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Der Stiefelputzautomat rc.
der Nahe beschäftigt war. Der Mann kam herbei. „Sie, Ihr
Apparat ist kaput", sagte Anton.
„Donnerwetter!" meinte der Mechaniker und begann, eine
Untersuchung anzustellen. Er fand nichts. Dann schaute er auf
Antons Stiefel, grinste, nickte dem Automaten befriedigt zu und
erklärte: „Der Apparat ist ganz in Ordnung, mein Herr. Sie
müssen nur noch einmal zehn Pfennig hineinwerfen."
Wahrhaftig: wie vernünftig doch solch eine Maschine ist!
—--2-. Das tote Huhn. .-2—
it einem schönen Sonntagnachmittag wunderte Franz Stritzel
von Wadlinge nach Bütteldorf. Als er hinter sich ein
Auto sausen hörte, sprang er rasch zur Seite und sah,
daß ein Huhn ganz sorglos mitten auf der Straße spazierte. Das
Auto kam immer näher, das Huhn wurde endlich aufmerksam;
gleich darauf wurde es aufgeregt, es eilte Stritzel nach, witterte
einen neuen Feind, es machte kehrt, um sich auf die ändere Seite
der Straße zu retten, da faß ihni ein Rad des Autos auch schon
anr Halse und das Huhn war tot. Erschüttert wartete Stritzel,
bis der Staub sich wieder niedergesenkt hatte. Traurig trat er
an das tote Huhn heran, dann blickte er voll Ingrimm dein Auto
nach; doch dieses war längst verschwunden. Stritzel hob behutsam
das Huhn in die Höhe, fand, daß es sehr schwer sei, und ließ es
rasch in den Straßengraben fallen. Noch schwerer als das Huhn
aber war Stritzels Herz. Der grüne Wald, die singenden Vögel,
die lachenden Menschen um ihn her vermochten seine Traurigkeit
nicht zu bannen, voll von bitteren Betrachtungen über das un-
gerechte Schicksal wanderte er heimwärts. Als er nach einer Stunde
an dem Wirtshaus „Zur alten Rnödelhütte" vorüberkam und sah,
wie die Aellner geschäftig durch den vollen Garten stürmten, wie
sie Teller voll mit Backhendeln balancierten, da erst wich sein
Schmerz allmählich und die Erkenntnis der Notwendigkeit alles
Geschehens trat an dessen Stelle. Eine weiche Stimmung über-
kam ihn, er ging nun ruhig in den Wald zurück und lagerte sich
in das Moos. Bleifeder und Papier nahm er zur Hand »nd es
geschah, daß er ein Gedicht machte, wie die Leute gewöhnlich und
verständnislos zu sagen pflegen. Also, Stritzel dichtete. Drei
Strophen, die er dreimal überlas, bevor er fand, daß sie gut seien.
Das fand auch die Redaktion des „Schnalser Boten", an die
Stritzel das Gedicht schickte; denn es wurde ihm nach einigen
Tagen mitgeteilt, daß es angenommen sei. von da an änderte
Stritzel seine Lebensweise, wie ein richtiger Dichter ging er drei-
mal des Tages in's Cafe, dreimal täglich durcheilte er voll Span-
nung die Spalten des „Schnalser Boten", bis endlich nach zwei
Wochen ein freudiger Schreck ihn erbeben machte; — er sah sich,
seine Dichtung, seinen Namen gedruckt. Neunmal las er das Ge-
dicht und neunmal schien es ihm so neu, so unbekannt und doch so
schön. Der Rausch des ersten Erfolges hielt nicht lange an. Der
Gedanke, den schönen Stoff so leichtsinnig entwertet zu haben,
statt ihn in ein mehraktiges Drama zu fassen, ernüchterte ihn,
und da ein Herr am Nebentisch den „Schnalser Boten" zu lesen
wünschte, so entschloß sich Stritzel, den Ruhm des Tages für sich
in Anspruch zu nehmen. Das war schließlich sein gutes Recht.
Mb aber der Fremde das Gedicht bemerken, ob er es lesen
werde? Wahrhaftig, der Fremde richtete sein Auge gerade auf
jene Spalte des Blattes, die fein Gedicht enthielt. Reine Miene
im Gesicht des Lesers verriet dessen innere Bewegung, und doch —,
es schien nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Stritzel sah, wie
der Gast das Blatt aufgeschlagen vor sich hinlegte, den Rellner
Alois rief und ihm das Gedicht zeigte. Alois beugte sich nieder,
nickte und entfernte sich. Stritzel erhob sich unauffällig und eilte
Alois nach. Er gab ihm zwanzig Heller und fragte: „Alois, was
hat der Herr dort gesagt?"
„Dank' schön. Nix hat er g'sagt. Er hat mir a' Gedicht
'zeigt, das was er 'dicht' hat."
„von ihm ist das Gedicht, hat er gesagt?" schrie Stritzel.
„No ja! Mder is es epper net?"
Stritzel besann sich auf seine würde. Er gab Alois noch-
mals zwanzig Heller, entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte
Der Stiefelputzautomat rc.
der Nahe beschäftigt war. Der Mann kam herbei. „Sie, Ihr
Apparat ist kaput", sagte Anton.
„Donnerwetter!" meinte der Mechaniker und begann, eine
Untersuchung anzustellen. Er fand nichts. Dann schaute er auf
Antons Stiefel, grinste, nickte dem Automaten befriedigt zu und
erklärte: „Der Apparat ist ganz in Ordnung, mein Herr. Sie
müssen nur noch einmal zehn Pfennig hineinwerfen."
Wahrhaftig: wie vernünftig doch solch eine Maschine ist!
—--2-. Das tote Huhn. .-2—
it einem schönen Sonntagnachmittag wunderte Franz Stritzel
von Wadlinge nach Bütteldorf. Als er hinter sich ein
Auto sausen hörte, sprang er rasch zur Seite und sah,
daß ein Huhn ganz sorglos mitten auf der Straße spazierte. Das
Auto kam immer näher, das Huhn wurde endlich aufmerksam;
gleich darauf wurde es aufgeregt, es eilte Stritzel nach, witterte
einen neuen Feind, es machte kehrt, um sich auf die ändere Seite
der Straße zu retten, da faß ihni ein Rad des Autos auch schon
anr Halse und das Huhn war tot. Erschüttert wartete Stritzel,
bis der Staub sich wieder niedergesenkt hatte. Traurig trat er
an das tote Huhn heran, dann blickte er voll Ingrimm dein Auto
nach; doch dieses war längst verschwunden. Stritzel hob behutsam
das Huhn in die Höhe, fand, daß es sehr schwer sei, und ließ es
rasch in den Straßengraben fallen. Noch schwerer als das Huhn
aber war Stritzels Herz. Der grüne Wald, die singenden Vögel,
die lachenden Menschen um ihn her vermochten seine Traurigkeit
nicht zu bannen, voll von bitteren Betrachtungen über das un-
gerechte Schicksal wanderte er heimwärts. Als er nach einer Stunde
an dem Wirtshaus „Zur alten Rnödelhütte" vorüberkam und sah,
wie die Aellner geschäftig durch den vollen Garten stürmten, wie
sie Teller voll mit Backhendeln balancierten, da erst wich sein
Schmerz allmählich und die Erkenntnis der Notwendigkeit alles
Geschehens trat an dessen Stelle. Eine weiche Stimmung über-
kam ihn, er ging nun ruhig in den Wald zurück und lagerte sich
in das Moos. Bleifeder und Papier nahm er zur Hand »nd es
geschah, daß er ein Gedicht machte, wie die Leute gewöhnlich und
verständnislos zu sagen pflegen. Also, Stritzel dichtete. Drei
Strophen, die er dreimal überlas, bevor er fand, daß sie gut seien.
Das fand auch die Redaktion des „Schnalser Boten", an die
Stritzel das Gedicht schickte; denn es wurde ihm nach einigen
Tagen mitgeteilt, daß es angenommen sei. von da an änderte
Stritzel seine Lebensweise, wie ein richtiger Dichter ging er drei-
mal des Tages in's Cafe, dreimal täglich durcheilte er voll Span-
nung die Spalten des „Schnalser Boten", bis endlich nach zwei
Wochen ein freudiger Schreck ihn erbeben machte; — er sah sich,
seine Dichtung, seinen Namen gedruckt. Neunmal las er das Ge-
dicht und neunmal schien es ihm so neu, so unbekannt und doch so
schön. Der Rausch des ersten Erfolges hielt nicht lange an. Der
Gedanke, den schönen Stoff so leichtsinnig entwertet zu haben,
statt ihn in ein mehraktiges Drama zu fassen, ernüchterte ihn,
und da ein Herr am Nebentisch den „Schnalser Boten" zu lesen
wünschte, so entschloß sich Stritzel, den Ruhm des Tages für sich
in Anspruch zu nehmen. Das war schließlich sein gutes Recht.
Mb aber der Fremde das Gedicht bemerken, ob er es lesen
werde? Wahrhaftig, der Fremde richtete sein Auge gerade auf
jene Spalte des Blattes, die fein Gedicht enthielt. Reine Miene
im Gesicht des Lesers verriet dessen innere Bewegung, und doch —,
es schien nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Stritzel sah, wie
der Gast das Blatt aufgeschlagen vor sich hinlegte, den Rellner
Alois rief und ihm das Gedicht zeigte. Alois beugte sich nieder,
nickte und entfernte sich. Stritzel erhob sich unauffällig und eilte
Alois nach. Er gab ihm zwanzig Heller und fragte: „Alois, was
hat der Herr dort gesagt?"
„Dank' schön. Nix hat er g'sagt. Er hat mir a' Gedicht
'zeigt, das was er 'dicht' hat."
„von ihm ist das Gedicht, hat er gesagt?" schrie Stritzel.
„No ja! Mder is es epper net?"
Stritzel besann sich auf seine würde. Er gab Alois noch-
mals zwanzig Heller, entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Stiefelputzautomat oder Die großen Stiefel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1913
Entstehungsdatum (normiert)
1908 - 1918
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 139.1913, Nr. 3547, S. 32
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg