Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Fliegende Blätter — 11.1850 (Nr. 241-264)

DOI issue:
Nr. 245
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2113#0038
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34

Drei Freier.

im Wege stand. Aber er hatte nicht den Muth, die That zu
begehen. Ulrike blickte in seine Züge und las in diesen ver-
zerrten Zügen jeden seiner Gedanken; sein ganzes Innere lag
offen vor dem Blicke da, welchen sie ans ihn warf. Sie sah
die Seele ohne die Maske des Körpers. Trotz aller Schrecken
dieser Nacht war etwas so namenlos widriges, scheußliches noch
nicht vor ihrem Auge aufgctaucht, wie der Anblick dieses Men-
schen oder dieser transparent gewordenen Seele. Es war, als
ob sich Satan und Bestie in dieser Erscheinung ausgeprägt,
als ob die scheußlichen Dämonen der Bosheit, des Lasters
und der Herrschsucht vereint den Geist des Mörders bildeten.

Ulrike wandte vom tiefsten Entsetzen durschauert den Kopf
ab. Sie hatte nicht geahnt, daß die Schöpfung etwas auch nur
entfernt diesem Anblick an Scheußlichkeit ähnliches umschließe.

Tie schnaubenden Rosse trugen sie weiter. Sie nahten sich
den düster aufragendcn Mauern und Thürmen einer Stadt, in
deren Fenstern nur hier und da noch ein schwaches falbes Licht
schimmerte, während in den engen und gewundenen Gassen
alles Leben erstorben war. Ein Paar jener erleuchteten
Fenster, aus denen ein helleres Licht quoll, ließen in das
Innere eines hohen Hauses nahe am Thore blicken.

Der Flug der Rosse hemmte sich den glänzenden Scheiben
der Fenster gegenüber; Ulrikens Blicke drangen, wie unwider-
stehlich gezogen, forschend in das erleuchtete Gemach. Eine
Gesellschaft von vier Personen saß darin um einen runden Tisch
gereiht. Siespielten. Der Bankhalter war ein hochgewachsener
Mann, mit kahler Stirn, großer Habichtsnase, und einem Mund,
der fast ohne Lippen war. Ulrikens wunderbar geschärftes Auge
drang wieder bis in das innerste Innere seiner Seele. Es
war eine Seele, die sich ein Vierteljahrhundert lang in Sünde
und Laster großgesogen hatte zu einer Gestalt von so furchtbar
verzerrten, höllischen Zügen, daß ihre Häßlichkeit das scheuß-
lichste Gewürm, das modererfüllte Abgriinde oder der Schlamm
der Verwesung nähren, weit hinter sich zurückließ. Von den
andern Spielern trug einer, der jüngste, den Ausdruck unend-
licher Leere und Oede in seinem Gesichte; was aus seinem
Auge sah, war weniger als das, was aus dem Auge eines
Schaafes blickt, es war das helle Nichts. Auch war nichts
weiter bei ihm sichtbar, als dieser äußere Ausdruck. Er war
nur Maske. Tie zwei andern ivaren Menschen, die sich durch
eine glückliche Flucht aus den Ketten gerettet hatten, in ivelchen
sie die Gerechtigkeit gehalten; sie waren in die Gesellschaft zu-
rückgekehrt mit einem grimmigen Durste, sich an ihr durch so
viel Unheil zu rächen, wie es nur immer in ihrer Macht liege,
anzusttften, und ihre Seelen, deren Gestalten, wie des Körper-
gewandes aus Fleisch und Blut entkleidet, vor Ulrikens Augen
in nackter Scheußlichkeit dastanden, zeigten ein Gemisch von
Verzweiflung, Blutdurst, Empörung, Zerstörungslust und Wuth
gegen Gott, daß dieser Anblick durch seine unaussprechliche Widrig-
keit Alles übertraf, was ausschweifende Künstlerphantasien je
erfunden haben, um die Sünde, das Laster und das Böse darzu-
stellen, wie es am Tage desWelt-Gerichtsdem Schlunde derHölle
entquillt, oder sich einsamen Ascetikern naht, um sie zu versuchen.

