„Wie?!" unterbrach ihn der Fürst und
zog die Augenbrauen gegen die Stirne. „Menn
er ein braver und gescheiter Mann ist. wes-
halb lächelt er denn, wenn sein Gebieter an
ihm vorüberreitet, und warum lächelt er.
wenn er an meinem Haus vorbeigeht und
mein Antlitz sieht PI"
„Herr!" antwortete der Gberläufer. „Er
lächelt immer, sagen die Leute. Dieses
Lächeln, meinen sie. sei eben ein Beweis
seines tiefen Denkens und seiner großen
Gescheitheit. Denn er durchschaut alles, so
reden sie. und weil er alles durchschaut und
besser kennt wie die anderen — sagen die
Leute - darum schweigt er und lächelt!"
Eine Weile sah der Fürst vor sich hin. ..Hole mir Sidi
hierher!" befahl er dann.
Der Gberläufer zog die Luft tiefer in die Brust und rannte
spornstreichs davon. Es währte nicht lange, so kehrte er mit dcni
Gerufenen zurück.
„Sidi!" sprach diesen der Fürst gütig an. „Setz' Dich hier
zu mir auf den Teppich! Nimm von diesen Feigen und Datteln
und trink' aus dieser Schale!"
Sein Gast tat. wie ihm geheißen, und der Kalif bemerkte
bei sich, während deren Sidi kaum ein Mort
sprach und lächelnd auf alles hörte, was
der Kalif zu ihm redete. Dadurch ge-
wann dieser immer mehr Achtung und ver-
trauen. erzählte aus feinem Leben,manches
und fragte den Fremden in der und jener
Sache um Rat. Menn sein Gast auch dar-
über nicht viel Morte verlor, sondern stets
nur lächelnd auf das horchte, ivas er ver-
nahni. so schien dcni Fürsten bald nichts
Klügeres vorgekommen zu sein und cs war
ihm, als hätte er niemals noch willkom-
meneren Rat enipfangen.
Sidi mußte jetzt täglich bei deui Kalifen
erscheinen. Ja. dieser schätzte ihn allmählich
so sehr, daß er glaubte, nicht mehr ohne ihn sein zu können. Er
verlieh ihm Mürden und Ehrengeschenke und ernannte ihn schließlich
zum obersten seiner Räte. Nichts tat er, ohne vorher darüber mit
Sidi gesprochen zu haben, und wenn dieser auch bloß lächelte, der
Fürst verstand es bald, dieses Lächeln so auszulegen, daß cs immer
zu seinem Besten geriet. Gft. wenn er eine Unüberlegtheit be-
gehen wollte, stellte er sich Sidis Lächeln vor, das ihn davon ab-
hielt. Gft auch, wenn er sich in einer Sache gar nicht zurechtfand,
sah er während schlafloser Stunden der Nacht den lächelnden Sidi
an seinem Lager und deutete so lange herum an dieseni Lächeln,
bis er seinen Sinn ergrübelt hatte und das Richtige fand, so daß
das Lächeln Sidis für ihn zu einer Guclle tiefster Lebensweisheit,
zu einem unerschöpflichen Born der Erfahrung, zu nimmer ver-
siegendem Tröste wurde, der ihni Ruhe und Sicherheit brachte für
all sein UPollen und Handeln.
Da kam Sidi eines Tages und bat, ivieder in sein schlichtes
Heim zurückkehren zu dürfen. Sein Meid, das ihm nicht in den
Glanz des Hofes gefolgt, war altersmüd geworden und wollte aus-
rnhen und ihn um sich haben.
„So geh' denn!" sagte der Kalif und beschenkte ihn noch ein-
mal mit reichen Gaben. ..Geh' denn! Ich bedarf Deiner nicht
mehr. Du hast mich gelehrt, wie ich in allen Lebenslagen das
menschlich Beste finden kann. Aber eines sage mir — heute sag'
es mir, ehe Du gehst! Seit langein erweckt es meine lebhafteste
Neugier: Mas bedeutet eigentlich Dein Lächeln P!"
Da senkte Sidi sein Haupt und entgegnetc. während er noch
stärker lächelte als je vorher: „Daß ich mich nicht auskenne, Herr
- daß ich keinen Rat weiß — daß ich in Verlegenheit bin . . ."
„Wie?!" rief der Kalif auf's höchste erstaunt. „Aber Du
mit Verwunderung und Neugier, wie jener dabei lächelte. Aber
schon erregte dieses Lächeln nicht niehr das Mißfallen des Herr-
schers. Schien es ihm doch bereits
selbst, als sei cs ein Zeichen tiefer,
wohlabgeklärter Klugheit und beson-
deren Wissens. Wie hätte da er selber
zürnen oder schelten können oder gar
strafen und sich mit solcher Kleinheit
eine Blöße geben sollen
vor der Erhabenheit des
bescheidenen Mannes?!
So behielt er ihn
denn mehrere Stunden
lächelst ja immer?!"
Und Sidi senkte das Haupt noch
tiefer, lächelte noch mehr und murmelte:
„jKi. Herr! Weil ich immer in
Verlegenheit bin!"
Dann ging er. Da blickte ihm der
Kalif lange mit einem verwunderten
Blicke nach. Dann lächelte auch er und
begann zu lachen und
zu lachen und lachte
schließlich so, daß ihn,
die Tränen in die Au-
gen kamen. 0.
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zog die Augenbrauen gegen die Stirne. „Menn
er ein braver und gescheiter Mann ist. wes-
halb lächelt er denn, wenn sein Gebieter an
ihm vorüberreitet, und warum lächelt er.
wenn er an meinem Haus vorbeigeht und
mein Antlitz sieht PI"
„Herr!" antwortete der Gberläufer. „Er
lächelt immer, sagen die Leute. Dieses
Lächeln, meinen sie. sei eben ein Beweis
seines tiefen Denkens und seiner großen
Gescheitheit. Denn er durchschaut alles, so
reden sie. und weil er alles durchschaut und
besser kennt wie die anderen — sagen die
Leute - darum schweigt er und lächelt!"
Eine Weile sah der Fürst vor sich hin. ..Hole mir Sidi
hierher!" befahl er dann.
Der Gberläufer zog die Luft tiefer in die Brust und rannte
spornstreichs davon. Es währte nicht lange, so kehrte er mit dcni
Gerufenen zurück.
„Sidi!" sprach diesen der Fürst gütig an. „Setz' Dich hier
zu mir auf den Teppich! Nimm von diesen Feigen und Datteln
und trink' aus dieser Schale!"
Sein Gast tat. wie ihm geheißen, und der Kalif bemerkte
bei sich, während deren Sidi kaum ein Mort
sprach und lächelnd auf alles hörte, was
der Kalif zu ihm redete. Dadurch ge-
wann dieser immer mehr Achtung und ver-
trauen. erzählte aus feinem Leben,manches
und fragte den Fremden in der und jener
Sache um Rat. Menn sein Gast auch dar-
über nicht viel Morte verlor, sondern stets
nur lächelnd auf das horchte, ivas er ver-
nahni. so schien dcni Fürsten bald nichts
Klügeres vorgekommen zu sein und cs war
ihm, als hätte er niemals noch willkom-
meneren Rat enipfangen.
Sidi mußte jetzt täglich bei deui Kalifen
erscheinen. Ja. dieser schätzte ihn allmählich
so sehr, daß er glaubte, nicht mehr ohne ihn sein zu können. Er
verlieh ihm Mürden und Ehrengeschenke und ernannte ihn schließlich
zum obersten seiner Räte. Nichts tat er, ohne vorher darüber mit
Sidi gesprochen zu haben, und wenn dieser auch bloß lächelte, der
Fürst verstand es bald, dieses Lächeln so auszulegen, daß cs immer
zu seinem Besten geriet. Gft. wenn er eine Unüberlegtheit be-
gehen wollte, stellte er sich Sidis Lächeln vor, das ihn davon ab-
hielt. Gft auch, wenn er sich in einer Sache gar nicht zurechtfand,
sah er während schlafloser Stunden der Nacht den lächelnden Sidi
an seinem Lager und deutete so lange herum an dieseni Lächeln,
bis er seinen Sinn ergrübelt hatte und das Richtige fand, so daß
das Lächeln Sidis für ihn zu einer Guclle tiefster Lebensweisheit,
zu einem unerschöpflichen Born der Erfahrung, zu nimmer ver-
siegendem Tröste wurde, der ihni Ruhe und Sicherheit brachte für
all sein UPollen und Handeln.
Da kam Sidi eines Tages und bat, ivieder in sein schlichtes
Heim zurückkehren zu dürfen. Sein Meid, das ihm nicht in den
Glanz des Hofes gefolgt, war altersmüd geworden und wollte aus-
rnhen und ihn um sich haben.
„So geh' denn!" sagte der Kalif und beschenkte ihn noch ein-
mal mit reichen Gaben. ..Geh' denn! Ich bedarf Deiner nicht
mehr. Du hast mich gelehrt, wie ich in allen Lebenslagen das
menschlich Beste finden kann. Aber eines sage mir — heute sag'
es mir, ehe Du gehst! Seit langein erweckt es meine lebhafteste
Neugier: Mas bedeutet eigentlich Dein Lächeln P!"
Da senkte Sidi sein Haupt und entgegnetc. während er noch
stärker lächelte als je vorher: „Daß ich mich nicht auskenne, Herr
- daß ich keinen Rat weiß — daß ich in Verlegenheit bin . . ."
„Wie?!" rief der Kalif auf's höchste erstaunt. „Aber Du
mit Verwunderung und Neugier, wie jener dabei lächelte. Aber
schon erregte dieses Lächeln nicht niehr das Mißfallen des Herr-
schers. Schien es ihm doch bereits
selbst, als sei cs ein Zeichen tiefer,
wohlabgeklärter Klugheit und beson-
deren Wissens. Wie hätte da er selber
zürnen oder schelten können oder gar
strafen und sich mit solcher Kleinheit
eine Blöße geben sollen
vor der Erhabenheit des
bescheidenen Mannes?!
So behielt er ihn
denn mehrere Stunden
lächelst ja immer?!"
Und Sidi senkte das Haupt noch
tiefer, lächelte noch mehr und murmelte:
„jKi. Herr! Weil ich immer in
Verlegenheit bin!"
Dann ging er. Da blickte ihm der
Kalif lange mit einem verwunderten
Blicke nach. Dann lächelte auch er und
begann zu lachen und
zu lachen und lachte
schließlich so, daß ihn,
die Tränen in die Au-
gen kamen. 0.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der lächelnde Sidi"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1918
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 148.1918, Nr. 3798, S. 150
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg