cz=:
raste das Auditorium vor Entzücken, vom Gesellworenentische er-
tönten nicht wie sonst die Rufe: „Entzückend“ oder „Einfach
süssss“ — nein, man hörte bloss:
„Empörend, wie kokett!“
„Ich bitte Sie, der Ausschnitt am Halse!“
„Ja hat denn die junge Person kein Schamgefühl ?!“
„Die Locken ! Natürlich falsch !“
„Mein armer verführter Mann!“
„Na, warte!“
Und der Angeklagte erhielt ausser der Todesstrafe noch zehn
Jahre Zuchthaus und lebenslänglichen Ehrverlust. Und da
grinste er nicht mehr!
Philipp Burger.
Wirkung meiner Rede ist beim Teufel. Oder sie lässt gar ihr
Fiisschen in den durchbrochenen Strümpfen sehen! . . . Wie sollen
dann die Geschworenen Ohren für mich haben, wenn sie mit
den Augen die Verteidigerin verschlingen? Ich darf keine Stell-
vertreter mehr die Anklage führen lassen, denn alle treten von
der Anklage zurück. Die Verbrechen häufen sich. Sieh', erhabener
Herrscher, all’ das sind Frauen von Männern, die — ehemals die
Ehrenhaftigkeit selbst — nunmehr zu Verbrechern werden, um von
den Schönen verteidigt zu werden und mit ihnen ein Stündchen
allein in der Zelle verbringen zu dürfen. Die Gefängnisse sind
überfüllt, die Frauen ohne Gatten, die männlichen Anwälte brotlos,
die Verbrecher gehen straflos aus. Herr, ich bin am Ende meiner
Kraft! Wie soll das enden?!“
Und die Weiber schneuzten sich und riefen, indem sie die
Taschentücher schwangen: „Hilf uns, o König!“
Der König tat, was in diesem Falle zu tun war. Er versprach,
der Sache auf den Grund zu gehen, und pensionierte den Ober-
staatsanwalt.
Als sich aber eines Tages die Frauen hinter die Königin steckten,
da wurde diese energisch und der König kleinlaut und er Hess den
Justizminister kommen und trug ihm auf, binnen drei Tagen Ab-
hilfe zu schaffen. Was tun? Der arme Minister zerbrach sich den
Kopf. Abzuschaffen war das Gesetz nicht, denn die Männer waren
für die Verteidigerinnen. Und so sass er eines Tages ganz ver-
zweifelt in seiner Wohnung — als er vor seinem Fenster zwei
Frauen reden hörte. Und die eine sagte auf einmal: „Ja, wenn
Ich was zu reden hätte. Dann . . . .“
Doch das hörte der Minister schon nicht mehr. Ein seliges
Lächeln flog über seine vergrämten Züge; hierauf eilte er ins
Schloss, dass die Schösse an seinem Staatsfracke nur so flogen.
Dann hatte er mit dem Könige eine lange Unterredung.
Am nächsten Tage war die Verhandlung gegen einen Mörder.
Der Verhandlungsraum war überfüllt. Der Verbrecher wurde herein-
geführt und setzte sich frech grinsend nieder. Er war ja seines
Freispruches sicher! Und als die Verteidigerin selbst im Saale er-
schien, da ging ein Stammeln des Entzückens durch den Saal, so
süss sah sie aus in ihrem schwarzen Talare und dem flotten Sanimt-
barettchen. Und das Stammeln wuchs zu einem Schrei des Ent-
zückens. Und der Verbrecher grinste.
Aber wo blieb der Gerichtshof? Aha, da kam er schon. Doch,
was war das ? Statt der alten Geschworenen sah man die finsteren
Gesichter der — zwölf ärgsten Xanthippen der Stadt.