„Ich kann nicht mehr!" sagte Ulrike mit einem herzbrechen-

den Schrei, als ihr Auge über diese letzte Erscheinung fort-
geglitten war.

„Tu kannst nicht mehr?" tönte eine Stimme voll Hohnes
von dem nächtlichen Reuter an der Seite des unglücklichen
Weibes her: „Tu kannst nicht mehr? Und doch zeige ich Dir
keine Grauengespenster der Todten wie Ahasver, sondern nur
Deine Mitgeschöpfe, nur lebende Menschen, wie sie sind ohne
ihre Maske von Fleisch und Blut!"

„O die Todten sind unendlich weniger grauenhaft als die
Lebenden! Dort unten um jene Kirche sah ich Grabhügel auf-
geworfen und Kreuze im Mondschein blinken. Laß mich
dorthin mich flüchten, zu den Todten auf dem Friedhofe!"

„Du sehnst Dich zu den Todten!" sagte der Rodensteiner
nnt einem furchtbaren, Ulriken in's tiefste Mark schneidenden
Hohnlachen. „Ich glaube es. Glaubst Du, ich thäte es nicht?!
Aber weiter — weiter — hussah, mein wüthendes Heer!"

Er wandte sich im Sattel zurück und schwang heftig seine
Peitsche, seinem Trosse winkend. Das Rüdengeheul, der schnei-
dende, langhinhallende Ton der Hifthörner, der Weheruf gehetz-
ter Thiere verdoppelte sich, und fort stürmte der Zug über •
die Dächer der Stadt, in der die Schläfer erschrocken empor-
fuhren und sich bekreuzten, während aus den Schalllucken der
Thürme Eulen und Dohlen krächzend aufflatterten.

Die Höhenzüge und Wellungen des Bodens, welche Ulrike
bisher unter sich wahrgenommen hatte, hörten nach und nach
auf. Eine unendliche Ebene, nachtbedeckt und öde, nur hie
und da von dunklen Fichtenwaldungen durchschnitten, dehnte
sich unter ihr aus.

„Dort unten fern in jenem Burghaus, das Du ans dem
Tannenwalde sich erheben siehst," sagte der Rodensteiner nach
einer Weile, „sitzt ein Gefangener im Kerker, der mit Tages-
grauen gerädert werden wird. Blick' ihn an — wir wollen
vorüber!"

„Erbarmen — ich kann nicht!" stöhnte Ulrike.

„Ist das Dein Math, Weib? Fasse Dich. Denke bei
seinem Anblick, so erschütternd er sein mag: er ist ja da,
um nach wenig Stunden auf ewig vernichtet zu sein!"

„Auf ewig vernichtet?!"

„Ja! Glaubst Du, diese Seelen, die ich Dir zeige, gingen
zu den Todten? Zu den Todten gehen Wenige: nur die Star-
ken überleben das Sterben, nur ganze ungebrochene Seelen.
Die andren hören auf. Sahst Du nicht jenen Spieler, dem
das Nichts aus den Augen blickte? Was in ihm ist kräftig
genug, das Sterben zu überstehen? — Da ist der Kerker."

Die Rosse sausten dicht an den Wipfeln einer kleinen Wal-
dung dahin, dann senkten sie sich zu einem alterthümlichen, von
dreifachen Wassergräben umgebenen Gebäude hinab, und Ulrike
fühlte sich an einem vergitterten Fenster vorübergetragen, durch
das sie einen Blick warf, der wieder wie magnetisch in die
dumpfe, von einer Lampe erhellte Zelle hineingezogen wurde.
Aber diese Prüfung war zu stark. Sie sank wie gebrochen auf
ihrem Sattelzusammen. Ihre letzten Kräfte drohten sie zu verlassen.

Da war es, als ob ein unsichtbarer Einfluß, ein ihre ganze
Gestalt durchdringender Anhauch irgend eines Geistes sie neu
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen