„Punkt neun Uhr!" wiederholte der Kammerdiener, spreizte
elegant zwei Finger der rechten Hand in die Luft und stellte sein
linkes Bein tadellos in den gelben Sand, daß ein übermütiger
Faun im Busch das nachzuahmen versuchte und dabei von der
jungen Nymphe belauscht und ausgelacht wurde.
Als der Abend herankam und die Schatten der Dämmerung
immer tiefer und tiefer durch die Bäume glitten und den Park
übergossen, lag der arme Schwan schwer und veratmend in einer
Ecke des Bootshauses. In seiner Seele stiegen herrliche Bilder
auf von ewiger Jugend, glänzenden Seen mit leuchtenden Ufern
und wunderbaren Blütenhainen — und es war ihm, als rausch-
ten seine Fittiche leise, bereit zu dem Flug in diese schöne, noch
nie so traumwahr geschaute Ukärchenwelt. In seinem Herzen
aber begann es zu singen und zu klingen — still und ruhig er-
stand die Melodie des Todesliedes aus seiner Brust.
Um den Teich herum saß die ganze Schloßgesellschaft und
fern davon drängte stch die Bevölkerung des Dorfes. Bei den
Herrschaften wurden Tee, Wein, Pasteten und Süßigkeiten ge-
reicht. Für die Landleute war ein Faß Bier aufgelegt worden.
Allgemein herrschte die heiterste Stimmung. „Wie angenehm!"
lispelte die Gräfin. „Doch einmal eine kleine Abwechslung in diesem
ewigen einförmigen Landleben I Wer hat denn das eigentlich
arrangiert?!" Der junge Graf machte auf seinen Kannnerdiener
aufmerksam, der herbeigerufen wurde und der Frau Gräfin die
Hand küssen durste, was er wieder mit seiner berühmten Finger-
spreizung und Beinstellung machte, daß der Faun im Park sich
vor Lachen verschluckte.
Nun aber war es völlig Nacht geworden. Lin allgemeines
gespanntes „Ssstl" ging durch die Reihen. Fern am Ufer ver-
nahm man ein Geplätscher und der dicke Gänserich schwamm,
von der Dunkelheit verhüllt, in die Mitte des Teiches, wo er
ein so entsetzliches Geschrei anhob, daß der sterbende Schwan
für einen Augenblick aus seine» Todesträunren aufschrak, dann
aber das Haupt wieder sinken ließ und seufzte. Je stärker und
ärger jedoch der Spektakel des Gänserichs wurde, desto groß-
artiger war das Entzücken und der Beifall der Hörer am Ufer.
Die Damen seufzten und weinten in die Taschentücher; die Herren
klatschten sich die Hände halb wund und die Handschuhe entzwei.
„Diese Kraft und Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks!" rief ein
Dichter, „Ha! Welche Inspiration! Das wird ausgeschlachtet I
Mindestens fünf Akte sind mir sicher I" — „Und ich komponiere cs
mit neunundzwanzig Bombardons!" schwor der Kapellmeister.—
Wie der Gesang zu Ende ging, wurde das ganze Bild mit
roten bengalischen Flammen übergossen, in denen der Gänserich
einem sterbenden Schwan in der Tat täuschend ähnlich sah. Unter
gewaltigem Beifall prasselte ein Regen von Lorbeeren, Blumen,
Biskuits, Zuckerbonbons, Hllhuerstügeln und allerhand andern
guten Sachen auf ihn herab, daß er nach acht Tagen noch kaum
watscheln konnte und beschloß, bei günstiger Gelegenheit wieder
einmal einen Schwanengesang zu veranstalten.
wie aber die lärmende Gesellschaft längst verflogen war und
nur der bleiche Mond noch auf den Teich herulitersah, ruderte
der sterbende Schwan mit leisen matten Bewegungen aus seinem
versteck hervor aus das silberschimmernde Wasser und aus der
wunden Brust loste sich ihin, ungestört und unverstanden von deli
Menschen, das wunderbare weiche und süße Sehnsuchtslied seines
Todes, der erste und letzte Sang des schweigende» Vogels. Nur
der Faun und die Nymphe, die zwei Kinder der Natur, die eng
umschlungen am Ufer saßen, lauschten ihm und verstanden den
mählich vel klingenden Schwanengesang. Wilhelm Herbert.
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elegant zwei Finger der rechten Hand in die Luft und stellte sein
linkes Bein tadellos in den gelben Sand, daß ein übermütiger
Faun im Busch das nachzuahmen versuchte und dabei von der
jungen Nymphe belauscht und ausgelacht wurde.
Als der Abend herankam und die Schatten der Dämmerung
immer tiefer und tiefer durch die Bäume glitten und den Park
übergossen, lag der arme Schwan schwer und veratmend in einer
Ecke des Bootshauses. In seiner Seele stiegen herrliche Bilder
auf von ewiger Jugend, glänzenden Seen mit leuchtenden Ufern
und wunderbaren Blütenhainen — und es war ihm, als rausch-
ten seine Fittiche leise, bereit zu dem Flug in diese schöne, noch
nie so traumwahr geschaute Ukärchenwelt. In seinem Herzen
aber begann es zu singen und zu klingen — still und ruhig er-
stand die Melodie des Todesliedes aus seiner Brust.
Um den Teich herum saß die ganze Schloßgesellschaft und
fern davon drängte stch die Bevölkerung des Dorfes. Bei den
Herrschaften wurden Tee, Wein, Pasteten und Süßigkeiten ge-
reicht. Für die Landleute war ein Faß Bier aufgelegt worden.
Allgemein herrschte die heiterste Stimmung. „Wie angenehm!"
lispelte die Gräfin. „Doch einmal eine kleine Abwechslung in diesem
ewigen einförmigen Landleben I Wer hat denn das eigentlich
arrangiert?!" Der junge Graf machte auf seinen Kannnerdiener
aufmerksam, der herbeigerufen wurde und der Frau Gräfin die
Hand küssen durste, was er wieder mit seiner berühmten Finger-
spreizung und Beinstellung machte, daß der Faun im Park sich
vor Lachen verschluckte.
Nun aber war es völlig Nacht geworden. Lin allgemeines
gespanntes „Ssstl" ging durch die Reihen. Fern am Ufer ver-
nahm man ein Geplätscher und der dicke Gänserich schwamm,
von der Dunkelheit verhüllt, in die Mitte des Teiches, wo er
ein so entsetzliches Geschrei anhob, daß der sterbende Schwan
für einen Augenblick aus seine» Todesträunren aufschrak, dann
aber das Haupt wieder sinken ließ und seufzte. Je stärker und
ärger jedoch der Spektakel des Gänserichs wurde, desto groß-
artiger war das Entzücken und der Beifall der Hörer am Ufer.
Die Damen seufzten und weinten in die Taschentücher; die Herren
klatschten sich die Hände halb wund und die Handschuhe entzwei.
„Diese Kraft und Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks!" rief ein
Dichter, „Ha! Welche Inspiration! Das wird ausgeschlachtet I
Mindestens fünf Akte sind mir sicher I" — „Und ich komponiere cs
mit neunundzwanzig Bombardons!" schwor der Kapellmeister.—
Wie der Gesang zu Ende ging, wurde das ganze Bild mit
roten bengalischen Flammen übergossen, in denen der Gänserich
einem sterbenden Schwan in der Tat täuschend ähnlich sah. Unter
gewaltigem Beifall prasselte ein Regen von Lorbeeren, Blumen,
Biskuits, Zuckerbonbons, Hllhuerstügeln und allerhand andern
guten Sachen auf ihn herab, daß er nach acht Tagen noch kaum
watscheln konnte und beschloß, bei günstiger Gelegenheit wieder
einmal einen Schwanengesang zu veranstalten.
wie aber die lärmende Gesellschaft längst verflogen war und
nur der bleiche Mond noch auf den Teich herulitersah, ruderte
der sterbende Schwan mit leisen matten Bewegungen aus seinem
versteck hervor aus das silberschimmernde Wasser und aus der
wunden Brust loste sich ihin, ungestört und unverstanden von deli
Menschen, das wunderbare weiche und süße Sehnsuchtslied seines
Todes, der erste und letzte Sang des schweigende» Vogels. Nur
der Faun und die Nymphe, die zwei Kinder der Natur, die eng
umschlungen am Ufer saßen, lauschten ihm und verstanden den
mählich vel klingenden Schwanengesang. Wilhelm Herbert.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schwanengesang"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1917
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 147.1917, Nr. 3757, S. 40
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg