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Drei Freier. 35

belebe und stärke. An ihrer Seite nahm sie zugleich einen in
gleicher Höhe mit ihr fortflatternden dunklen Schatten wahr.

„Hast Du genug, kühne Frau? Bist Du des Lustritts
müde?" kicherte eine heisere Stimme. Es war die Stimme
des Schwarzen.

„Rette mich, o rette mich!" stammelte Ulrike.

„Um jeden Preis?"

„Um jeden Preis!"

„So laß sie fahren, laß sie hinunter, Hackclberg!" sagte
der Schwarze gebietend.

„Gibst Tu schon die Wette verloren, schwaches Geschöpf?!"
höhnte der Rodensteiner. „Nimm Deine Kraft zusammen und
ich will Dir tausendmal besseres zeigen als ich Dir zeigte.
Ich will Dich an Königsburgen vorüberführen, und Dich die
Hirten der Völker sehen lassen, deren Leben nichts ist, als
ein großes Gastmahl Belsazars und ein Spottgesang auf die
dräuende Hand, die ihr Urtheil an die Wände der Zwing-
burgen schreibt; an die Thore der Spitäler, wo die Versto-
ßenen an der großen Krankheit „Eiend" sterben, an die
Sterbebetten der Verbrecher, welche in Glanz und Ehren
prunkten, will ich Dich tragen; vorüber an der Höhle der
Verschwörer und an der Kammer des Lasters; dann erst wirst
Du sagen können, daß Du die Geister der Lebenden gesehen
hast, und daß gegen sie die armseligen Geister der Todten,
die über ihrem Grabe büßend die Hände ringen, sind was
ein Funke gegen einen Bulcan, ein Tropfen gegen das Meer,
ein Tauben-Ei gegen den Erdball! Komm!"

„Ich vergehe! ich vergehe!" klagte Ulrike.

„Gehorche, Hackelberg—hinab!" sagte der Schwarze drohend.

„Nicht eher, als bis sie im Bereiche des Todtenschiffes
ist," antwortete der wilde Jäger zornig. „Hussah!!"

Er wandte sich noch einmal im Sattel zurück, schwang
seine Hetzpeitsche und mit Sturmeseile tobte nun das wü-
thcnde Heer schnaubend und brausend über die lichtlose Ebene
fort. Ulrikens Auge entdeckte endlich einen falben, fahlen
Strich in weitester Ferne, über welchem das erste Grauen
der Dämmerung aufschimnlertc. Dieser Strich wurde breiter
und heller, er umspannte immer weiter und weiter den Hori-
zont — Ulrike erkannte das Meer.

Zugleich senkte sich wieder allmählig der Flug der Rosse.
Nach und nach kamen sie dem Boden, der aus einer unab-
sehbaren Sandfläche bestand, so nahe, daß ihre Hufe die
Spitzen des Sandhafers und der ärmlichen Halme berührten,
welche die einzige Vegetation dieser öden Ufergegend bildeten,
j Noch war eine schmale Reihe von Hügeln zurückzulegen : bald
lagen auch sie hinter den Hufen der pfeilschnellen Renner,
und schneller wie der Gedanke ist, fühlte Ulrike sich nun aus
dem Sattel gehoben und auf dem Abhang einer Düne, auf
den weichen feuchten Sand niedergesetzt.

Einige Augenblicke vergingen, während welcher Ulrike nach
Luft rang und ihre Sinne sammelte, da die Schnelligkeit der
! letzten Bewegung sie schwindeln gemacht hatte. Das wüthende
Heer hatte sich unterdeß gewendet; es war mit Blitzeseile
landeinwärts hinter den Dünen verschwunden, und ein im

Winde hinsterbendes Klirren und Sausen zeigte die Richtung
an, in welcher es dahinstob.

Ulrike hatte ihr Gesicht in ihren Händen begraben; so, !
während ihr Busen stürmisch auf- und niederwogte, kniete sie z
auf dem festen Ufersande und flehte Gott um Fassung an.

Der Schwarze, der ihr fortwährend nicht von der Seite !
gewichen war, unterbrach sie.

„Blicke auf — sieh her!" sagte er und legte seine lange
magere Hand auf ihre Schulter, während sein andrer Arm weit
hinaus auf das graue rollende Meer deutete, über dessen Hori-
zont eben ein kaltes und falbes Gelb das Nahen der Morgen-
röthe ankündigte. Ein Schmerz durchzuckte Ulrike an der Stelle,
wo die schwere, knöcherne Hand sie berührte; sie blickte auf und
folgte mit dem Auge der Richtung, nach welcher die hohe und
schmale, schattenhafte Gestalt, die vor ihr stand, deutete. Sie
sah dort die dunklen Umrisse der Segel eines großen Schiffes,
die auf- und niedertauchten über den hochgehenden und schaum-
gekrönten Wogen, und die größer und deutlicher wurden, so
wie sie näher kamen; bald wurde auch ein schwarzer Schiffs-
rumpf sichtbar, von schwerer und plumper Form, ein massiver,
breitgewölbter Bau. Das auffallend weiß gebleichte Segeltuch
war vom Winde hoch aufgebläht und doch fuhr das Schiff so
rasch und leicht wie der Flug einer Möve, grade und schnur-
stracks wider den Wind an, der vom Lande her blies.

„Da ist Ban der Decken" — sagte der Schwarze mit sei-
nem meckernden Lachen. „Wenig Augenblicke noch und Tu
wirst an seinem Bord die Mannschaft seiner todten Matrosen j
wahrnehmen können. Der fliegende Holländer segelt mit dem
Sturm in die Wette. Glück auf zu Deiner Fahrt! Er wird
Dich nach Afrika, an die Goldküste bringen, wo er zuerst
den Handel mit Mcnschenfleisch einführte, der lustige Specu-
lant; dann nach Cuba und Domingo, wo er seine erste Lad-
ung mit dem schwarzen Neger-Vieh gegen Gold umsetzte;
nach dem Cap der guten Hoffnung, das er einst, als ihn !
der Sturm zurückschleuderte, umfahren zu wollen schwur, trotz !
Wind und Strömung, trotz Blitz und Donner, trotz Gott und
Teufel, und wenn er bis zum jüngsten Tage segeln müsse!

Er segelt nun bis zum jüngsten Tage. Glück auf zur Fahrt, !
Weib. Tu wirst jetzt auch die Bewohner des Oceans und
der Tiefe, in die kein Menschenauge drang, sehen!"

Das dunkle Gcisterschiff schwebte näher und näher; schon
wurden einzelne Theile des Baues sichtbar, während es mit
der breiten schwarzen Brust niajestätisch und drohend, wie
ein lebenerfülltes Ungeheuer, die Kämme der brausenden Wo-
gen überstieg. Auf die geblähten Linnen der höchsten Segel
hatte sich ein weißgelbcs Glänzen gelegt: es war der Schein
der Morgenröthe, welche jetzt den Osten in ihre Purpurtin-
ten hüllte, über die schwarzgraue unendliche Meeresfläche eine
hellere, weißlich grüne Zone warf, die nach dem Horizont
hin immer breiter wurde, und auf der man weithin die
krausen, weißen Schaumwellcn wie spielende Robben sich tum-
meln und einander verfolgen sah.

lSchluß folgt.)

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