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159

Ein Schusterbubenstre

„Fräulein Melitta Cichorius, Amalienstraße Nr. 14.

Mein liebes Bienchen! Ich komme heute Abend nicht nach Hanse;
habe liebe alte Commilitonen getroffen, die mich nicht freigeben und mit
denen ich ein bißchen kneipen muß! Warte nicht auf mich! Gute Nacht
und einen Kuß von Deinem Vater."

Knastermann war starr, als er dies gelesen hatte. Daß der
Professor -ihm, gerade ihm einen solchen Auftrag ertheilte, dem er
erst vor vier Wochen wegen seines flotten Lebens das Haus ver-
boten! Und wie cordial er gewesen war — er hatte nur an den
Hut gegriffen, wie man einen guten Kameraden zu grüßen pflegt.
Was mochte der Grund dieses seltsamen Benehmens sein? Und das
Fünfzigpfennigstück, was sollte er mit diesem? War das auf der
Karte erwähnt? Er las sic noch einmal. Nichts, was ihni Auf-
klärung hätte geben können. Er sann hin und her. Sollte Cichorius
seine Heftigkeit von neulich bereuen? Am Ende — er war so freund-
lich! Aber daß er auch nicht gleich darauf gekommen war! —
Natürlich — der Professor wollte sein Unrecht wieder gut machen,
ihm Gelegenheit geben, Melitta wiederznsehen, sich mit ihr auszu-
sprechcn. Der gute Alte, wie lieb von ihm! Er bat ihm alles in
Gedanken ab, was er ihm heimlich Böses gewünscht hatte. Nur
was für eine Bewandtniß es mit den fünfzig Pfennigen hatte, konnte
er nicht ergründen. Vielleicht sollte er auch sie Melitta geben —
sie wußte wohl schon davon.

Er beflügelte seine Schritte, um bald bei dem geliebten Mäd-
chen zu sein; denn er hatte noch einen weiten Weg. Endlich war
dieser überwunden. Knastermann stand klopfenden Herzens und nüt
gezogener Mütze vor der Cichorius'schen Wohnungsthür und zog
schon zum zweiten Male die Glocke. Aber man wollte durchaus
nicht öffnen, und erst als Reinhard hoch und thcucr geschworen, er
komme vom Herrn Professor, und dessen Karte durch das Gitter-
fenster gezeigt hatte, ließ ihn endlich die alte Haushälterin eintreten.
Nun erschien auch Melitta auf dem düsteren Borsaal. Der glückliche
Studio warf die Mütze beiseite, breitete beide Arme um die Geliebte
und küßte sie ans die rothen Lippen. Als gut erzogenes Mädchen
sträubte sich die Kleine erst ein wenig, aber Reinhard wies seine
Belegstücke für die Versöhnung mit dein Vater vor und nun
wollte die Freude kein Ende nehmen. Es waren ein paar herrliche
Stunden, die Beide mit einander verlebten; ani glücklichsten aber
fühlten sie sich immer, wenn die Sorge um die Wirthschaft die
alte Haushälterin ans kurze Zeit in die Küche abrief. Als es
dann Knastermann für schicklich fand, sich zu verabschieden, war
alles zwischen den jungen Liebesleutcn klipp und klar. Schon am
nächsten Morgen sollte Reinhard kommen und ofstziell bei dem
Professor um die Hand der Tochter anhalten. Nur die fünfzig
Pfennige waren ein dunkler Punkt, den sich weder das glückliche
Liebespaar, noch die alte Haushälterin hatte erklären können. Aber
was that das? Sie waren Beide wieder vereint! Was gingen sie
da fünfzig Pfennige an?

Cichorius kam erst spät in der Nacht heim. Ja, der sonst so
enthaltsame Gelehrte hatte sich von der Begeisterung, mit der er im
Kreise der Jugendfreunde der ehemaligen Studentenzeit gedachte,
Hinreißen lassen und eins mehr getrunken, als er vertragen konnte.
Er hatte einen regelrechten Schwips mit nach Hause gebracht. Für
so etwas ist ein ausgiebiger Schlaf das beste, und dem gab sich
denn der Professor bis in den hellen Tag hinein hin. Als aber die
übliche Zeit der Besuche heranrückte, meinte Melitta, den guten Vater
doch wecken zu müssen. Sie öffnete die Thüre seines Zimmers und
rief: „Gutes Väterchen!" — „Hm I" — „Steh' auf — es ist halb
elf Uhr!" — „Ist nicht möglich!" — „Steh' auf, Väterchen —
Reinhard wird gleich kommen!" Das schien den Alten vollends zu
ermuntern.

ich und seine Folgen.

„Reinhard — wer ist das?" — „Reinhard Knastermann, den
Du mir gestern heransgeschickt hast. O Dank, vielen Dank, Väter-
chen, für Deine Güte und Liebe!" — „Was schwatzest Du da?" —
„Stell' Dich nicht so, mein liebes, gutes Väterchen, als kvüßtest Du
nichts davon. Er hat mir Deine Karte gebracht; wir haben den
leisen Wink verstanden, der uns sagte: Väterchen segnet euren
Herzensbund — und uns verlobt!"

„Was fällt Dir ein? Bist Du verrückt?" — „Väterchen" fuhr
in die Höhe und kleidete sich hastig an. Es war ihm noch immer
schwindlig zu Muthe, als er jetzt in's Wohnzimmer trat, wohin sich
Melitta zurückgezogen hatte. „Was führst Du da für eine Komödie
auf?" herrschte er die Tochter an. Roch nie hatte diese den Vater
so gesehen.

„Aber, Vater, Du bist so spät nach Hause gekommen — hast
an alle Möbel angestoßen; ich habe es wohl gehört — aber mich
nicht mehr mit Dir zu sprechen getraut — und jetzt..."

„Väterchen" wurde plötzlich sanft und nachsichtig in seinem Schuld-
bewußtsein — er schämte sich. Er hörte dem nun folgenden Berichte
seiner Tochter, wenn auch mürrisch, so doch geduldig zu, nur hie
und da seiner Verwunderung und seinem Unwillen durch einen Aus-
ruf Luft niachend. Er komrte es nicht glauben, daß er, anstatt eines
Dienstmanns, den Studenten Knastcrmann mit der Sendung an die
Tochter betraut haben sollte. Das war ja noch zwischen dem Nach-
mittags- und Abcndschoppcn geschehen! War er denn schon zu der
Zeit benebelt gewesen? Ilnd doch, cs mußte wohl so sein. Selbst
die fünfzig Pfennige waren zur Stelle, die er dem vermeintlichen
Dienstmann als Botenlohn in die Hand gedrückt hatte. O, wie
schämte er sich jetzt! Seine Tochter konnte in diesem Zustande alles
mit ihm machen, er war wie Wachs in ihrer Hand geworden, und
sic benutzte die Schwäche des Vaters mit der ganzen Verschlagenheit,
die Liebenden eigen ist.

Cichorius zermarterte sein Gehirn beständig mit der Frage:
Was soll nur Knastermann von mir denken? Melitta wußte ihn
zu beruhigen: „Noch weiß Knastermann nichts davon, daß Du ihn
mit einem Dienstmann verwechselt hast, weil Du — na, weil Du
— Du weißt schon-er hält alles für Güte und Absicht-

lichkeit ! Er ist ein seelenguter Mensch, aber als abgewiescner
Freier, glaube ich, würde er zu Allem fähig sein, denn er liebt mich
von ganzem Herzen. Wenn Alles durch ihn bekannt würde —
denke an die Schmach! Dein ferneres Wirken als Lehrer der Hoch-
schule wäre ja in Frage gestellt!" —

Währenddessen machte sich Knastermann auf den Weg zu
Cichorius — aber nicht „in Couleur", sondern mit einem neuen
Cylindcrhut, den er sich schon für die kommenden Examina und die
mit ihnen verbundenen Besuche bei den Professoren gekauft hatte.
Er vermißte seit heute Morgen allerdings seine Corpsmütze, dagegen
hatte eine Packträgermütze ans seinem Tisch gelegen. Sollte er im
Rausch diese Kopfbedeckung irgendwo aufgegriffen haben? Er
war doch gestern von Cichoriussens geradeswegs nach Hanse ge-
gangen! . . Aber das war ja Alles Nebensache — er würde sich
schon noch auf dcni Dienstmann-Jnstitut erkundigen, wie die Sache
zusammenhing — jetzt hatte er Wichtigeres vor.

Knastermann wurde von Vater und Tochter empfangen. Cichorius
war erst ziemlich kühl; er wollte den jungen Mann gar nicht zu
Worte kommen lassen und versuchte, wenn dieser mit seinem Anliegen
herauszurücken begann, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
Aber Knastermann ließ nicht locker und der Professor wurde, während
seine Blicke sich ängstlich auf die Tochter richteten, die ihn durch
Hüsteln und warnende Zeichen förmlich hypnotisirte, immer mehr in
die Enge getrieben.
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