l.
In stillem Deingedenken
verstoß die Winterszeit;
Du mochtest meinem Leid
Kein tröstend wörtlein schenken.
Am Lenztag dürft' ich schwenken
Dich um die Linde breit.
„Kind," steht' ich, „sei gescheit!
Zch sah' dein Aug' sich senken.
Der Sommer hat's entschieden:
Sonnetrni. °^^°-
Du küßtest meinen wund,
Da fand die Seele Frieden.
Zeßt kommst du selbst, zu scherzen
In kühler Herbstesstund',
Zu ruh'n an meinem Herzen.
Der Schnee war kaum zergangen,
Da faßt' ich deine Hand
Voll Bebens und gestand
wein Sehnen, mein verlangen.
279
Da glühten deine Wangen,
Und eh' der Len; noch schwand,
Hast du am Waldesrand
Zn Liebe mich umfangen.
Schnell knüpfte sich das Band,
Doch fessell's Herz und Hand
Run schon ein langes Leben.
Bereust du's, liebes Kind,
Daß du dich so geschwind
Zn Liebe mir ergeben?
mar, ein junger Fürst im Morgenlande, hatte die
schönsten Frauen. Zedermann wußte davon. Doch
selten, nur wenn der kriegerische Fürst von einem
neuen Raubzug mit reicher Beute zurückkehrte,
unter der sich regelmäßig ein schönes Mädchen
befand, gelang es den: Volke, die neue Bereicherung des fürst-
lichen Harems für einige Augenblicke unverschleiert zu be-
trachten. Hatten sich aber einmal die Tore hinter den: neuen
Gpser geschlossen, dann sorgten dicke Mauern, eng vergitterte
Fenster und ein großes Aufgebot von wohlbewaffneten Wächtern dafür, daß
kein unberufener und verlangender Blick die Schönheit der fürstlichen Frau
zu verletzen vermochte.
Eines Abends, als der Fürst mit großer beutebeladener Kara-
wane von einem Kriegszug heimgekehrt war und sich die Tore
des Harems in gewohnter weise öffnen mußten, erblickte das
versammelte Volk zwei Frauengestalten, die von einem prächtig
gezäumten Kamele herabgestiegen waren und von den Wächtern
in die Gemächer geleitet wurden, während das Kriegsvolk be-
müht war, die neugierigen Gaffer zurückzudrängen. Aber trotz-
dem gelang es, wenn auch nicht die Gesichtszüge, so doch die Ge-
stalten der Frauen zu mustern. Schlank wie ein Dattelkern war
die eine, unförmig wie eine Kokosnuß die andere, und manch'
Turban kam an jenem Abend unter dem Eindruck der fürst-
lichen Geschmacksverirrung in ein bedenkliches Wanken.
Doch bald sollte dem staunenden Volke Aufklärung zuteil
werden. was halfen die dicken Mauern und vergitterten
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In stillem Deingedenken
verstoß die Winterszeit;
Du mochtest meinem Leid
Kein tröstend wörtlein schenken.
Am Lenztag dürft' ich schwenken
Dich um die Linde breit.
„Kind," steht' ich, „sei gescheit!
Zch sah' dein Aug' sich senken.
Der Sommer hat's entschieden:
Sonnetrni. °^^°-
Du küßtest meinen wund,
Da fand die Seele Frieden.
Zeßt kommst du selbst, zu scherzen
In kühler Herbstesstund',
Zu ruh'n an meinem Herzen.
Der Schnee war kaum zergangen,
Da faßt' ich deine Hand
Voll Bebens und gestand
wein Sehnen, mein verlangen.
279
Da glühten deine Wangen,
Und eh' der Len; noch schwand,
Hast du am Waldesrand
Zn Liebe mich umfangen.
Schnell knüpfte sich das Band,
Doch fessell's Herz und Hand
Run schon ein langes Leben.
Bereust du's, liebes Kind,
Daß du dich so geschwind
Zn Liebe mir ergeben?
mar, ein junger Fürst im Morgenlande, hatte die
schönsten Frauen. Zedermann wußte davon. Doch
selten, nur wenn der kriegerische Fürst von einem
neuen Raubzug mit reicher Beute zurückkehrte,
unter der sich regelmäßig ein schönes Mädchen
befand, gelang es den: Volke, die neue Bereicherung des fürst-
lichen Harems für einige Augenblicke unverschleiert zu be-
trachten. Hatten sich aber einmal die Tore hinter den: neuen
Gpser geschlossen, dann sorgten dicke Mauern, eng vergitterte
Fenster und ein großes Aufgebot von wohlbewaffneten Wächtern dafür, daß
kein unberufener und verlangender Blick die Schönheit der fürstlichen Frau
zu verletzen vermochte.
Eines Abends, als der Fürst mit großer beutebeladener Kara-
wane von einem Kriegszug heimgekehrt war und sich die Tore
des Harems in gewohnter weise öffnen mußten, erblickte das
versammelte Volk zwei Frauengestalten, die von einem prächtig
gezäumten Kamele herabgestiegen waren und von den Wächtern
in die Gemächer geleitet wurden, während das Kriegsvolk be-
müht war, die neugierigen Gaffer zurückzudrängen. Aber trotz-
dem gelang es, wenn auch nicht die Gesichtszüge, so doch die Ge-
stalten der Frauen zu mustern. Schlank wie ein Dattelkern war
die eine, unförmig wie eine Kokosnuß die andere, und manch'
Turban kam an jenem Abend unter dem Eindruck der fürst-
lichen Geschmacksverirrung in ein bedenkliches Wanken.
Doch bald sollte dem staunenden Volke Aufklärung zuteil
werden. was halfen die dicken Mauern und vergitterten
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das kleinere Übel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1905
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 122.1905, Nr. 3124, S. 279
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg