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Der Schwerenöter.

„Sie sind Niel zu schüchtern, Knuffte. Darum habe» Sie
auch kein Glück bei den Damen — ein VenividiNicigcsicht
machen ivie ich, dann haben Sic sie alle!"

Glosse.

Iliegt jetzt das Geld nicht auf der Strafte?

Das wunder! mich im böchlte» Mafte:

Soviel« doch — in Saus und Braus —

Sie werfen ’s ja zum Jentfer 'raus. 11. s-i>.

Peter.

¥’eter war im Dienste alt und grau geworden — weiß sogar.

Er merkte cs kaum. Denn sein lscrz war jung ge-
blieben und brachte den anderen noch die nämliche Liebe
und Freundschaft entgegen wie einst. Aber die Zuneigung
der anderen gegen ihn hatte immer mehr und mehr abgcnommen.
Jetzt stand sie nahe am Gefrierpunkt.

Denn fein Vorstand mochte ihn nicht mehr. Er war zwar
selbst noch älter ivie Peter. Aber über i h in stand niemand, der
unmittelbar Stunde um Stunde und Tag für Tag sein Schwinden
und Nachlassen beobachtete. Deshalb tat sich der Vorstand leichter.

L r jedoch bemerkte das Schwinden und Nachlassen bei Peter —
Stunde um Stunde, Tag für Tag, beinahe Minute nach Minute.
Ls war schou lang so Brauch geworden, daß Peter als Sünden-
bock für alles herhalten mußte, wenn etwas im Amte schief ging,
selbst wenn er gar nicht daran schuld sein konnte. „Ja, der alte
Peter!" hieß es dann in allen Tonarten von der strengen Miß-
billigung bis zum seufzenden Bedauern.

Das seufzende Bedauern schnitt dein „alten Peter" von allen
Toirartcn am tiefsten ins lferz. Mitleid hatte er von jeher am
wenigsten vertragen können.

Beute kam es eirdlich zu der großen Auseinandersetzung.

Sie war eigentlich gar nicht groß. „Peter!" sagte der Vor-
stand und hielt ihm einen Akt unter die Base, „lsier ist das Ge-
such der armen Bahnwärterswitwe. Sie Habei: den Bericht darüber
ganz falsch wiedergegeben, lsier sehen Sie: Statt (8^7, dem rich-
tigen Geburtsdatum der kvitwe, haben Sie (857 hineingeschrieben.
Denken Sie, was das für das lvohl und lvehe der Frau hätte
ausmachen können, wenn i ch es nicht noch rechtzeitig gesehen und
richtiggestellt hätte! Schauderhaft!"

Dieses „Schauderhaft!" schnitt eine Rune in Peters Seele,
wie noch keine darin war. Er erschrak heftig und zitierte. Line
arme alte Bahnwärterswitwe schädigen — der Gedanke war
ihm fürchterlich, ganz unerträglich.

„Ich glaube" — sagte der Vorstand und legte den Akt uii-
ivillig und verurteilend auf den Tisch.— „es wäre jetzt wirk-
lich endlich eiunial Zeit, kferr Peter..."

„lf e r r" hatte er schon lange nicht mehr zu ihm gesagt. Dieses
„löerr" — Peter fühlte es — zog eine Schranke zwischen ihn und
feilten Vorstand, eine Schranke zwischen ihn und sein Amt, eine
Schranke zwischen ihn und feinen Dienst, eine Schranke zwischen
ihn und seine Kollegen . . . fremd machte es alles um ihn her.

Er nickte nur leise mit dem Kopf und schlich vollkommen ge-
brochen hinaus.

Die Kollegen, die schon um die Sache wußten, sahen ihn mit
eisigeil Blicken vorüberschwanken, wie er in sein kleines bescheidenes
DieNststübcheu, das letzte in der Reihe, zurückging.

Er fühlte es: fjier hatte er keinen freund mehr.

kV o denn überhaupt auf der kvclt noch?!

vor lauter Diensteifer hatte er nie im Leben irgendwelche Ver-
bindungen augeknüpft, nie irgend eine Gesellschaft gesucht und ge-
funden.

Er hatte niemanden aus der kvclt - gar niemanden.

Mechanisch nahm er den kleinen Staubbesen, der auf seinem
Pulte lag, und wischte damit die wenigen Staubkörner hinweg,
die sich seit gestern abend dort niedergelassen hatten. Dann schloß
er das Tintenfaß, nahm den Federhalter, zog die letzte Feder
heraus, mit der er geschrieben hatte, und legte sie neben das
Tintenfaß.

Jetzt steckte er den Federhalter ein, nahm den alten Büroflaus
über den Arni, warf lisch einen Blick in der Runde auf die Stätte,
an der er sein Leben verbracht, und trat leise durch die Seitentüre
auf den Gang hinaus.

Ricmaud begegnete ihm, während er die Treppe hinunter-
stieg — niemand, während er aus dem kfause ging.

Da lag die lvelt vor ihm — grau in grau — im trüben
Dämmer des Novembermorgens, kalt, unwirtsam, freundlos.

Er halte keinen Freund — cs war wirklich so.

Langsam ging er seines lvegcs und achtete auf nichts.

Auch nicht auf den alten kfiiiid, der auf ihn gewartet hatte
und getreulich neben ihm hertrabte, bis es ihm endlich zu laug
wurde. Da stieß er leise mit der Schnauze in die kalte schlaffe
Band seines lferrn.

And dieser sah es. Und bückte sich, kliid drückte die kvange
an das schlotternde Gesicht des Bundes und ivcinte. . . .

Ivie er nach dem Taschentuch in den Sack griff, spürte er
einen harten Gegenstand — seine Pfeife, seine liebe alle Pfeife.

Er nahm sie in die lsand und betrachtete sie — und während
er sie so betrachtete, trocknete die Träne auf seiner kvange und
seine Augen wurden Heller und sein kserz leichter und froher. . . ,

Der lhund und die pfeife — ivie undankbarl — waren
das nicht zwei treue Freunde?! Nicht Freunde genug für
sein stilles einsames Pensionistenlebcn?! ....

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Schwerenöter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Graetz, Theodor
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1919
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 151.1919, Nr. 3876, S. 228

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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