die einzelnen Nummern des Programms
vorübcrgegangen; nur noch das Schlußbild fehlte. Erwartuugs-
vollcs Schweigen herrschte im Saale; alle Augen waren ans den
Künstler gerichtet — gespannt, wie er diese lebendige Nachbildung
seines Meisterwerkes anfnchmen würde. Dicht am Prosccnium saß
Bückel. Jetzt rollte der Vorhang iu die Höhe und ein allgemeines
„Aaah" tönte durch den Saal. Wirklich, das Bild war gelungen,
wenn man von dem Umstande absah, daß die Schlange infolge der
vielen Windungen etwas plattgedrückt ausschaute und im Ganzen
das Bild zu sehr beherrschte. Rauch hatte nicht zu viel versprochen:
auch das züchtigste Auge durfte mit Wohlgefallen auf dieser Gruppe
ruhen, denn außer den Köpfen und Armen war wenig von den
Darstellern sichtbar. Eine derartige Bemerkung schien der junge Künst-
ler eben seinem Vater zuzuflüstern, als plötzlich der Ruf erschallte:
„Die Schlange wird lebendig!" Und wahrhaftig — das
Ungethüm begann sich zu recken und zu dehnen; die von den Wind-
ungen des Schlauches ciugezwängtcu Jünglinge verzerrten krampf-
haft die Glieder und suchten vergeblich, sich der aufschwcllendeu
Umhüllung zu entledigen — cs war in der That die zum Leben
erwachte Laokoon-Gruppc. Nur Ranch ivar regungslos geblieben;
seiner Rolle getreu starrte er noch immer auf die znm Schlangeu-
kopfe verwaiidelte Schlauchspitze — aber jetzt stieß auch er einen
Schrei des Entsetzens ans, denn aus dem geöffneten Rachen fuhr ihm
unzähliger Menge eingetroffen — ja, ein unternehmender Zucker-
bäcker hatte es sogar versucht, die preisgekrönte Gruppe aus Gefror-
enem nachzubilden. Leider muß dieses Unternehmen als gänzlich
mißlungen bezeichnet werden, da sich das Eis bei der herrschenden
Julihitze sehr bald in seine ursprünglichen Bestandtheile auflöste, so
daß das sinnige Geschenk sich der überraschten Familie als eine farbige
Suppe präfentirte, in welcher nur noch der Bindfaden, der einst
die Schlange dargestellt, trübselig umherschwamm.
Wenn nun schon jeder einzelne Bewohner der Stadt sein Mög-
lichstes that, um den andern zu überflügeln, so ivar das bei den
beiden Vereinen, der „Harmonie" und dein „Museum" im verstärkten
Maße der Fall. Die „Harmonie" bestand aus" ehrsamen Bürgers-
leuten und hatte in Folge dessen numerisch das Nebergewicht über
das „Museum", dessen Mitglieder sich hingegen zu den Honora-
tioren und dem Militär zählten. Daß beide Vereine dem jungen
Künstler, der in Bälde von der Residenz zurückerwartet wurde, ein
Fest geben wollten, war selbstverständlich; es handelte sich nur darum,
wer von ihnen der erste sein sollte, da jeder den Tag der Ankunft
für sich in Anspruch nahm. Besonders waren es die beiden Fest-
arrangeure, Bücke! und Rauch, die eine friedliche Lösung zu hinter-
treiben suchten, da keiner dem andern den Vorrang gönnte.
Bückel, der Vorstand des Bergnügungsausschusses der „Har-
monie", war Besitzer eines Kolonialwaarcngeschaftes und der erklärte
Liebling aller Mütter und Töchter, da er ledig und eine nicht zu
verachtende Partie war. Außerdem hatte er sich durch seinen prak-
tischen Blick in Geldangelegenheiten unentbehrlich gemacht; die von
ihm arrangirten Lustbarkeiten waren unterhaltend und stellten dabei
doch nur geringe Anforderungen au die Vereinskasse. Dasselbe
konnte man aber von den Festen des „Museums" nicht behaupten.
Titus Rauch, „die Seele des Museums", war viel zu sehr Künstler
und Idealist, um sich um solche Nebensächlichkeiten zu bekümmern.
In seiner Jugend Solotänzer an einer Provinzial-Bühne, hatte er
sich bei einem poesievollen Sprunge das Bein derartig verstaucht,
daß er diese Laufbahn hatte aufgeben müssen. Jetzt war er Tanz-
und Anstandslehrer der Aristokratie Rodashausens, der er bei dem
. bevorstehenden Feste eine glänzende Probe seines Könnens zu geben
gedachte.
Schließlich war es dem Stadtapothekcr Meisele doch gelungen,
die Jntriguen der beiden Rivalen zu vereiteln, die Vereine znm
gemeinschaftlichen Zusammengehen zu bewegen und das Programm
— „Ansprache, Musikvorträge und lebende Bilder" festzustellen.
Damit war der Streit beigelegt — nur zwischen den Festvorständen
Bückel und Rauch war das Kriegsbeil keineswegs begraben. Letzterer
besonders verwarf prinzipiell Alles, was sein Gegner vorschlug,
und sträubte sich so entschieden gegen ein Zusammenwirken, daß
man sich endlich gezwungen sah, die Hälfte der lebenden Bilder
von der „Harmonie" und die andere Hälfte von dem „Museum
darstellen zu lassen. Aber-es fehlte das Schlußbild, die
Apotheose!
Bückel schlug dazu eine allegorische Gruppe: die Huldigung
der Musen, vor, was Rauch sofort als „philiströs" und „hundert-
mal dagewesen" erklärte. „Für die Apotheose", rief er begeistert
aus, „gibt es nur einen Vorwurf, der würdig ist, die Feier zu
krönen: die Gruppe des Laokoou!"
Starres Entsetzen folgte diesem kühnen Vorschläge, und als
Bückel meinte: „ua, wenigstens kosten die Kostüme nichts!" gab
es unter den jüngeren Damen verlegenes Erröthen, lvähreud
die älteren energisch protestirten. Aber Rauch war nicht so leicht
einzuschüchtern. In längerer Rede setzte er seinen erregten Zu-
hörern auseinander, daß für's Erste das Tricot ein äußerst solides
97
Kleidungsstück sei, welches die Sitten des Alterthums und die der
Jetztzeit in höchst befriedigender Weise vermittle, daß er aber auch
die unvermeidliche Schlange iu so zahlreichen und phantastischen
Windungen um die Körper schlingen werde, daß selbst das züchtigste
Auge mit Wohlgefallen auf der Gruppe ruhen würde. — Damit war
der Sturin besänftigt und Alles begeisterte sich nun rückhaltlos für
die brillante Idee.
Nur Bückel hatte, seit sein Vorschlag abgelehnt war, bloS
noch ein Streben: den seines Nebenbuhlers auch unmöglich zu
machen. Er rechnete vorerst darauf, daß es Rauch schwerlich ge-
lingen würde, eine einigermaßen glaubwürdige Schlange zu beschaffen,
und that sein Möglichstes, um die zu bewilligenden Geldmittel auf
ein Minimum herabzudrücken. Wie erstaunt war er daher, als
sein Gegner in der Probe erklärte, er benöthige nur einen Theil
des ihm zur Verfügung gestellten Geldes, da ihm die Schlange
.nichts koste. Bückcls Grimm erreichte aber seinen Höhepunkt,
als Rauch in die Coulissen ivinkte und jetzt vier Männer erschienen,
die den Schlauch der städtischen Feuerspritze auf die Bühne schleppten.
Lächelnd umwand der erfinderische Tanzmeister die kräftigen Glieder
der Jünglinge; der Rest des übermäßig langen Schlauches ivnrde
iu das Nebenzimmer gebracht und das Stück vom Zimmer bis zur
Gruppe mit Teppichen geschickt verdeckt. Hierauf postirte sich Rauch
als Laokoou au das Ende der Gruppe und schaute mit dem Aus-
drucke des Entsetzens auf die Schlanchspitze, die er vermittels grauer
Lappen und eines rothen Flanellstreifeus in einen züngelnden
Schlangenkopf verlvandelt hatte und jetzt mit der plastisch erhobenen
Linke», lvie abwehreud, krampfhaft gefaßt hielt. - Rauschender Beifall
lohnte die glänzende Idee des genialen Erfinders. Bückel lvar
vernichtet. Die Hauptprobe lvar vorüber. Strahlenden Blickes,
in> Vorgefühle des morgigen Triumphes schwelgend, verließ Rauch
den Festsaal. Um Bückel hatte sich Niemand mehr bekümmert.
Seine Anhänger waren von ihm abgefallen — er selbst schien jeden
Widerstand anfgegcben zu haben; schweigend arrangirte er seine -
Bilder, schweigend schaute er den Anordnungen seines Gegners zu.
Endlich war der langersehnte Abend erschienen. Ganz RvdaS-
hausen war versammelt; ans einem festlich dckorirten Sitze, voll
seiner Familie umgeben, saß der Held des Tages. Unter stets
wechselndem Beifalle waren die einzelnen Nummern des Programms
vorübcrgegangen; nur noch das Schlußbild fehlte. Erwartuugs-
vollcs Schweigen herrschte im Saale; alle Augen waren ans den
Künstler gerichtet — gespannt, wie er diese lebendige Nachbildung
seines Meisterwerkes anfnchmen würde. Dicht am Prosccnium saß
Bückel. Jetzt rollte der Vorhang iu die Höhe und ein allgemeines
„Aaah" tönte durch den Saal. Wirklich, das Bild war gelungen,
wenn man von dem Umstande absah, daß die Schlange infolge der
vielen Windungen etwas plattgedrückt ausschaute und im Ganzen
das Bild zu sehr beherrschte. Rauch hatte nicht zu viel versprochen:
auch das züchtigste Auge durfte mit Wohlgefallen auf dieser Gruppe
ruhen, denn außer den Köpfen und Armen war wenig von den
Darstellern sichtbar. Eine derartige Bemerkung schien der junge Künst-
ler eben seinem Vater zuzuflüstern, als plötzlich der Ruf erschallte:
„Die Schlange wird lebendig!" Und wahrhaftig — das
Ungethüm begann sich zu recken und zu dehnen; die von den Wind-
ungen des Schlauches ciugezwängtcu Jünglinge verzerrten krampf-
haft die Glieder und suchten vergeblich, sich der aufschwcllendeu
Umhüllung zu entledigen — cs war in der That die zum Leben
erwachte Laokoon-Gruppc. Nur Ranch ivar regungslos geblieben;
seiner Rolle getreu starrte er noch immer auf die znm Schlangeu-
kopfe verwaiidelte Schlauchspitze — aber jetzt stieß auch er einen
Schrei des Entsetzens ans, denn aus dem geöffneten Rachen fuhr ihm