Vergebens Hess die Verteidigerin alle Künste spielen, vergebens
G . Kirthn.p
raste das Auditorium vor Entzücken, vom Gesellworenentische er-
tönten nicht wie sonst die Rufe: „Entzückend“ oder „Einfach
süssss“ — nein, man hörte bloss:
„Empörend, wie kokett!“
„Ich bitte Sie, der Ausschnitt am Halse!“
„Ja hat denn die junge Person kein Schamgefühl ?!“
„Die Locken ! Natürlich falsch !“
„Mein armer verführter Mann!“
„Na, warte!“
Und der Angeklagte erhielt ausser der Todesstrafe noch zehn
Jahre Zuchthaus und lebenslänglichen Ehrverlust. Und da
grinste er nicht mehr!
Philipp Burger.
Wirkung meiner Rede ist beim Teufel. Oder sie lässt gar ihr
Fiisschen in den durchbrochenen Strümpfen sehen! . . . Wie sollen
dann die Geschworenen Ohren für mich haben, wenn sie mit
den Augen die Verteidigerin verschlingen? Ich darf keine Stell-
vertreter mehr die Anklage führen lassen, denn alle treten von
der Anklage zurück. Die Verbrechen häufen sich. Sieh', erhabener
Herrscher, all’ das sind Frauen von Männern, die — ehemals die
Ehrenhaftigkeit selbst — nunmehr zu Verbrechern werden, um von
den Schönen verteidigt zu werden und mit ihnen ein Stündchen
allein in der Zelle verbringen zu dürfen. Die Gefängnisse sind
überfüllt, die Frauen ohne Gatten, die männlichen Anwälte brotlos,
die Verbrecher gehen straflos aus. Herr, ich bin am Ende meiner
Kraft! Wie soll das enden?!“
Und die Weiber schneuzten sich und riefen, indem sie die
Taschentücher schwangen: „Hilf uns, o König!“
Der König tat, was in diesem Falle zu tun war. Er versprach,
der Sache auf den Grund zu gehen, und pensionierte den Ober-
staatsanwalt.
Als sich aber eines Tages die Frauen hinter die Königin steckten,
da wurde diese energisch und der König kleinlaut und er Hess den
Justizminister kommen und trug ihm auf, binnen drei Tagen Ab-
hilfe zu schaffen. Was tun? Der arme Minister zerbrach sich den
Kopf. Abzuschaffen war das Gesetz nicht, denn die Männer waren
für die Verteidigerinnen. Und so sass er eines Tages ganz ver-
zweifelt in seiner Wohnung — als er vor seinem Fenster zwei
Frauen reden hörte. Und die eine sagte auf einmal: „Ja, wenn
Ich was zu reden hätte. Dann . . . .“
Doch das hörte der Minister schon nicht mehr. Ein seliges
Lächeln flog über seine vergrämten Züge; hierauf eilte er ins
Schloss, dass die Schösse an seinem Staatsfracke nur so flogen.
Dann hatte er mit dem Könige eine lange Unterredung.
Am nächsten Tage war die Verhandlung gegen einen Mörder.
Der Verhandlungsraum war überfüllt. Der Verbrecher wurde herein-
geführt und setzte sich frech grinsend nieder. Er war ja seines
Freispruches sicher! Und als die Verteidigerin selbst im Saale er-
schien, da ging ein Stammeln des Entzückens durch den Saal, so
süss sah sie aus in ihrem schwarzen Talare und dem flotten Sanimt-
barettchen. Und das Stammeln wuchs zu einem Schrei des Ent-
zückens. Und der Verbrecher grinste.
Aber wo blieb der Gerichtshof? Aha, da kam er schon. Doch,
was war das ? Statt der alten Geschworenen sah man die finsteren
Gesichter der — zwölf ärgsten Xanthippen der Stadt.
Vergebens Hess die Verteidigerin alle Künste spielen, vergebens
G . Kirthn.p
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Märchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1909
Entstehungsdatum (normiert)
1904 - 1914
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 131.1909, Nr. 3339, S. 50
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg