179
3«
fc-20* _
s waren einmal zwei Brüder, arme Holzhauerskinder. Der
eine — Hans — war ein braver und sanfter Junge,
Franz — der andere — ein bösartiger, nichtsnutziger
Schlingel. Einmal verloren sie sich beim Bcerensuchen im Walde.
Als aber Hans, den hungerte, gerade sein Stück Brod, das er
mitbekommen hatte, verzehren wollte, stand plötzlich ein winziges
Männlein mit langem Graubart vor ihm und bat ihn flehentlich
um einen Bissen.
Doch er gab ihm gleich das ganze Stück. Da lächelte das
Männlein dankbar, holte eine Brille aus dem Ränzchen und schenkte
sie dem Knaben. „Weil Du ein gutes Herz hast, will ich Dich
glücklich machen!" sagte der Zwerg. „Betrachte die Welt fleißig
durch diese Gläser — sie werden Dir Ehre, Ruhm und Reichthum
bringen!"
Die Brille war aus lauterem Gold; die Gläser darin schimmer-
ten rosig und, als sie nun Hans neugierig aufsetzte, schien ihm mit
einem Schlage die Welt wie verwandelt: der Himmel war viel
blauer und herrlicher, und die Sonne hing wie eine leuchtende
Ampel zwischen Silberwölkchen; die Bäume rauschteu und erzählten
wundersame Märlein, die Hans plötzlich alle verstand; die Vögel
sangen noch einmal so süß und lauter Edelsteine sprühten in den
Quellen — kurz, wohin er mit der Wunderbrille sah, belebte sich
die Welt und erfüllte sein Herz mit Freude, daß er laut aufjauchzte.
Er naschte wohl noch ein wenig von den Beeren — jedoch sie in
sein Körbchen zu sammeln, vergaß er.
-Aber auch vor Franz war plötzlich, als er
gerade in sein Brod beißen wollte, das flehende Zwerglein
gestanden. Doch er wies den Bittenden hart ab und
verhöhnte ihn wegen seiner Gestalt.
Da wurde der Zwerg sehr zornig, griff in das Ränzlein und
brachte wieder eine Brille hervor. „Nimm", kreischte er, „nichts-
nutziger Bösewicht! Es sei Dein Fluch, daß Dir zeitlebens durch
diese Gläser sehen mußt; — sie werden Dir Elend, Unglück und
Armuth bringen!"
Die Ränder der Brille waren schwarz und ihre Gläser grau
und trüb. Als Franz sie anfsetzte, wurde seine Miene ärgerlich
und er sah zum ersten Mal, wie verschossen und geflickt er gekleidet
war. Die Sonne blendete ihn trotz der grauen Gläser und er
schimpfte darüber; denn er hatte seinen Hut daheim vergessen. Wie
öde und langweilig war es doch im Walde! Die dummen Vögel
hörten nicht zu schreien auf, obwohl sie — er hörte es deutlich —
schon ganz heiser waren. Na, da kam wenigstens eine Kröte daher
— die konnte doch hübsch quacken und hüpfen. Wie er sie aber
fangen wollte, entkam sie ihm, und er schnitt aus Aerger ein junges
Bäumchen ab und rührte damit den Schlammgrund in der nahen
Quelle auf, daß sie allen Glanz verlor. Dann stopfte er mißmuthig
3«
fc-20* _
s waren einmal zwei Brüder, arme Holzhauerskinder. Der
eine — Hans — war ein braver und sanfter Junge,
Franz — der andere — ein bösartiger, nichtsnutziger
Schlingel. Einmal verloren sie sich beim Bcerensuchen im Walde.
Als aber Hans, den hungerte, gerade sein Stück Brod, das er
mitbekommen hatte, verzehren wollte, stand plötzlich ein winziges
Männlein mit langem Graubart vor ihm und bat ihn flehentlich
um einen Bissen.
Doch er gab ihm gleich das ganze Stück. Da lächelte das
Männlein dankbar, holte eine Brille aus dem Ränzchen und schenkte
sie dem Knaben. „Weil Du ein gutes Herz hast, will ich Dich
glücklich machen!" sagte der Zwerg. „Betrachte die Welt fleißig
durch diese Gläser — sie werden Dir Ehre, Ruhm und Reichthum
bringen!"
Die Brille war aus lauterem Gold; die Gläser darin schimmer-
ten rosig und, als sie nun Hans neugierig aufsetzte, schien ihm mit
einem Schlage die Welt wie verwandelt: der Himmel war viel
blauer und herrlicher, und die Sonne hing wie eine leuchtende
Ampel zwischen Silberwölkchen; die Bäume rauschteu und erzählten
wundersame Märlein, die Hans plötzlich alle verstand; die Vögel
sangen noch einmal so süß und lauter Edelsteine sprühten in den
Quellen — kurz, wohin er mit der Wunderbrille sah, belebte sich
die Welt und erfüllte sein Herz mit Freude, daß er laut aufjauchzte.
Er naschte wohl noch ein wenig von den Beeren — jedoch sie in
sein Körbchen zu sammeln, vergaß er.
-Aber auch vor Franz war plötzlich, als er
gerade in sein Brod beißen wollte, das flehende Zwerglein
gestanden. Doch er wies den Bittenden hart ab und
verhöhnte ihn wegen seiner Gestalt.
Da wurde der Zwerg sehr zornig, griff in das Ränzlein und
brachte wieder eine Brille hervor. „Nimm", kreischte er, „nichts-
nutziger Bösewicht! Es sei Dein Fluch, daß Dir zeitlebens durch
diese Gläser sehen mußt; — sie werden Dir Elend, Unglück und
Armuth bringen!"
Die Ränder der Brille waren schwarz und ihre Gläser grau
und trüb. Als Franz sie anfsetzte, wurde seine Miene ärgerlich
und er sah zum ersten Mal, wie verschossen und geflickt er gekleidet
war. Die Sonne blendete ihn trotz der grauen Gläser und er
schimpfte darüber; denn er hatte seinen Hut daheim vergessen. Wie
öde und langweilig war es doch im Walde! Die dummen Vögel
hörten nicht zu schreien auf, obwohl sie — er hörte es deutlich —
schon ganz heiser waren. Na, da kam wenigstens eine Kröte daher
— die konnte doch hübsch quacken und hüpfen. Wie er sie aber
fangen wollte, entkam sie ihm, und er schnitt aus Aerger ein junges
Bäumchen ab und rührte damit den Schlammgrund in der nahen
Quelle auf, daß sie allen Glanz verlor. Dann stopfte er mißmuthig
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die beiden Brüder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1896 - 1896
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 104.1896, Nr. 2650, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg